Ein Masterplan für den sozialen Wohnungsbau ist angesagt – Informationsabend ‚Sozialer Wohnungsbau in Marburg‘
Marburg 13.9.2012 (yb) Eine aktuelle Studie belegt es: In Deutschland fehlen 4 Millionen Sozialwohnungen. Nur jeder fünfte finanzschwache Haushalt hat derzeit überhaupt die Chance, eine Sozialmietwohnung zu bekommen. Errechnet wurde ein aktueller bundesweiter Bedarf von rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen. Derzeit seien allerdings lediglich 1,6 Millionen auf dem Wohnungsmarkt verfügbar, berichtet die vom Pestel-Institut erstellte Studie ‚Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland‘. Zu dem Problem gehört, dass in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr vom Markt verschwunden sind. „Wenn der Aderlass bei den Sozialwohnungen sich mit diesem rasanten Tempo fortsetzt, dann werden wir bereits Ende dieses Jahres die 1,5-Millionen-Marke unterschreiten,“ lautet die düstere Prognose. Verantwortlich für diese Entwicklung ist die Tatsache, dass immer mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus fallen. Dem gegenüber werden gegenwärtig nur rund 30.000 Sozialwohnungen mit Preis- oder Belegungsbindungen in den Markt gebracht, davon nur noch rund 10.000 neu gebaute Sozialmietwohnungen. Um wenigstens den aktuellen Bestand von 1,6 Millionen Sozialwohnungen zu halten, brauchte man jährlich mindestens 130.000 neue Wohneinheiten. Der Bund, die Länder und die Kommunen als Akteure gleichermaßen gefordert, lautet das Resümee. So stehen sich zwei Entwicklungen gegenüber. Immer mehr Menschen verdienen immer weniger – mit der unbestrittenen Folge, dass für Millionen Menschen eine wachsende Verarmung im Alter bevorsteht. Neben steigenden Energiekosten werden steigende Mieten ein erträgliches Leben im Alter mit Würde vollends vereiteln. In Hessen werden 271.000 weitere Sozialwohnungen gebraucht Dieser aktuellen Studie zufolge fehlen in Hessen 271.000 Sozialwohnungen. Insgesamt werden für unser Bundesland nur 128.000 Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt. Das Pestel-Institut beziffert den aktuelle Bedarf jedoch auf 399.000 Wohnungen. Dabei gilt auch in Hessen, dass besonders Geringverdiener, Alleinerziehende und Rentner auf Sozialwohnungen angewiesen sind. So führt an einem Neubau zusätzlicher Wohnungen kein Weg vorbei, wenn nicht sehenden Auges eine neue Wohnungsnot zugelassen werden soll. Eine Modernisierung mit gedeckelten Mieten und der Ankauf von Belegungsrechten von seiten der Landesregierung könnten zudem wirksame Massnahmen sein. Sozialer Wohnungsbau in Hessen auf dem Abstellgleis DIE LINKE hatte eine Kleine Anfrage betreffend der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus an die Landesregierung gestellt. Von der Antwort zeigt sich die Partei jedoch enttäuscht. Hermann Schaus, Parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Hessischen Landtag, erklärte dazu: „Der Bestand an Sozialwohnungen in Hessen hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu halbiert. Die Zahl sank von 205.907 auf 123.028. Die Prognosen bis Ende 2015 sagen einen Rückgang um weitere 25.000 voraus. Diese Zahlen belegen die Untätigkeit und das Desinteresse der verantwortlichen Landesregierungen in Sachen Wohnungspolitik. Eine soziale Wohnungspolitik muss darauf ausgerichtet sein, diesen Trend umzukehren. Besonders Familien mit geringem Einkommen muss ausreichend preiswerter Wohnraum zur Verfügung stehen. Nur dadurch kann auch der überproportionalen Steigerung der Mieten privater Wohnungen, insbesondere im Rhein-Main-Gebiet, entgegengewirkt werden.“ In den vergangenen 12 Jahren seien jährlich durchschnittlich 5.000 Wohnungen aus der Sozialbindung herausgefallen, so Schaus. Besonders dramatisch sei der Rückgang in den Großstädten Frankfurt (Minus 8.539 WE), Wiesbaden (Minus 4.249 WE), Kassel (Minus 2.567 WE) und Offenbach (Minus 1.469 WE). Das entspreche einer Reduzierung zwischen 25 bis 30 Prozent. Hessenweit würden die Mieten steigen, weil die Landesregierung den sozialen Mietwohnungsbau seit Jahren hintenanstellt. Den Kommunen habe die Landesregierung im letzten Jahr die Fehlbelegungsabgabe gestrichen. Damit würden jährlich 17 Millionen Euro weniger an Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen.
Angst vor der Bronx in Frankfurt?
Frankfurt investiere anders als viele hessische Gemeinden Millionenbeträge in den sozialen Wohnungsbau, berichtet die Frankfurter Allgemeine in ihrer Online-Ausgabe. Damit würde die entsprechende Klientel angezogen, weshalb die Stadt die umliegenden Kommunen stärker in die Pflicht nehmen wolle. Als Ausdruck dafür wird auf Hochhaussiedlungen wie den Atzelbergplatz am Rande von Seckbach verwiesen. Dort würden soziale Brennpunkte entstehen. „Samstagnachmittag ist es in dem Quartier, das einmal auf dem besten Weg zur ‚Frankfurter Bronx‘ war, richtig friedlich. An der westlichen Ahornstraße in Griesheim gleichen die gelben Wohnblocks wie ein Ei dem anderen. Auf den Balkons stehen Sonnenschirme und Satellitenschüsseln. Vor der Trinkhalle mit dem traulichen Namen ‚Ahornstübchen‘ haben sich ein paar Anwohner versammelt. Das Handtuch noch über den Schultern, legen einige auf dem Rückweg vom Fußballplatz schräg gegenüber hier eine Pause ein. Diesem Viertel soll gedroht haben, ein Getto zu werden? An der Ahornstraße wurde dies verhindert, trotz einer hochproblematischen Wohnsituation,“ berichtet die Zeitung. In Frankfurt soll es 33.520 Sozialwohnungen geben, nur noch. Denn im Jahr 2000 sind es noch fast 43.000 gewesen. Frankfurt investierte 2008 gut 37 Millionen Euro in die Förderung von Wohnraum. Andere Städte in der Region sind aus dem sozialen Wohnungsbau fast völlig ausgestiegen. So werden im Hochtaunuskreis etwa seit Jahren kaum Sozialwohnungen gebaut. In Frankfurt bemüht man sich, Sozialwohnungen im Stadtgebiet zu verteilen, um Monostrukturen zu vermeiden. Mittels Ankauf von Belegungsrechten in bestehenden Quartieren könnten Nachteile eines konzentrierten Neubaus von Sozialwohnungen vermieden werden, ist dabei eine auf Alternativen zum Neubau gerichtete Sichtweise.
Wohngeldzahlungen in Hessen größer als Aufwendungen für Sozialwohnungen Im Bundesland Hessen wurden 2007 für Wohngeld 54 Millionen Euro zur Verfügung aufgewendet. Für die soziale Wohnraumförderung wurden dagegen lediglich 52 Millionen Euro ausgegeben. Der Blick in Wirklichkeit von Marburg offenbart schnell, dass hier über die Jahre ein großer Handlungsbedarf entstanden ist. Die Wohnungsbaugesellschaften sollten besser in Wohnungs-Verwaltungsgesellschaften umbenannt werden. Denn von Wohnungsbau in nennenswertem Umfang kann seitens der öffentlichen Gesellschaften schon lange nicht mehr die Rede sein. Dass dies mit geringer Förderung des Landes und des Bundes im Zusammenhang steht, ist unbestritten. Doch mit solchen Verweisen wird die Wohnraumfrage in Marburg nicht gelöst. Wenn sich die Universität im universitären Standortwettbewerb um wachsende Studierendenzahlen bemüht, muss auch zusätzlicher neuer Wohnraum geschaffen werden.
Veranstaltung zur neuen Wohnungsnot in Marburg
So dürfte es am Freitagabend spannend werden im Sitzungssaal der Stadtverordneten. Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, dramatisch gestiegene Mieten und ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum führen dazu, dass sich auch in Marburg Geringverdiener das Wohnen in der Innenstadt kaum noch leisten können. Unterdessen hat die Politik die Wohnraumversorgung weitgehend dem freien Markt überlassen und sich aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften begnügen sich mit der Pflege des Bestands. Und auslaufende Mietpreisbindungen verschärfen den Druck auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich.
Neue Impulse für den sozialen Wohnungsbau scheinen deshalb dringend geboten, um eine drohende Wohnungsnot in Marburg zu verhindern. Welche Antworten und Optionen haben Politik und Verantwortliche? Dieser Frage widmet sich die Diskussionsveranstaltung ‚Sozialer Wohnungsbau in Marburg‘ am Freitag, 14. September, ab 19 Uhr in der Barfüßerstraße 50. Veranstalter sind die Arbeitsgruppen Nachhaltige Stadtentwicklung, Ökologie und Verkehr der Lokalen Agenda 21.