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Vom Umgang mit Denkmälern in Marburg

Marburg 15.6.2011 (red) Bei einer Veranstaltung der IG MARSS  hat Hartmut Lange, Lehrer i.R. und Mitglied im Denkmalbeirat der Stadt Marburg in einem Vortrag zum Umgang mit Baudenkmälern in Marburg Gegenüberstellungen präsentiert. Er berichtete von Beispielen angemessenen Umgangs mit Objekten der gebauten Stadtgeschichte, deren Erhaltung und denkmalbezogener Restaurierung. Dem stellte der gegenüber Beispiele des Verlustes, der Vernachlässigung und des Abbruchs.
Gastbeitrag von Hartmut Lange. Wer sich regelmäßig und über längere Zeiträume im Stadtraum von Marburg bewegt und die historische Bebauung nicht alleine und verkürzend in Gestalt von Schloß, Elisabethkirche, Rathaus und alter Universität in seine Wahrnehmungen rückt, erlebt zwei konstrastierende Seiten des Umgangs mit gebauter und in Stein geronnener Stadtgeschichte. Zu benennen und beklagen ist Schwund, Verlust, Vernachlässigung und Beseitigung von Häusern, Objekten und Ensembles. Immer wieder gelingt es Bauherrren einen beseitigenden Eingriff in das historisch gewachsene und überlieferte Stadtbild zu begründen und durchzusetzen. Ein wertvolles und unersätzliches Baudenkmal verschwindet.

Es existieren positive Beispiele und viele Verluste sind zu beklagen

Zugleich gibt es Hauseigentümer, Architekten und eine interessierte Öffentlichkeit, denen Erhalt, Pflege und behutsame Restaurierung von denkmalgeschützten Gebäuden Anliegen sind. Damit erfährt dann der gesetzliche Auftrag wie die historische-ästhetische Verpflichtung zum Erhalt überlieferter Baukultur eine lebendige Bestätigung. Dafür gibt es in Marburg nicht wenige Beispiele. In den vergangenen zwei, drei, vier Jahren konnte durch konzertierte Aktionen bei der politischen Stadt Marburg Einlenken und Einsehen befördert werden. Der restaurierte Turnergarten, ein verhindertes Appartementhaus Am Grün und die artikulierte Kaufabsicht für den Kilian können als aktuelle Beispiele benannt werden.
Doch damit ist es nicht getan. Entwicklung geht immer weiter. In Marburg wird viel und durchgreifend, das Stadtbild verändernd, gebaut. Davon gehen ständige Bedrohungen für das Alte aus. Neues und allzu oft architektonisch Austauschbares und sogar Minderwertiges bedroht das gewachsene Antlitz und damit auch die Identität unserer Stadt. Dem keinen falschen Raum und billige, unkritische Zustimmung zu geben, widmet sich dieser Beitrag.

Hinweis: Die Fotografien und Hausbeschreibungen und sind Teil eines Vortrages bei einer Veranstaltung bei der IG MARSS am 16. Februar 2011. In dialogischer Präsentation wird dieser Vortrag von Angus Fowler und mir im Rahmen des Bildungszeltes an der Lahn am 17. Juni erneut präsentiert.

Letztlich sind es viele Marburger, die darüber entscheiden, wie mit der Stadt aktuell und in Zukunft umgegangen wird. Beispiele, solche und solche gibt es recht viele. Hier geht es um eine knappe Auswahl. Am Anfang steht eine Verlustmeldung.

Durch Abbruch zerstört: Haus Rosenstraße 9

Kulturdenkmal gemäß Paragraf 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen

Das Gebäude Rosenstraße 9 war ein wichtiges Zeugnis der baulichen Entwicklung des Nordviertels nach 1866, wie auch das verkannte und ebenfalls abgebrochene backsteinsichtige Nachbarhaus Rosenstraße 7. Im Gegensatz zur Rosenstraße 7 ist das Haus Nr. 9 unter Denkmalschutz gestellt worden und ist in die bis heute nicht gedruckt erschienene Denkmaltopographie eingetragen worden.

Haus Rosenstraße 9 im Februar 2010 vor dem Abbruch. (Foto Hartmut Lange)

Erbaut wurde das Haus vom Maurermeister Georg Heres als „Musterhaus“ und „Aushängeschild“ zu Werbezwecke für sein Bauunternehmen. Damit ist es ein Unikat von hohem baukünstlerischem Wert hinsichtlich der vielfältigen Möglichkeiten von Bildhauer- und Steinmetzkunst bei der Gestaltung von Fassaden. Es gibt kein vergleichbares Haus mehr in Marburg.
Die Rosenstraße 9 war das erste bruchsteinsichtige Haus in Marburg im 19. Jahrhundert. Auffallend waren die Neo-Renaissance-palladianischen Verzierungen an der West- und Südfassade aus Terrakotta-Sandstein. Dazu kam eine bildhauerisch aufwendig gestaltete dreigeschossige Balkonanlage an der Ostfassade, Rückseite.
Das Gebäude stellte in der Nordstadt den Versuch neuer Architektursprache dar. Es war ein außergewöhnlicher Bau. Bedeutsam seine Sozialgeschichte, die vorrangig in der Bewertung der Kulturdenkmaleigenschaft sich niedergeschlagen hat.
Im Haus lebte von 1876 bis 1884 der Marburger Professor Ferdinand Justi. Orientalist, vergleichende Grammatik und germanistische Philologie. Darsteller und Erforscher ländlich-bäuerlicherp Kultur in Hessen. Als Kind lebte dort dessen Sohn, der spätere Berliner Professor Karl Justi, Direktor der Nationalgalerie und von 1945 bis 1957 Direktor der Staatlichen Museen in Berlin.

Trotz der Eintragung und Würdigung in der Denkmaltopographie wurde die Bedeutung des Hauses vom Bauherrn, dem Magistrat und dem hiesigen Vertreter des Hessischen Landesamt für Denkmalpflege regelrecht ignoriert und in seinem hohen bauhistorischen Wert nicht im Ansatz in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Auch wurden keine weiteren Anstrengungen zur Erforschung der Bedeutung des Hauses unternommen. Das Haus wurde dem Neubauvorhaben der DVAG geopfert.
Vor wenigen Jahren wurde das Gebäude von seinem letzten Eigentümer May saniert. Es war weder baufällig noch in seinen Kellergewölben feucht. Es gab weder Risse im Fundament, noch in den Kellerdecken oder in den Sandsteinfußplatten. Einzige Auffälligkeit war die nördliche Fassade, die nach einen Bombenschaden Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts repariert werden musste. Weder Denkmalbeirat noch Denkmalamt haben dem Druck, das Haus abzureisen, stand gehalten und haben es letztendlich ohne Notwendigkeit aufgegeben.

Neubau anstelle des Kulturdenkmals Rosengasse 9

Mit heutigen bautechnischen Möglichkeiten hätte das Gebäude komplett in das Neubauvorhaben integriert und mit Ideenreichtum in die neue Nutzung einbezogen werden können. Die bautechnischen „Ausreden“, warum dies nicht möglich gewesen sei, können allesamt mit einer Vielzahl von Beispielen in Marburg widerlegt werden.

Erhaltung mit Ambitionen: Haus Schlosstreppe 1

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Dieses Haus wurde nach dendrochronologischem Gutachten 1418 erbaut und war wohl, wie andere Häuser in der Ritterstraße und Landgraf-Philipp-Straße, Sitz eines Adligen. Das Gebäude war vor der Sanierung in den späten 1970er Jahren in sehr schlechtem Zustand und konnte nur mit sehr hohem  Aufwand gerettet werden.

Bei den Sanierungsarbeiten fand man auf dem Dachboden im Fußgeschoss Geschäftspapiere des 18. und 19. Jahrhunderts, die im Staatsarchiv Marburg bewahrt werden. Bei der Baukonstruktion des Gebäudes von 1418 handelt es sich um den größten mittelalterlichen Ständerbau in Marburg. Die bau- und sozialgeschichtliche Bedeutung und die städtebauliche Lage am Kopf des  Marktplatzes, führten zu der Entscheidung, dass das Gebäude unbedingt zu erhalten sei. Es musste wieder instandgesetzt werden und einer neuen attraktive Nutzung zugeführt werden. Hier hat ein Architekt der „ersten Stunde“ mit sehr viel Gespür für gebaute Geschichte, ohne sonderliche Erfahrung, das Gebäude denkmalgerecht saniert und modernisiert.

Die Gebäudekonstruktion musste jedoch bei der Wiederherstellung der großen zweigeschossigen Halle im Erdgeschoss in Stahlbetonbauweise, statisch und  baukonstruktiv gesichert werden. Mit Einbau einer Empore als zweite Nutzungsebene für Gastronomie und eines neuen „Treppenhausturms“ ist dies verbunden worden. Zugleich ist dort eine denkmalgerechte Sanierung geleistet worden, weilalleine durch diese bauliche Maßnahme das stadtgeschichtlich bedeutsame Gebäude erhalten werden konnte.

Durch Abbruch zerstört: Steinweg 35 – Alte Post

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Im Hohlweg, „Loch“ genannt, war in der 2. Hälfte des 14. Jhd. ein Garten, der in den Besitz des Landgrafen kam. Es wurden dort vier Häuser errichtet, in denen sich der Bierausschank des Deutschen Ordens befand. Im Besitz der Stadt, wurde das nördlich Haus 1577 als Gasthaus „Zum Blauen Löwen“ mit städtischem Weinkeller erwähnt. 1747 verkaufte die Stadt das Gebäude an den Gastwirt Peter Matthäi. 1809 bis 1815 ließ Ludwig Matthäi die lange klassizistische Fassade als Prunkstück am Steinweg vor die Fassaden der zwei Renaissancebauten setzen.

Das abgebrochene Gebäude Steinweg 35, die Alte Post.

Unter der Familie Eucker wurde das Gasthaus 1854 auch Postamt. Mit dem Postneubau in der Bahnhofstraße wurde das Gebäude unter der Familie Eucker wieder zu einem Wirtshaus auf hohem Niveau. !929 kam das Gasthaus, jetzt erstmalig Alte Post genannt,  in den Besitz der Familie Göbel und blieb in ihrer Hand bis 1980.
Grundlegende Renovierungsarbeiten blieben aus, nach Brand und Insolvenz stand das Gebäude leer. Es wurde jedoch ein Sanierungskonzept für eine grundlegende und denkmalgerechte Sanierung und Modernisierung erstellt. Nach Freilegung der Gebäudekonstruktion wurde durch Initiative des Landesdenkmalpflegers ein Gutachten erstellt, das die Sanierungsfähigkeit in Frage stellte. In Folge hat ein bekannter Investor das Gebäude erworben und den Antrag auf Abbruch gestellt, der abweichend von bisheriger Sanierungspraxis genehmigt wurde. Das Gebäude wurde abgerissen, die mittelalterlichen Sandsteingewölbekeller aus der Zeit des deutschen Ritterorden, trotz Proteste, mit Beton verfüllt.

Ersatzneubau mit historisierender Fassadengestaltung an der Stelle der Alten Post als Lückschluss.

Es wurde ein Neubau errichtet, der auf Verlangen des Denkmalbeirates lediglich eine unmaßstäbliche Rekonstruktion der ehemaligen klassizistischen Fassade am Steinweg vorgesetzt wurde. Das stadtgeschichtlich bedeutsame Gebäude und die großen Kelleranlagen sind unwiederbringlich der Nachwelt verloren gegangen.

Mit denkmalgerechter Instandsetzung und Sanierung und neuer Nutzung gerettet: Markt 23, Brüder-Grimm-Stube

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen,künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Das Gebäude hat ein massives Erdgeschoss mit Eckquadern. Die dazugehörige  Fachwerkkonstruktion des 1. Obergeschosses konnte dendrochronologisch auf das Jahr 1499 datiert werden. Die historische Farbfassung der Fassade und im Inneren wurde auf die 2. Hälfte des 16. Jhs. datiert, und damit eine Aufstockung auf 3 Geschosse. Eine weitere Aufstockung erfolgte in der Mitte des 18.Jahrhunderts. 1924 wurde ein Brückenübergang aus Fachwerk zum Nachbarhaus, Markt 21, errichtet. Die Bau-und Sozialgeschichte des Hauses vom Mittelalter bis in unsere Zeit ist so umfangreich, dass die Darstellung den Rahmen sprengen würde. Hinweise zu zwei Marburger Persönlichkeiten, die mit dem Haus in Verbindung stehen, sind eine Erwähnung wert. Der berühmter Universalgelehrte, Christian Wolff, hat die Häuser am Markt 23 und 24 von der Familie Döring erworben, und seit 1724 bis zu seiner Rückkehr von Halle 1740, als Wohnhaus und Lehrort für seine Studenten benutzt. 1728 berichtet Wolff, dass sich über seiner „Studier-Stube“ das „Auditorium“ befand. 1897 wohnte in Markt 23 der berühmte Zauberkünstler Ludwig Strack, der Marburger „Bellachini“ (geb. 1861 in Ebsdorf, gest. 1930 in Marburg).

Spätestens seit 1918 befand sich das Haus im Besitz von Carl Hitzeroth, der dort Maschinenhaus mit Setzerei und Druckerei und Buchbinderbetrieb der Oberhessischen Zeitung, heute Oberhessischen Presse, betrieb, dessen Hauptsitz bereits im 19. Jh. im benachbarten Haus, Markt 21 sich befand. Dieses Haus am Obermarkt stand von Ende der 1960er bis Mitte der 1970er leer und verfiel zusehends, nachdem die Oberhessische Presse das Gebäude als Druckereigebäude aufgegeben hatte. Erst 1976 konnte im Zuge der erhaltenden Altstadtsanierung, die Rettung, Erhaltung, denkmalgerechte Instandsetzung und Modernisierung  in Angriff genommen werden. Zuvor hat die Stadt das Grundstück erworben.
Heute befindet sich im Erdgeschoß der städtische Ausstellungsraum, die Brüder- Grimm-Stube, und eine Altentagesstätte. In den Obergeschossen sind moderne Wohnungen.

Haus Markt 23 nach der Sanierung. Unten findet sich die Brüder-Grimm-Stube.

Die Sanierung des für die damalige Zeit als abbruchreif, für die Stadtgeschichte als bedeutsam und erhaltenswert eingestufte Haus, war ein Glücksfall. Nicht nur eine positive Einstellung zum Kulturerbe der Stadt seitens der Politik, dazu das Engagement eines jungen Architekten waren Grundlagen dafür. Dieser kam als Angestellter eines großen Architekturbüros mit großer Erfahrung in der Erhaltung und Sanierung von historischen Gebäuden nach Marburg. Er wollte Skeptikern beweisen, dass ein fast abbruchreifes Haus mit einem verhältnismäßigen Aufwand saniert werden kann. Dieses Pilotprojekt führte dazu, dass er in Folge heute mit weitem Abstand der Architekt mit der größten Erfahrung in der denkmalgerechten Altbausanierung ist.
Diese frühe Beispiel zeigt, dass es auch anders gehen kann, wenn der Wille artikuliert wird und fachliche Qualifikation vorhanden ist.

Stuckdecken verhinderten Abbruch: Mainzergasse 32/34

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Das Haus in der Mainzer Gasse hatte eine hohe Hausnummer wurde im Mittelalter als privates Wohnhaus von Professoren der Stadt genutzt. Der Name der Gasse bestand schon im 15. Jhd. und die jetzige Hausnummerierungen nach Straßen erfolgte 1884. Vorher gab es nach 1767 eine durchgehende Haus-Nummerierung für die ganze Stadt. Als das Haus im 19. Jhd. heruntergekommen war, diente es Arbeits- und Obdachlosenhaus.

Das Haus Mainzer Gasse 32-34 besteht erkennbar aus zwei Gebäudeteilen.

Das Gebäude besteht aus ehemals zwei eigenständigen Gebäuden aus der Zeit um 1580 und 1650. Bauhistorisch sind die für Marburg einmaligen Stuckdecken in der Eingangshalle des Gebäudeteils Nr.32 und im 1. Obergeschoss des Gebäudeteils von Nr. 34 wertvolle Zeitzeugen. Zu Beginn der Sanierung war der Abbruch nicht auszuschließen, weil die Bausubstanz, insbesondere die der Decken, sich in sehr schlechtem Zustand befunden haben. Die wertvollen Stuckdecken schlossen jedoch einen Abbruch aus, so dass zunächst eine Sicherung der Stuckdecken durch Reparatur der Deckensubstanz erfolgte. Ein Teil der Dachkonstruktion wurde fachgerecht abgezimmert, repariert und wieder aufgerichtet. So konnte der größte Teil der historischen Bausubstanz erhalten und denkmalgerecht wiederhergestellt und durch  einfühlsame und geschickte „zeitgemäße“ Ergänzungsmaßnahmen, wie der Anbau eines Wintergarten an der Gartenseite, die historische Qualitäten des Gebäudes hervorgehoben werden.

Haus Mainzer Gasse 32-34 im sanierten Zustand. (Foto Hartmut Lange)

Die neue Nutzung für Architekturbüro und Wohnen, trugen langfristig zur Erhaltung des Kulturdenkmals bei. ein Abbruch war aufgrund des sehr schlechten Erhaltungszustandes der Holzkonstruktion nicht ausgeschlossen. Die Sanierung erfolgte in den 1970er Jahren sorgsam durch die neuen Eigentümer Professor Klotz und Architekt Öesterle. Dieses Beispiel zeigt, dass Erhaltung und Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden, deren Bausubstanz sich in einem sehr schlechten Zustand befindet, bei sachgemäßer Planung und Engagement aller an der Sanierung beteiligten, nicht ausgeschlossen und machbar ist.

Durch Abbruch zerstört: Biegenstraße 3, Torhaus Schlachthof

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus  geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Viele, sogar fast alle Zeugnisse, der ohnehin in Marburg kaum vertretenen Industriearchitektur- und Kultur sind beseitigt worden, darunter mehrere öffentliche Gebäude. Insgesamt 12 bauliche Anlagen, sowohl unter Denkmalschutz stehend als auch von Denkmalwert, sind zerstört worden. Leider sind sie nur wenig erfasst und dokumentiert worden. So auch der ehemalige Schlachthof – hier insbesondere das stadtbildprägende Torhaus. Der Bau eines Schlachthauses wurde schon in kurhessischer Zeit diskutiert und bereits 1855 ein erster Entwurf aufgestellt. Der Bau wurde 1882 unter Stadtbaumeister Broeg begonnen und konnte der Fleischer-Innung zur Inbetriebnahme 1884 übergeben werden.

Torhaus zum ehemaligen Schlachthof in der Biegenstraße. Foto von Bildarchiv Foto Marburg, wie alle anderen historischen Fotografien in diesem Beitrag.

Nachdem der Großteil der Baulichkeiten des ehemaligen Schlachthofes beseitigt worden waren, blieb das Torhaus mit dem vorne angebrachten Ochsenkopf, einschließlich der hohen Einfriedungsmauer aus Ziegelstein erhalten. Es sollte in die städtebauliche Neugestaltung des Areals „Erlenringspange-Schlachthof-Stockgelände“ als Zeugnis der Ziegelstein-Industriearchitektur und als Erinnerung an den ersten städtischen Schlachthof, integriert werden. So sollte nach den Auslobungskriterien des städtebaulichen Architekturgutachtens im Jahr 1986 das Torhaus in die Wegebeziehung von den Parkierungsanlagen an der Erlenringspange zum geplanten Oberstadtaufzug am Pilgrimstein in das Passagenkonzept mit einbezogen werden.
Markant und für den Denkmalwert von Bedeutung war der Ochsenkopf aus Sandstein über dem  Sandsteinportal der Durchfahrt und das hochwertige Interieur, insbesondere die Fenster aus Eichenholz mit handwerklich sehr aufwändig gestalteten Beschlägen.
Das Grassiprojekt zur Neugestaltung dieses Bereiches wurde nicht weiter verfolgt, aber die Neuplanungen gingen weiter. Nachdem das „Biegeneck“ unter großem Protest der Bevölkerung abgerissen wurde und ein Hotelneubau entstanden war, kam die gegenüber liegenden Bebauung an der Reihe. Für das Cineplex-Kino und Kunsthalle, später dann für das Bankgebäude, mussten das Luisabad und das Torhaus weichen. Beinahe auch das Biedermeierhäuschen, das durch Initiativen einzelner BürgerInnen gerettet werden konnte. Die Stadt hatte die Gelände längst an gewinnorientierte Investoren verkauft und – wie Jahre später bei der Rosenstraße – den Denkmalschutz hinten angestellt.
Wenn schon die ursprüngliche Planung von Grassi nicht umgesetzt wurde, wäre die Integration in das neue Baukonzept mit Großkino und Kunsthalle bei etwas Ideenreichtum und Kreativität der Planer durchaus realisierbar gewesen. So ist auch dieses Zeugnis gebauter Industrie- und Architekturgeschichte für die Nachwelt verlorengegangen.

Denkmalgerechte Sanierung und Modernisierung mit Erweiterungsneubau: Lingelgasse 5

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Das stattliche dreigeschossige, giebelständige Haus aus Fachwerk auf Sandsteinsockel, an der Nordost-Ecke Reste mit Eckquaderung mit hervorgehobenem Diamanten-Muster, zeugt von der Bedeutung des Hauses in der  Erbauungszeit. Vor der Sanierung war das Untergeschoß verputzt. 2.und 3. Obergeschoß und der Giebel verschiefert, Krüppelwalmdach. Westlich zur Lahn hin bestand ein Fachwerk-Anbau mit steilem Dach, abgebrochen um 1955 und ersetzt durch einen ähnlichen Anbau mit einfacher Fachwerk-Konstruktion, jedoch mit Flachdach. Das Haus stand mehrere Jahre leer, seine Zukunft war ungewiss. Es konnte mit dem Nachbarhaus Nr. 5a und 5b gerettet und saniert werden.

Haus Lingelgasse 5 nach Snaierung mit modernem Anbau (Foto Hartmut Lange)

Von Marburger Institut für Bauforschung und Dokumentation (IBD) wurde das Objektuntersucht und dokumentiert. Nach dendrochronologischem Gutachten wurde das denkmalgeschützte Fachwerkhaus um 1620 erbaut. Der einfache Fachwerk-Anbau wurde durch einen massiven Neubau mit moderner Stahl-Glas-Konstruktion und Steildach ersetzt, der sich gegen das historische Gebäude absetzt, ohne das Kulturdenkmal in seinem Erscheinungsbild zu beeinträchtigen.
Wesentlich bei der Bewertung der Gesamtmaßnahme unter denkmalorientierter Betrachtung ist die baukonstruktive und statische Sicherung des denkmalgeschützten Fachwerkgebäudes während des Abbruch des Anbaus. Auch die Errichtung eines Neubaus als Anbau mit einer tieferen Gründung, also die Erhaltung und Sicherung eines historischen Gebäudes unmittelbar an einer tiefen Baugrube, ist möglich, wie sich dort gezeigt hat.

Durch Abbruch zerstört: Pilgrimstein 35 Luisabad – das erste Hallenbad

Kulturdenkmal gem.§ 2 Abs.1 DSchG aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen

Schon Anfang des 14. bis ins 19. Jhd. bestanden im Bereich und in der näheren Umgebung des Luisa-Bades am Pilgrimstein mehrere Badestuben im privaten, seit dem späten 14. Jh. im landgräflichen Besitz. Im 19. Jh. bestanden mehrere Badeanstalten an der Lahn. Schon vor 1914 wurde der Bau sowohl eines Sommerbades an der Uferstraße wie eines städtischen Hallen-Schwimmbades am Pilgrimstein diskutiert. Unterlagen und Informations-Material über Hallenbäder in anderen Städten wurden eingeholt. Der Bau in einfachen Formen (Neue Sachlichkeit/Expressionismus) wurde verstärkt ab 1924 betrieben. 1927 bis 1929 wurde der Bau des Luisabades realisiert – in zeitlichen Rahmen parallel zu anderen Bauten zum Universitäts-Jubiläum 1927, insbesondere dem „Jubiläumsbau“, Universitäts-Museum / Ernst-von-Hülsen-Haus.

Das Luisabad als Gesamtanlage

Der erste Entwurf und Planung für technische Ausstattung wurde vom Fach-Architekten für Bäderbau Otto Immendorff aus Hildesheim erstellt. Für die Bearbeitung der äußeren Gestaltung und der Fassaden, konnte der bekannte Denkmalpfleger und Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt, Paul Meißner (1868- 1939 ) auf Vorschlag des Preußischen Staatskonservators Hiecke gewonnen werden. Einziger, aber „monumentaler“ Blickfang und Fassadendekor, war das Sandstein- Eingangsportal mit dem städtischen Wappen im Relief darüber, hergestellt von dem durch Prof. Meißner bestellten Prof. Jobst, ebenfalls Darmstadt. Besonders gelobt wurde die moderne Sonnen-Terrasse.

Finanziert wurde der Bau überwiegend durch  großzügige private Spenden, vor allem durch die Stiftung des Geheimen Regierungsrates Dr. mult.h.c. Adolf Haeuser (1857-1938 ), 1916-1925 Generaldirektor der Farbwerke Höchst und Vorsitzender des Marburger Universitätsbundes, und seiner Frau Luisa, geb.König (1869-1953). Prof. Haeuser verfügte, dass das Hallenbad nach seiner Frau benannt wird. Die Inschrift befand sich über dem Portal des Haupteingangs.

Der Abbruch des Gebäudes wurde mit angeblicher Baufälligkeit zu Gunsten des Neubaus für ein Gebäudes der VR-Bank „begründet“. Tatsächlich ist das Gebäude nachweislich nicht baufällig gewesen und hätte baulich saniert und mit vertretbaren Aufwand auf den Stand der Bädertechnik gebracht werden können. Das wird dadurch untermauert, dass die städtebaulichen Planungen für das Gebiet „Erlenringspange-Schlachthof-Stockgelände“ im Rahmen eines Gutachterverfahren im Jahr 1986 die Erhaltung des Gebäudes als Hallenbad in der Auslobung vorsahen. Dies wurde von den anderen teilnehmenden Planungsbüros berücksichtigt, insbesondere in die Einbeziehung in das Hotelprojekt.
Auch der Siegerentwurf des Stararchitekten Georgio Grassi aus Italien hat eine Erhaltung und weitere Nutzung des Hallenbades vorgesehen. Erneute und unnötige, wiederum hohe Kosten verursachende Planungen, in den 90ziger Jahre und eine abweichende Umsetzung der Baumaßnahmen, ignorierten alle stadtbildgerechten Ergebnisse des Gutachterverfahren von 1986.

Ein Bankgebäude am Ort des vormaligen Luisabades. (Foto Hartmut Lange)

Das erste Marburger Hallenbad, das zu dem noch durch eine Stiftung eines Marburger Ehepaars finanziert wurde, ist ohne Not unwiederbringlich zerstört worden.

Eine anstehende Aufgabe Landgraf-Philipp-Straße 1

Kulturdenkmal gem. § 2 Abs.1 aus geschichtlichen und städtebaulichen Gründen, kein Kulturdenkmal, jedoch Teil der Gesamtanlage hist. Altstadt, gem. § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Umgebungsschutz

Der denkmalgeschützte Gebäudekomplex Landgraf-Philipp-Straße 1 mit einem neogotischen Kapellenanbau ist unter Einbeziehung der archäologischen Reste des Adelshofes von großer stadtgeschichtlicher Bedeutung. In diesem Bereich der Stadt am Burgberg wurden viele Gebäude im 30jährigen Krieg um 1646/47 zerstört und danach abgebrochen. Die Reste der Adelshöfe wurden an die Stadt Marburg als Baumaterial verkauft.

Das Anwesen Landgraf-Philipp-Straße 1 präsentiert sich als Gesamtanlage. (Foto Hartmut Lange)

In diesem Bereich ist für die eindrucksvolle Liegenschaften alles daranzusetzen, die bauliche Anlage zu erhalten. Als Nutzung nach dem Auszug der alten Menschen in die neue Wohnanlage  in der Lahnstraße ist meiner Meinung nach die intakte Wohnanlage ohne große Investitionen für studentischen Wohnen prädestiniert. Das Gebäude Ritterstraße 1 aus den 1960er Jahren und das Freigelände dahinter können nach Ausgrabung der Reste des Adelshofes und Öffnung der Gewölbekeller als archäologischer Park gestaltet werden. Die Umgestaltung dieses historischen Ortes kann eine Bereicherung der Sehenswürdigkeiten in der Altstadt erbringen und als touristische Attraktion ein weiterer Anlaufpunkt für Stadtführungen werden.

Kriterien für die Klassifizierung als Kulturdenkmal

Zum Abschluss einige Informationen, wie ein Gebäude Kulturdenkmal wird. Zunächst muss ein Antrag für die Aufnahme in das Denkmalbuch beim Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden gestellt werden. Dann wird das Objekt von Experten des Landesamtes wissenschaftlich untersucht. Kriterien für die Aufnahme in das Denkmalbuch können sein
Geschichtliche Gründe

  • der Rechts- und Sozialgeschichte
  • als Stätte des Wirkens bedeutender Persönlichkeiten aus Politik oder Geschichte

Künstlerische Gründe

  • künstlerische Inspiration und Gestaltung
  • Kunstrichtung, Stilepoche,Baugeschichte
  • Städtische Gebäude, wie Rathäuser, Parks
  • Befestigungsanlagen, aber auch Bauernhäuser, Katen, Scheunen sowie Mietshäuser, Villen. Innenausstattungen aller Art

Technische Denkmäler

  • Ingenieurkunst, technisch herausragende Bauwerke
  • Fertigungsmethoden
  • Belege von herausragenden Erfinder und Ingenieurpersönlichkeiten

Städtebauliche Gründe

  • Orts- und Landschaftsbild
  • Straßen und Platzbild
  • Siedlungen und Stadtbezirke
  • Ensembleschutz, Gesamtanlagen

Wissenschaftliche Denkmäler sind Gegenstände oder Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in sämtlichen wissenschaftlichen Gebieten.
Wird nur eines der obigen Kriterien positiv begutachtet, ist bereits der Tatbestand der Denkmalwürdigkeit erfüllt und das beantragte Objekt wird in das Denkmalbuch bzw. die Denkmaltopographie aufgenommen. Je mehr Kriterien erfüllt sind, um so wertvoller ist ein Objekt.

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