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Alte Lehrkonzepte von Hochschullehrern neu definiert

Marburg 1.6.2012 (pm/red) Hochschullehrer aus Bielefeld, Heidelberg und Marburg haben sich zusammengetan, um eine alternative Form von Vorlesungen zu propagieren, die sich auf Videos im Internet stützt. Professor Jürgen Handke von der Philipps-Universität Marburg, Professor Jörn Loviscach von der Fachhochschule Bielefeld und Professor Christian Spannagel von der PH Heidelberg verfolgen das Konzept eines ‚umgekehrten Klassenzimmers‘ (Inverted Classroom oder Flipped Classroom).

Vorlesungen gelten als das klassische Zentrum des Hochschulstudiums. Auf die ‚Vorlesungsform für das 21. Jahrhundert‘, dem sich die drei Wissenschaftler verschrieben haben, trifft dies jedoch nicht zu. Mit Videos von Vorlesungen und anderen Lernhilfen im Internet bereiten sich die Studentinnen und Studenten vor. Statt einer frontalen Vorlesung zu lauschen, diskutieren und arbeiten sie dann im Hörsaal in kleinen und großen Gruppen oder im Plenum.

Aber präparieren sich die Studierenden auch tatsächlich für die Plenumsveranstaltungen? Handke, Loviscach und Spannagel bejahen dies einhellig. „Mit Freude sehe ich die Herleitungen und Diagramme, die die Studentinnen und Studenten beim Arbeiten mit den Videos in die Lückentext-Skripte eintragen, die ich für Mathematik und Informatik bereitstelle“, erklärt Loviscach. Seine Videos enthalten regelmäßig Fragen zum Mitdenken und Mitarbeiten. In Marburg arbeitet man demgegenüber mit begleitenden Übungsaufgaben, um sicherzustellen, dass die Videos nicht unbeachtet vor sich hin laufen.

„Über 90 Prozent der Studierenden würden dieses Veranstaltungskonzept weiterhin wählen, wenn man sie vor die Wahl stellen würde“, sagt Mathematikdidaktiker Spannagel, der wie seine Kollegen seine Vorlesungen aufzeichnet und dann für jedermann abrufbar auf der Internetplattform YouTube hochlädt. Der Vorteil: Die Studierenden können sich die Vorlesung in Ruhe zu Hause ansehen und das Video anhalten oder zurückspulen, wenn sie etwas nicht mitbekommen haben oder um einen Aspekt nochmals zu durchdenken. Im Hörsaal ist dann Zeit, um auf die Fragen der Studierenden einzugehen oder gemeinsam Aufgaben zu lösen und zu besprechen.

Wird der Professor durch die Bereitstellung von Vorlesungsvideos künftig überflüssig? Die drei sind sich sicher: Keinesfalls! Eher im Gegenteil. Die Diskussionen, die in den Plenumsveranstaltungen aufkommen, bedürfen der Lenkung durch einen professionellen Experten. „Auf die Probleme, Fragen und Diskussionsanlässe, die von Studierenden eingebracht werden, kann man sich kaum vorbereiten“, konstatiert Loviscach. Man müsse mit beiden Beinen im Stoff stehen, um im Plenum flexibel agieren und reagieren zu können. „Das ist viel schwieriger, als einen 90-minütigen Vortrag zu halten.“

Alle drei haben für die Umsetzung ihres erfolgreichen Konzepts keine nennenswerte finanzielle Unterstützung benötigt, lediglich Handke konnte mit einer Anschubfinanzierung durch das Bundesforschungsministerium in den Jahren 2000 bis 2006 seine Lernplattform ‚The Virtual Linguistics Campus‘ entwickeln, die heute das Rückgrat des anglistisch-linguistischen Lehrangebots darstellt. Es müssen also nicht immer die Millionen sein. Mit Graswurzel-Aktivitäten, die auf dem persönlichen Engagement des einzelnen Hochschullehrers beruhen, kommt man auch ohne Geld sehr weit.

„Letztlich ändert sich nur die Arbeitsweise des Professors im Wesentlichen“, sagt Loviscach, der eigene Software entwickelt, die ihn bei der Aufzeichnung unterstützt. Die Produktion der Videos wird zum großen Teil nebenher geleistet. „Meine Vorlesung wird von einer studentischen Hilfskraft aufgezeichnet“, erklärt Spannagel, „ich halte also eine traditionelle Vorlesung, um diese aufnehmen zu lassen; in den Folgesemestern kann ich dann die Videos nutzen.“

Für einen Professor, der einmal seine Vorlesung umgedreht hat, gibt es kein Zurück. „Das Konzept liegt aber nicht jedem Kollegen”, sagt Handke, „denn man muss ein gehöriges Maß an Kritik einstecken können.“ Schließlich werden Fehler in YouTube-Videos gnadenlos kommentiert. „Für jede Ungenauigkeit und jedes Problem findet sich ein Zuschauer, der es bemerkt und ‚anmeckert‘“, ergänzt Loviscach. „Und das ist ein großer Vorteil“, betont Spannagel, „denn schließlich sollen Fehler ja bemerkt und korrigiert werden.“ Die Lehre in der Öffentlichkeit fordere ständig neue Bestleistungen. „Ich merke, wie meine E-Lectures ständig besser werden“, erklärt Handke.

Bildunterschrift: Die drei Professoren Loviscach, Handke und Spannagel (von links) in Aktion: Videoausschnitte aus YouTube.

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