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Von Blickwinkel, Perspektive und Wahrnehmungsinteresse

Marburg 6.3.2011 (yb) Baufachleute benutzen Grundriß, Querschnitt oder Schnittdarstellung, um etwa ein Haus zeichnerisch, also visuell, in seiner Vielfalt darstellen zu können. Keine Zeichnung leistet alles, doch jede kann besonderes zur Anschauung bringen. Maler benutzen bestimmte Perspektiven, setzten hell und dunkel und Farbgebung ein, um in Gemälden den Betrachtern Bestimmtes vor Augen zu geben. Vor gleichen Aufgaben stehen Fotografen, wenn sie ein Foto in bestimmter Absicht machen, es darum geht Betrachtern etwas klar vor Augen zu führen. So bestimmt der Ausschnitt in dem Foto vom Marienkäfer schon alleine, was Betrachter sieht. Bei diesem Foto gibt es nur ein Motiv.

Schnecke im Morgentau unterwegs. Das Foto lässt sich mit Mausklick vergrössern.

Doch so einfach ist es selten. Schon das nebenstehende Foto von der Schnecke im Morgentau hat sich nicht dergestalt fotografieren lassen, dass nur die Schnecke mit ihrem Haus abgebildet wäre. Vielleicht wäre das auch eindimensional, langweilig. In dem Foto geht es auch um (Fort-)Bewegung, von der Schnecke geradezu akrobatisch geleistet. Und es geht um eine bestimmte Zeit, den frühen Morgen, wenn sommertags noch Tautropfen an den Grashalmen hängen. Damit wird dieses Foto vielfältiger, hat als Motiv und Blickwinkel nicht mehr alleine ein Tier, sondern zeigt dessen zugleich langsame wie geschmeidige Art der Fortbewegung. Es führt Betrachter in eine Welt, die menschlichem Auge normalerweise verborgen ist. Blickwinkel und Wahrnehmung sind auf die Schnecke gerichtet. Geleistet wird das durch die besondere Perspektive des Fotografen mit der Kamera, auf Augenhöhe mit der Schnecke im Gras. So haftet dem Foto zugleich etwas Intimes und Sensibles an, weiß doch jeder, dass eine Schnecke ihre Hörner, oder sind es Stilaugen, schnell und schreckhaft einzieht.

U-Bahnhof Alexanderplatz. Das Foto lässt sich mit Mausklick vergrössern.

In unserer urbanisierten Welt, weit von solch kleinen tierischen Lebewesen entfernt, wird nicht alleine die Lebensführung für jede(n) Einzelene(n) immer komplexer und schwieriger. Dies schließt immer mehr Wahrnehmungen ein. Menschen müssen Wegesehen lernen, sich der Reizüberflutung erwehren, sich konzentrieren. Sei es auf eine Buchlektüre während der Busfahrt oder U-Bahnfahrt. Längst wissen nicht alleine Wissenschaftler, dass Wahrnehmung, auch visuelle wie das Sehen, interessengeleitet ist. So lässt sich fragen, was das nebenstehende Foto abbildet. Dort lässt sich lesen und identifizieren: Alexanderplatz, ein unterirdischen Bahnhof. Drei wartende Menschen. Ein Werbeplakat für Max Rabe. Die Uhrzeit. Ist das alles? Was reizt besonders? Die Frau vorne links? Oder ist es das Ganze? Transportiert das Foto eine Stimmung?

Am Ende wird es unterschiedlich sein. Es kommt wohl darauf an, wer in welcher Befindlichlichkeit mit welchem Interesse ein Foto betrachtet. Es kommt auf Einlassung an, die immer mehr Zeitgenossen nicht mehr aufbringen. Sie verlernen das Sehen und Beobachten. Zu viel visuelle Stimulation belastet, verdirbt die Augen und Wahrnehmungen, lässt gar das Wahrnehmungsinteresse abstumpfen. Das ist schon rein physiologisch eine normale Reaktion.

Stimmt vielleicht alles, kann aber nicht zufrieden stimmen. Daher wird in diesem Medium, unter Verzicht beispielsweise auf bewegte Bilder, also Videosequenzen, versucht – fotografisch gesprochen – zu fokussieren. Blicke sollen (auf etwas oder manchmal vieles) gerichtet werden. Text und Fotos sollen dazu weiterhin reichen in das Marburger.
Zuguterletzt noch ein vielschichtiges Bild. (Alle Fotografien Hartwig Bambey)

Telekommunikation im Hauptbahnhof Berlin

 

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