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Für eine Welt mit mehr Poesie – Literarisches Pleinair mit jungen Autoren aus Leimbach

Das Baumgeflüster im Schatten der etwa 270jährigen Winter-Linde bei Leimbach lockte gut 40 Gäste in den Bann sehr persönlicher Poesie und Literatur. Foto Alexander Schenk

26.06.2023 Bericht von Berndt Schulz | Beim jüngsten Baumgeflüster, einer seit Jahren beliebten Veranstaltung des „Förderverein Kulturlandschaft Schwalm e.V.“ mit Lesungen unter besonderen Bäumen, trafen sich am vergangenen Samstag zahlreiche Literaturfreunde aus der Region. Die Winterlinde stand hoch und mächtig, der Himmel hielt sich erstmal bedeckt. Dann kamen die Geschichten, Erzählungen und Gedichte. Und die Zuhörer hielten den Atem an.

Beim jüngsten Baumgeflüster, einer seit Jahren beliebten Veranstaltung des „Fördervereins Kulturlandschaft Schwalm e.V.“ mit Lesungen unter besonderen Bäumen, trafen sich am vergangenen Samstag zahlreiche Literaturfreunde aus der Region. Diesmal war ein markanter Vesper-Baum in der Agrarlandschaft nördlich des Willingshäuser Ortsteils Leimbach der Schauplatz. Das Publikum konnte eine Parkmöglichkeit nahe der Landstraße nutzen, viele kamen mit dem Rad zur Schmiedwiese über den etwas rumpeligen Feldweg, oder gleich zu Fuß, so wie die jungen Autoren, die ihre Texte erstmals einem größeren Publikum vorstellten. Denn die Nachwuchs-Schriftsteller sind gleich nebenan zu Hause, nämlich am Standort Leimbach der Lebenshilfe „Die Fleckenbühler“.

Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden des Fördervereins Jörg Haafke stellte der pädagogische Leiter der Jugendhilfe Leimbach, Bernhard Fielenbach die Arbeit der „Fleckenbühler“ vor. Er bezeichnete die Einrichtung dramatisch und als Insider sicher zutreffend als „letzte Station vor Gefängnis oder Psychiatrie“. Als Besonderheit der erfolgreichen, und von rund 20 Jugendlichen konstant besetzten  Lebenshilfe mit ihren insgesamt fünf integrierten Betrieben von Schreinerei bis Landwirtschaft, hatte sich in letzter Zeit der Kultur- und Literaturkreis „Leimbächer 23“ entwickelt.

Die jungen Autoren hatten ihren Auftritt gut vorbereitet und vorangestellt, den Auftrag der Fleckenbühler nach einer Einführung durch Herrn Fielenbach an ihren eigenen Lebenswegen und deren literarischer Verarbeitung zu vermitteln. Danach waren Neugier und Erwartungshaltung des Publikums sehr groß. Und niemand wurde enttäuscht.

Der erster ging der 18jährige Nikolai mit in einem biografischen, also nicht fiktionalen Text mit dem Titel „Lernen zu leben“ schonungslos offen auf das Publikum zu. Er berichtete davon, warum es in seinem Leben eines Tages einfach nicht mehr weitergegangen war. Und er erzählte von seiner Auseinandersetzung mit dem „System Fleckenbühl“ – das ihm letztlich ein neues, Leben geschenkt habe, drogenfrei und selbstbewusst. Besser als mit dieser sehr persönlichen Darstellung hätte die Idee der Fleckenbühler kaum präsentiert werden können.

Nach diesem bewegenden Text stellte der 16jährige Ben in „Mein Raum, mein Baum“ das Eichhörnchen Marco vor, das auf der Flucht durch seinen natürlichen Lebensraum ein neues Zuhause findet. Die Zuhörer konnten Parallelen zu den Erfahrungen des jungen Erzählers selbst suchen.

Von seiner Liebe zu Bäumen erzählte danach Yannick unter dem Titel „Baumgezwitscher“. Ein schöner, gefühlvoller Text, in dem Vögel zu Wort kamen, die in Städten das Lebendige vermissen.

Die „Leimbächer 23“ empfangen den Applaus des ebenso ergriffenen wie begeisterten Publikums: Von links: Yannick, Bernhard Fielenbach, Atlan, Justin, Felix, Ben und Nicolai. Foto Alexander Schenk

Anschließend trug der 17jährige Atlan eine Kurzgeschichte in Versen vor, mit der er „seine Mama glücklich machen“ wollte. Hier, wie in allen anderen Erzählungen auch, überzeugten die bewegende Emotionalität des Vortrages und die spürbare Freude am Leben der jungen Verfasser.

Justin (18) unterhielt dann die rund 40 Zuhörer und Zuhörerinnen mit einem schönen „Gedicht über einen einsamen Baum“. Erstaunlich war darin die Weisheit der Lebensperspektive des jungen Verfassers.

Über seine Vergangenheit mit verdrängten Gefühlen berichtete schließlich der 22jährige Felix mit seinem Beitrag. In elaborierter Sprache und mit märchenhaftem Erzählton folgte seine literarische Verarbeitung dieser Erfahrung – über eine Trauerweide namens Elara, die eines Tages einen schneeweißen Fuchs kennen lernt. Und der Kreislauf des Lebens beginnt erneut.

Das alles waren sehr nachdrücklich wirkende Texte, geeignet um tiefste Empfindungen mit anderen zu teilen, Texte vom Sich-Selbst-Finden. Überzeugend in der Weisheit der Einsichten. Zum Ausklang gab es noch ein eigens für das Baumgeflüster von den Autoren gemeinsam entwickeltes Sprechstück aller Beteiligten, bei dem der Solitär-Baum am Schauplatz im Mittelpunkt stand und – wie es eine Zuhörerin anschließend formulierte – über das Geschehen sicherlich sehr glücklich war.

Zum Abschluss und zum Dank überreichte Jörg Haafke jedem Jung-Autor den Roman „Ein Herbst auf dem Land“. Darin geht es um einen engagierten Pädagogen, der aus der Stadt aufs Land – nämlich in die Schwalm – geschickt wird, um junge Menschen für Literatur zu begeistern. In die Handlung geschickt eingeflochten sind die „10 Gebote des Schreibens“, eine spannende Anleitung zum kreativen Schreiben. Literarisches Handwerk als schöner Selbstzweck, aber vor allem als Überlebensmittel in Krisenzeiten. Ein passendes Buch also auch zum Ansporn für die jungen Autoren für ihr weiteres literarisches Schaffen.

Das Wetter hielt. Die Winterlinde erzählte vom Beginn des Sommers. Zufrieden und angefüllt von den Gedanken, Gefühlen und Bildern der erzählten Geschichten und Gedichte, verließ das Publikum die Leimbacher Schmiedwiesen. Im Flüstern der Winterlinde glaubten einige die Prophezeiung zu hören, dass man von diesen Nachwuchs-Schriftstellern noch schöne und spannende Geschichten zu hören bekommen werde. Einer von ihnen gab jedenfalls zum Schluss die hoffnungsträchtige Botschaft aus: „Die Welt braucht mehr Poesie!“

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