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Massenhafter Stadtverweis aus Marburg gegen intoleranten Faschisten Martin Sellner

Mehrere Tausend Bürger waren zusammen gekommen zur Demonstration in Marburg gegen völkischen Parolenautor zur „Remigration“. Foto Dennis Siepmann

30.07.2024 (pm/mm/red) Zu gleich zwei Demos war am 29. Juli in Marburg aufgerufen, am Nachmittag in der Oberstadt und am Abend vor der Stadthalle, anlässlich einer angekündigten Lesung des völkisch-menschenfeindlichen Autors Martin Sellner aus Österreich, der mit üblen Parolen zur „Remigration“ aus rechtsradikalen Kreisen hervorgetreten ist. Rund 500 Teilnehmer versammelten sich nachmittag auf den Marktplatz und zogen zu Häusern bekannter rechter Burschenschaften.

Am Abend kamen annähernd 3.000 Protestierende vor dem Erwin-Piscator-Haus zusammen um die massenhafte Ablehnung dieses Österreichers unübersehbar werden zu lassen. Den Demos für Demokratie und gegen Rassismus am 29. Juli in Marburg war unmittelbarer Erfolg in abschreckender Wirkung beschieden. Die hochgradig unerwünschte „Persona Non Grata“ hat keinen Fuß in die Stadt gesetzt, als Leseort im Hinterland musste dann Gladenbach herhalten, wo sich 50 Personen als Publikum eingefunden haben sollen.

Zur Berichterstattung nachfolgend die Pressemitteilung der Stadt Marburg:

Marburg steht auf für Demokratie und gegen Rassismus

„In Marburg ist kein Platz für intolerante Faschisten“

Menschen aus Marburg und der Region haben am Montagabend ein deutliches Zeichen für Demokratie und gegen rechtsradikale und menschenfeindliche Propaganda gesetzt. Mehr als 3.000 haben vor der Stadthalle demonstriert. Ihre Botschaft: Wir stehen zusammen gegen Vertreibung ein.

„Wir stehen hier zusammen, weil wir zusammengehören. Weil alle ein unverzichtbarer Teil unseres Gemeinwesens sind. Weil wir nur gemeinsam vollständig sind. Und wir stehen hier, weil wir keine menschenfeindliche Propaganda dulden werden“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der Kundgebung vor dem Erwin-Piscator-Haus.

Insgesamt deutlich mehr als 3.000 Menschen hatten sich dort versammelt, um gemeinsam deutlich zu machen, was sie von den Vertreibungs-Theorien des Österreichers Martin Sellner halten – und dass sie gegen menschenfeindliche Pläne stehen, die die Vertreibung ihrer Nachbar*innen, Freund*innen und Familien vorsehen.

„Bunt ist das Leben“, „Check mal deinen Genpool, Sellner“, „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen“ und „Intelligenz statt Ignoranz“ war auf Schildern und Transparenten zu lesen. „Wir kämpfen für eine offene, bunte und gerechte Gesellschaft, in der alle Menschen ihren Platz haben“, so Spies. Und er betonte: „Die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Heute, morgen und jeden Tag.“

Stadtverweis als klare Kante: Demoteilnehmerinnen zeigen, was sie vom Rechtsextremisten Martin Sellner halten. Foto Dennis Siepmann

Der Sprecher des Netzwerkes für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, Dr. Georg Falk, betonte, dass die Garantie der Menschenwürde ein zentrales Fundament unserer Rechtsordnung sei. „Dieses Fundament wird nun erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik von Teilen der Gesellschaft ernsthaft in Frage gestellt.“ Darüber hinaus stellte er heraus, dass es verfassungsgemäß die Pflicht eines jeden sei, mit allen Kräften für eben jene Verfassung einzutreten. „Es darf in dieser Gesellschaft keinen Raum für die rechten Hetzer geben. Null Toleranz – das muss die Leitlinie sein.“ Denn rechtsextreme Parteien seien nicht beherrschbar und auch nicht mit guter Regierungsarbeit klein zu halten: „Das gehört zu den bittersten Illusionen überhaupt.“

„Wir lassen uns nicht provozieren von einer Lesung eines Mitdreißigers aus Österreich, aber wir lassen uns animieren um zu zeigen, was für uns als Demokraten wichtig ist“, sagte der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow. „Solche kruden Ideen sollen, dürfen und werden in Marburg und in Marburg-Biedenkopf kein Gehör finden. Denn wir sind eine Stadt und eine Region, die durch Migration und Integration stark geworden ist.“ Viele Firmen und Kommunen gäbe es ohne Migration nicht, es würden Arbeitskräfte fehlen und viele Unternehmen seien von Geflüchteten gegründet worden. 

Für Sareh Darsaraee vom Ausländerbeirat der Stadt Marburg ist klar: „Deutschland ist unser aller Heimat.“ Daher sei ihr die Zukunft des Landes ebenso wichtig, wie den hier geborenen Menschen. „Die geografischen Grenzen hinter denen unsere Geburtsorte liegen – das ist der einzige Unterschied zwischen uns.“ Sie betonte, dass der Ursprung des Faschismus Unwissenheit und Angst sei, was dazu führe ein schreckliches Bild von „den Anderen“ zu konstruieren, statt sich mit den komplexen Ursachen von Entwicklungen auseinanderzusetzen.

Für die Gewerkschaften sprach Murat Kara als Mitglied des Bezirksvorstands der DGB-Jugend Hessen: „Diese Menschen behaupten, sie würden sich für die ,kleinen Leute‘ einsetzen. Aber das stimmt nicht – sie wollen unsere Gewerkschaften schwächen, die Rechte der Arbeitnehmer*innen beschneiden und die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern. Dem müssen wir uns entgegenstellen und zeigen, dass unsere Solidarität stärker ist als ihr Hass.“ Und er betonte: „Wegschauen, nicht hingehen und schweigen – das hatten wir schon einmal. Den Luxus, keine Meinung zu haben, können wir uns nicht leisten.“

Thorsten Büchner als stellvertretender Stadtverordneten-Vorsteher machte unmißverständlich klar, dass es in Marburg keinen Platz für menschenverachtendes Gedankengut gibt. Foto Dennis Siepmann.

„In Marburg ist kein Platz für intolerante Faschisten“, betonte Thorsten Büchner unter dem Jubel der Demonstrierenden. Als stellvertretender Vorsitzender sprach er im Namen der Stadtverordnetenversammlung, die mit ihrem Beschluss den Auftrag für die Kundgebung gegeben hatten – die CDU/FDP/BfM, Bündnis90/Die Grünen, die SPD, die Linke und die Marburger Linken sowie die beiden Einzelabgeordneten (Piratenpartei, parteilos).

„58 von 59 Abgeordneten sind sich über die politischen Lager hinweg einig, dass es in unserer Stadt keinen Platz für menschenfeindliches Gedankengut, menschenfeindliche Haltungen und keinen Platz für einen Martin Sellner gibt. Wir als Demokraten müssen zusammenstehen, damit das Gift eines Martin Sellner nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Denn es ist nicht nur menschenverachtendes Gedankengut in der Theorie, es führt auch zu Taten“, führte Büchner aus und verwies auf den Attentäter von Christchurch in Neuseeland oder den Mörder von Walter Lübcke, die beide eine Verbindung zu Martin Sellner hätten.

„Er ist ein Brandstifter, den wir hier nicht haben wollen. Und wir sind das Gegengift gegen seine Ideen.“ Büchner richtete den Appell an „uns alle, den demokratischen Diskurs ohne Häme und Verächtlichmachung des Anderen hinzubekommen.“

Büchner berichtete auch von einer persönlichen Erfahrung als von Geburt an blindem Menschen, wie er als Jugendlicher mit einer Gruppe anderer Sehbehinderter das erste Mal nach Marburg kam – „und wie wir im Zug hierher von einem Nazi mit niederträchtigen und euthanasie-angelehnten Kommentaren überzogen wurden. Es geht hier nicht um die Anderen‘, es geht um uns. Ich bin froh, dass in Marburg Menschen mit Behinderung und Menschen aus über 140 Nationen genauso dazugehören wie das Kopfsteinpflaster zur Oberstadt und die Getränke im Biergarten zum Beisammensein. Lasst und dafür sorgen, dass das so bleibt.“ 

Gerahmt wurde die Veranstaltung musikalisch von Rose Letso Steinhoff und Franziska Knetsch. Sie ließen tausende Menschen mitsingen – etwa bei „Imagine“ und „Bella Ciao“. Und sorgten damit für Gänsehaut und lautstarke Zusammengehörigkeit.

In zahlreichen auch überregionalen Medien findet sich Berichterstattung. Ausführliche weitere Informationen und Berichte finden sich in der Hessenschau  nachfolgend in Tagesschau, Tagesspiegel, TAZ, Frankfurter Rundschau u.a.

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