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IG MARSS artikuliert deutliche Bedenken zum neuen Gestaltungsbeirat

Marburg 27.6.2012 (pm/red) Die Redaktion veröffentlicht nachstehend eine Pressemitteilung der Initiativgruppe Marburger Stadtbild und Stadtentwicklung (IG MARSS) ungekürzt. Darin wird die in der Sitzung der Stadtverordneten am 29. Juni 2012 anstehende Berufung von Mitgliedern in den neuen Gestaltungsbeirat kritisiert. Insbesondere wird eine andere Besetzung zur Berufung eines ‚Sachkundigen Bürgers‘ gefordert:
Die IG MARSS begrüßt ausdrücklich die Einrichtung eines neuen Gestaltungsbeirats nach Modellen in Regensburg und anderen Städten. Sie hat mit einer Informationsveranstaltung 2008 und einem Satzungsentwurf konstruktiv daran mitgearbeitet. Da innerhalb der baugesetzlichen Vorgaben jedermann gestalterisch bauen kann wie er will und das Einfügungsgebot des §34 BauGb von Verwaltung und Denkmalamt oft nicht konsequent genug eingefordert wird, ist ein Gestaltungsbeirat die einzige Möglichkeit einer Stadt, Bausünden im Vorfeld durch Optimierung von Planungen zu verhindern. Dafür braucht sie die besten Fachleute, die sie bekommen kann. Umso mehr bedauert die IG MARSS, dass für die Umsetzung der im Januar beschlossenen Satzung  offenbar ein Konsens aller Parteien nicht möglich ist und von verantwortlicher Seite bereits jetzt nicht akzeptable Weichen gestellt werden sollen:

Sie beobachtet mit großer Sorge, dass bereits im Vorfeld deutlich gemacht werden soll, dass der Gestaltungsbeirat weiterhin als Einrichtung der Regierungskoalition allein betrachtet wird. Anders kann sich die IG MARSS die – bisher nicht korrigierte – Äußerung des Oberbürgermeisters (noch Mitglied des alten Gestaltungsbeirats) bei der Vorstellung der Stadthallenplanung in der letzten Woche nicht erklären, derzufolge der neue Beirat über die Stadthallenplanung (lediglich) informiert würde, für anderes sei es schon zu spät. Dieses für Marburg so wichtige Projekt kann nach Ansicht der IG MARSS in seinem äußeren Erscheinungsbild noch erheblich optimiert werden. Wenn sich Marburg schon vielen anderen Städten angeschlossen hat und einen hochkarätig besetzten Beirat einrichtet, dann sollte man doch die Chance nutzen, zu allererst das Stadthallenprojekt diesem Beirat vorzulegen. Immerhin ist der Bauträger die Stadt und daher bestehen überhaupt keine Barrieren, Empfehlungen des Beirats auch umzusetzen. Den Beirat künftig nur als Begutachter von Fassadenentwürfen einzusetzen, würde seiner Aufgabe und Qualifikation nicht gerecht.

Dass ein solcher Beirat, der sich der Qualifikation von Architekten, Städteplanern und Landschaftsarchitekten von Rang versichern will, andere Kosten verursacht als ein Beirat, der sich aus Bürgern zusammensetzt, die sich für das Gemeinwohl engagieren, wurde schon auf unserer Veranstaltung 2008 von der Geschäftsstellenleiterin des Regensburger Beirats bestätigt. Die in der Parlamentsvorlage genannten (Honorar-)Sätze sind durchaus üblich und nicht einmal im oberen Bereich. Sie sind angemessen für eine Stadt wie Marburg, die in der Verantwortung steht, ein einzigartiges historisches Stadtbild und sein Umfeld zu bewahren.

Die IG MARSS wundert sich daher über die ablehnende Haltung der Opposition. In den vergangenen Jahren hatte die IG MARSS den Eindruck, dass Vertreter der Oppositionsparteien für den Einsatz der IG MARSS um die Erhaltung des Stadtbilds Verständnis und Unterstützung zeigten. Die Aufwendungen für den neuen Gestaltungsbeirat sind geringer als die von Oberbürgermeister Vaupel angekündigte erneute Bewerbung um den Welterbestatus der UNESCO. Die dafür angesetzten 50.000 Euro sind nach Meinung der IG MARSS ohnehin in ein aussichtsloses Unternehmen investiert und ein Zugeständnis, dass unter den klaren Richtlinien der UNESCO für das Umfeld der Stätten eine erneute  Bewerbung für die Altstadt und Elisabethkirche aufgrund der Bausünden der letzten 15 Jahre chancenlos wäre.

Laut Satzung soll neben vier hochqualifizierten Beiratsmitgliedern ein ’sachkundiger Bürger‘ mit Stimmrecht im Beirat vertreten sein. Auf der im Internet veröffentlichten Vorschlagsliste für den Wahlvorbereitungsausschuss am kommenden Freitag ist dafür nur eine Person vorgeschlagen, und zwar vom kunstgeschichtlichen Institut der Universität Marburg – die im alten Beirat schon die Nachfolge von Prof. Krause angetreten hatte.
Der Wahlvorschlag begründet dies damit, dass nur eine Bewerbung für diese Position vorgelegen habe und man dies in Fortsetzung einer alten Zusammenarbeit mit Prof.Heinrich Klotz sähe. Der allerdings hatte Marburg lange vor Errichtung des alten Beirats verlassen und damals mit Stadtplaner Fichtner zusammengearbeitet.

Die IG MARSS stellt dazu fest:

  • Es wurde den Marburger Bürgern, Vereinen und Verbänden überhaupt keine Gelegenheit (durch entsprechende Information der Öffentlichkeit) gegeben, sich selbst oder andere für diese Position des ‚Sachkundigen Bürgers’ vorzuschlagen. Die Annahme nur einer internen Bewerbung widerspricht daher demokratischen Grundsätzen. Wir fordern ein offenes Verfahren.
  • Der ‚Sachkundige Marburger‘ Bürger sollte wie alle anderen Beiratsmitglieder unabhängig von Parteien, Wirtschaft und sonstigen Interessen sein. Ein Mitglied der Universität – als solches erfolgt offenbar die Entsendung  – wird zwangsläufig auch die Position der Universität und ihrer Präsidentin vertreten, die auch in den nächsten Jahrzehnten sehr umfangreiche Baumassnahmen in Marburg durchführen wird. Durch bisherige Umgehung einer Bürgerbeteiligung bei den Planungen zur Bebauung des ehemaligen Brauereigeländes mit Sprachatlas und Juristischer Fakultät hat die Universität bereits gezeigt, dass sie von ihren bisherigen bürgernahen Beteiligungsverfahren bei der Campus-Planung abrücken will. Der ‚Sachkundige Bürger‘ kann somit kein Mitglied der Universität sein, auch als fachliches Beiratsmitglied kann er aufgrund der Satzung nicht gewählt werden (Ausschluss von in Marburg lebenden Personen).

Die IG MARSS hatte der Geschäftsstelle des Beirats insgesamt drei Mitglieder vorgeschlagen. Einer der Vorgeschlagenen wurden von der Geschäftsstelle kontaktiert, ein weiterer hatte bereits abgewinkt. Unser dritter Vorschlag, die durch Süddeutsche Zeitung und ZEIT, sowie zahlreiche Preise von Architektenkammern und Denkmal-Institutionen bestens profilierte und an der Aufgabe in Marburg interessierte Architekturkritikerin Ira Mazzoni, wurde überhaupt nicht wie die anderen Interessenten kontaktiert, damit sie eine Bewerbung einreichen konnte.  Die Fachkompetenz für Architektur ergibt sich nicht nur aus der beruflichen Tätigkeit als Architekt(in). Auch diese Vorgehensweise halten wir für nicht akzeptabel.

Dieser neue Gestaltungsbeirat wird  schon vor Aufnahme seiner Tätigkeit durch Einflussnahme der Koalitionspartner und der Verwaltung unnötig belastet. Wir sehen auch, dass sich der Magistrat zunehmend von früheren Zusagen intensiver Bürgerbeteiligung entfernt. Mussten die Marburger schon hinnehmen, dass die DVAG Bauten, ohne ausreichende und den Konsens suchende Bürgerinformation vor Baubeginn, unter Umgehung denkmalschutzrechtlicher Vorgaben des Einfügungsgebots errichtet werden konnten, wurde nun in einem mit Informationen überladenen und beteiligungsfreien Stadtforum die vermutlich künftige Haltung der Stadt vorgegeben. Der Beirat werde informiert. Von Beteiligung auch dort keine Spur. Die IG MARSS hofft, dass sich der neue Beirat diesen Tendenzen widersetzen wird.

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