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Armut macht 2,5 Millionen betroffene Kinder ungebildet und krank – in Deutschland

Ernährungsmediziner der Uni Hohenheim bekräftigt Aussagen im ARD-Tatort „Jagdzeit“

Marburg 14.4.2011 (wm/red) Sie sind blass und übergewichtig, ihr Immunsystem ist geschwächt und ihre Entwicklungschancen sind schlechter. Jedem sechsten Kind in Deutschland erschwert der Hartz IV-Regelsatz eine adäquate Ernährung. Oft fallen sie schon in der Schule aus und sie werden nach schlechtem Berufsstart doppelt so häufig an chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes leiden. „Der soziale Aufstieg wird so bereits am Küchentisch erstaunlich effektiv blockiert“, beklagt Prof. Hans Konrad Biesalski, Sprecher des Sachverständigenbeirates der Ernährungsinformation der Universität Hohenheim. Aus Sicht der Ernährungsmedizin habe der ARD-Tatort Jagdzeit vom 10. April 2011 die Umstände und Wirkungsmechanismen im Leben armer Kinder und ihrer Ernährungssituation erstaunlich realistisch wiedergegeben.

Wer heute aus dem Blechnapf…

Auf den ersten Blick wird alles im Lot in Deutschland geschildert – auch auf Kindertellern. „Von den Verantwortlichen der Nationalen Verzehrsstudie (NVS II) hört man in Deutschland gäbe es ab dem 14. Lebensjahr keinen Vitaminmangel“, führt Prof. Biesalski aus. „Wenn damit schwere Mangelzustände mit klassischen Krankheitsbildern gemeint sind, ist das korrekt. Damit geht man jedoch ganz offensichtlich darüber hinweg, dass laut Ergebnissen derselben Studie ein Großteil der Bevölkerung die empfohlene Menge einiger wichtiger Nährstoffe – zum Beispiel Folsäure, Vitamin D, Calcium, Vitamin E und andere – nicht erreicht“, erläutert Prof. Biesalski.

So helfe es wenig, wenn „von verschiedenen Seiten gebetsmühlenartig ertönt, jeder könne sich gesund ernähren“, moniert der Ernährungsmediziner. „Jeder kann es – wenn er genügend finanzielle Mittel zur Verfügung hat und ausreichendes Wissen darüber, was gesunde Ernährung ist.“ In armen Familien zwinge der Kostendruck dagegen zu preiswertem, einseitigem Essen. „Das sind fast automatisch die billigeren Lebensmittel mit höherem Energiegehalt – vor allem fett, aber ernährungsphysiologisch nicht ausreichend.“

Die Heldin im Tatort zeigt wie viele Menschen Leben

Die Realität von Armut habe der Tatort vom Wochenende beinahe lehrbuchartig illustriert, als er die Filmheldin Nessi übergewichtig beim Einkauf zwischen Einmachgläsern und Raviolibüchsen zeigte. „Selbst bei Lebensmitteldiscountern sind Ausgaben von mindestens 5 Euro pro Tag und Kind notwendig, um eine Ernährung zusammenzustellen, die ohne jeden Bioanspruch das Prädikat ‚Gesund’ auch nur annähernd verdient“, führt Prof. Biesalski aus.

Der Hartz-IV-Regelsatz sehe für Kinder zwischen 2. und 6. Lebensjahr dagegen nur 2.62 Euro und zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr 3.22 Euro pro Tag vor. Dies ist gerade einmal die Hälfte des Minimums.

Woran alles Engagement einer Tafel nichts ändern kann

„Wir bekommen eine soziale Auswahl, die den Armen von Kind an eine ausreichende Leistungsfähigkeit verweigert – und damit die Grundlage für gute Ausbildung und beruflichen Erfolg“, kritisiert Biesalski millionenfach verbreitete Lebenswirklichkeit in amren familien. Die schlechte Vitaminversorgung schwäche bereits im Kindesalter das Immunsystem und mache die Betroffenen anfällig für Krankheit und Fehlzeiten in der Schule.

„Kinder aus armen Familien sind doppelt so häufig krank und übergewichtig – auch das ist ein Ergebnis aus deutschen Erhebungen. Langfristig begünstigt das Fehlen der zitierten Mikronährstoffe die Entwicklung chronischer Erkrankungen. Dies sind Arteriosklerose, Diabetes und andere.

Aus 2,5 Millionen Kindern, die sich aufgrund Armut fehlernähren, werden Erwachsene mit einem doppelt so hohen Risiko für Bluthochdruck und Diabetes, wie schwedische und US-amerikanische Studien kürzlich eindrucksvoll gezeigt haben.“ Über die Belastungen für die Betroffenen hinaus bedeutet dies zudem kommende Kosten für die Gesamtgesellschaft, die in der Zukunft zu finanzieren sein werden..

Vorbeugung gegen chronische Erkrankungen im Kindesalter

Diesen Krankheiten im Kindesalter vorzubeugen ist nach Meinung des Mediziners eine gesellschaftliche Aufgabe: „Im Erwachsenenalter kann es dafür zu spät sein.“ Eine Lösung sei die Einführung einer gesunden Ernährung in Ganztagsschulen und Kindertagesstätten, wie sie im Rahmen des Bioethikforums des Deutschen Ethikrates 2007 gefordert wurde.

Der Kochtopf entscheidet mit beim sozialen Aufstieg

„Diese sollte eigentlich für alle Kinder – wie zum Beispiel in Skandinavien – zumindest aber für Kinder von Geringverdienern unentgeltlich sein“, meint Biesalski.

Es nutze wenig, auf Möglichkeiten einer gesunden Ernährung hinzuweisen, wenn denen, die eine solche gesunde Ernährung ganz besonders brauchen, diese aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugänglich werden könne.

Hintergrund Themenjahr Universität Hohenheim – stark durch Kommunikation

Das Themenjahr „Kommunikation“ der Universität Hohenheim soll einem breiten Spektrum unterschiedlicher Wissenschaftsbeiträge eine Plattform bieten. Die Universität Hohenheim selbst bezieht dabei ihrem Grundauftrag entsprechend keine eigene Position, allein die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen ihre fundierten Standpunkte nach außen dar.
Initiative Hohenheimer Ernährungsinformation
Die Initiative Hohenheimer Ernährungsinformation, die durch einen wissenschaftlichen Beirat vertreten wird, sieht sich im Themenjahr 2011 der Universität Hohenheim als wichtiger Teil einer wissenschaftlich fundierten und unabhängigen Ernährungskommunikation.

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