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Neue Blickwinkel auf das Marburger Schloss

In einem Workshop entwickelten Menschen mit und ohne Einschränkungen Ideen, wie das Schlossmuseum attraktiver und inklusiver werden könnte. Foto Gesa Coordes

02.06.2024 (pm/red) Verschiedene Formen von Barrieren, aber auch spannende Ideen für lebendige Geschichte, standen im Mittelpunkt des Workshops „Wie inklusiv ist das Schloss?“, zu dem der Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg gemeinsam mit dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg eingeladen hatte. Mit dabei waren Menschen mit und ohne Einschränkungen, die der Frage nachgingen, wie das Schloss attraktiver werden könnte.

Eine Idee für eine zukünftige Gestaltung des Schlosses fand bei allen Anwesenden Zustimmung: ein großer Tisch, wie der auf dem berühmten Gemälde des Marburger Religionsgesprächs von August Noack, das im Westsaal des Marburger Schlosses hängt. Der Tisch soll den Besuchern dazu dienen, sich niederzulassen und miteinander zu sprechen und zu diskutieren – über alle möglichen Themen – quasi ein „Inklusionsgespräch“.

Mit Checklisten, Audiorekordern und Polaroid-Kameras hatten die Workshop-Teilnehmer in Zweier-Teams das Schloss und sein Museum erkundet. Für Rollifahrer erwies sich vor allem die Zufahrt als schwierig: auf dem Kopfsteinpflaster haben sie bisher kaum eine Chance, die Auffahrt zu bewältigen. Und der Fußweg daneben ist so schmal, dass Rollstühle nur gerade eben draufpassen. An der Treppe zum Museumseingang gibt es zwar eine Rampe, diese ist jedoch nach Erfahrung der Rollifahrenden zu steil. Auch der enge Aufzug habe noch seine Tücken, wie Bernd Gökeler vom Behindertenbeirat anmerkte: „Wer vorwärts hineinfährt, kommt nicht mehr an die Aufzugknöpfe heran.“

Das Tastmodell vom Marburger Schloss freut Blinde und Sehende. Foto Gesa Coordes

Ein Schloss für die Sinne und für alle

Die sehbehinderte Teilnehmerin Wencke Gemril war noch nie im Schlossmuseum. Ohne sehende Begleitung sei schon der Weg durch den Fürstensaal schwierig. Und vor den Vitrinen stünden Blinde ratlos. Es bräuchte einen Tastplan oder eine Schablone vom Westsaal, um sich zurechtzufinden, sagt Eugen Anderer. Zumindest das Religionsgespräch zwischen Luther, Zwingli und Melanchthon sollte für Blinde beschrieben werden. Der blinde Kunsthistoriker steht vor der Glaspyramide, die den Blick auf eine Vorgängerburg eröffnet. Am liebsten würde er die Mauerreste ertasten: „Für jemanden, der nichts sieht, ist das so nicht nachvollziehbar“, sagt Anderer. Während des Rundgangs erklärt ihm eine Sehende die archäologische Entdeckung.

Von den Exponaten und den Themen des Museums waren die Teilnehmer sehr angetan. Und die Sehenden freuten sich, „Bekanntes“ unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Bemängelt wurden Türschwellen, Rampen, irreführende Leitsysteme und schwierige Fluchtwege. Schriften weiß vor gelbem Hintergrund sind für viele Menschen schwer lesbar, es brauche stärkere Kontraste.

Die Teilnehmer entwickelten eine Fülle von Ideen, zum Beispiel eine kleine Garderobe für Kinder, die sich als Ritter und Prinzessinnen verkleiden könnten oder eine Spielstation mit der Geschichte des Schlosses. Weitere Vorschläge waren Exponate zum Anfassen, gemütliche Sofas und Gerüche des Mittelalters, wie sie das Chemikum schon einmal hergestellt hat, die Besucher mittels Gefäßen mit Duftstoffen riechen könnten. In der  Schlosskapelle könnte gesungen, gebetet und gepredigt werden.

Eine Idee für die Umgestaltung des Schlosses: ein Tisch wie auf dem Gemälde des Religionsgesprächs, um miteinander zu sprechen und zu diskutieren. Foto Gesa Coordes

Marburger „Stadtgeschichten“ Vorbild für erweiterte Angebote im Schloss

 Wie eine Ausstellung zugänglicher für Sehbehinderte wird, zeigte bereits die gemeinsam mit dem Fachdienst Kultur der Stadt erarbeitete Präsentation zu Marburger „Stadtgeschichten“, die noch im Südsaal des Schlosses zu sehen ist. Sie enthielt Audioelemente zu allen acht Jahrhunderten von Marburgs Stadtgeschichte. Im Schloss gibt es auch QR-Codes, mit denen sich Musik aus verschiedenen Jahrhunderten aufrufen lässt. Auf den Audioguide-Seiten der Stadt Marburg gibt es Hörstücke, die von der Geschichte der Burg über den Fürstensaal, das Religionsgespräch und die Schlosskapelle bis zur Stipendiatenanstalt, den Kasematten und den Hexenturm reichen. Zudem haben die Marburger Schlosskonzerte ein Tastmodell und ein Audioformat für den Weg zum Fürstensaal erstellt.

„Wir haben jetzt sehr viel Material und kennen die unterschiedlichsten Wünsche, die wir nun ordnen und gründlich auswerten“, fasst Museumsleiter Christoph Otterbeck zusammen. Er freut sich über die vielen inspirierenden Stimmen. Damit die Vorstellungen der zukünftigen Gäste einfließen, hat die Stadt Marburg gemeinsam mit der Philipps-Universität insgesamt sechs Workshops organisiert. Die nächste Arbeitsgruppe von Architekten und Stadtplanern am 6. Juni tagt intern, um auf der Grundlage von Vermessungen und Plänen unter anderem Fragen zur Erschließung des Landgrafenschlosses, zum Raumnutzungskonzept und zum Brandschutz zu diskutieren.

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