Hessens größtes Planetarium ab November 2024 wieder geöffnet

14.11.2024 (pm/red) Mit vielfältig intergalaktischen Programmen samt neuer Musikshow können Besucher in Hessens größtem Planetarium ab  1. November 2024 wieder zu fernen Galaxien reisen. Am 23. Oktober haben Wissenschaftsminister Timon Gremmels und Direktor Martin Eberle …

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Denn der Volksgerichtshof war nur die Spitze des Eisbergs – Die Verfolgten der politischen NS-Strafjustiz in Hessen

Marburg 16.9.2012 (yb) Das Rechtswesen oder Teile davon wurden und werden mitunter gerne als Staatswissenschaft bezeichnet. Darin artikuliert sich eine enge Verflechtung und Überlagerung juristischer Anliegen mit solchen des Staates. Das Recht ist ein Herrschaftsinstrument des Staates. Wozu sowohl das Recht im Sinn von Gesetzgebung und von Rechtssprechung als auch zentrale Organe der Rechtssprechung, zur rigorosen Durchsetzung politischer Interessen, Verfolgung, Kriminalisierung und Bekämpfung als ‚Staatsfeinde‘, ‚Landesverräter‘ mißbraucht wurden, veranschaulicht und belegt eine neue Publikation der Historischen Kommission für Hessen. Als Band 65,3 legen die Herausgeber Wolfgang Form, Theo Schiller und Karin Brandes mit ‚Die Verfolgten der politischen NS-Strafjustiz in Hessen. Ein Gedenkbuch‘ eine opferorientierte Betrachtung vor. Es gab im NS-Regime eben nicht nur den Volksgerichtshof mit dem berüchtigten Roland Freisler und dessen Urteilen. Neben diesem höchstem Gericht in Nazi-Deutschland waren die Oberlandesgerichte Darmstadt und Kassel mit zahlreichen Fällen von Hochverrat und Landesverrat befasst und habe das ihre zur Verfolgung beigetragen.

Das neue Gedenkbuch dokumentiert und publiziert das Verfolgungsschicksal von insgesamt 3.834 Frauen in Männern. Sie lebten in hessischen Orten oder angrenzend. Wegen der Vorläufer des erst nach 1945 konstituierten Bundeslandes Hessen orientiert sich das Buch an Gebietszuständigkeiten der Oberlandesgerichte. In der umfassenden Einleitung und den Benutzerhinweisen erfährt Leser den Aufbau der damaligen Justiz und ihre Instrumentalisierung als Verfolgungsinstrument. „In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, in welchem Maß die NS-Strafjustiz dem diktatorischen Regmime gedient hat. Die neuen Forschungen haben sichtbar gemacht, wie schwammige Rechtsvorschriften drastische Bewertungen einfacher Handlungen ermöglichten und Urteil mit extremen Strafmaß gesprochen wurden.“ In dieser Einschätzung der Herausgeber ist etwa mit umschrieben, dass vom Volksgerichtshof gegen 69 Personen aus Hessen die Todesstrafe verhängt wurden. Vom Oberlandesgericht Kassel wurden 15 Todesurteile ausgesprochen.

Das umfassende Gedenkbuch ist Ergebnis eines langjährigen interdisziplinären Forschungsprozesses. Als deren Ergebnis sind zunächst im Jahr 2005 erschienen: Wolfgang Form/Theo Schiller (Hrsg) Politische NS-Justiz in Hessen. Die Verfahren des Volksgerichtshofs, der politischen Senate des Oberlandesgerichts Darmstadt und Kassel 1933 – 1945 sowie Sondergerichtsprozesse in Darmstadt und Framnkfurt/M. (Historische Kommission für Hessen, 2 Bände, 2005). Damit liegt also bereits eine ausführliche politisch-historische Analyse vor. Insofern konnte das Gedenkbuch ganz und gar mit der Orientierung auf die Opfer angelegt werden. Nach Geleitwort des Hessichen Justizministers kommt zunächst eine durchaus differenzierte Einleitung. Diese braucht es, um alleine mit dem Gedenkbuch ausgestattete LeserInnen zumindest eine grobe Einordnungs- und Einschätzungsmöglichkeit zu eröffnen. Dieser vorangestellte Textteil mit ausführlichen Quellenangaben leistet die unerlässliche Übersichtsdarstellung zur durchorganisierten und in der Härte der Urteile eskalierenden politischen Strafjustiz des NS-Regimes. „In diesem Verbund der staatlichen Gewaltapparate nahm die politische Strafjustiz eine bedeutende Funktion war, vor allem durch Verfahren zum Hochverrat, Landesverrat und Wehrkraftzersetzung und zahlreiche andere Strafvorschriften, die vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof, den Oberlandesgerichten und den Sondergerichten verhandelt wurden.“

Im Rahmen des gesamten Forschungsprojektes setzt die Publikation des Gedenkbuches einen weitgehenden Abschluß. Unter den vorhergehende Publikationen gibt es von Wolfgang Form und Theo Schiller als Herausgeber bereits eine Mikrofiche-Edition zu ‚Widerstand und Verfolgung in Hessen 1933 – 1945‘ und jetzt zusätzlich eine Datenbank, die in Zukunft über die drei hessischen Staatsarchive zugänglich gemacht werden soll.

Leser findet in dem Gedenkteil zunächst die Namen der Opfer, ergänzt um wesentliche Informationen zu ihrem jeweiligen Fall, in einer alphabetischen Ordnung. Einen ganz wichtiger zweiter Zugang erschließt sich über eine ortsbezogene Auflistung, worin die Namen aller Opfer (nach ihren Aufenthaltsorten) gelistet werden. In einer sinnfälligen Struktur werden neben den Namen und Geburtsdaten der Opfer ihre Aufenthaltsorte, das urteilende Gericht, Aktenzeichen, der Anklagevorwurf und Quellenverweise gegeben.

Damit ist in dem Gedenkbuch mehr als das bloße Gedenken angelegt. Weitere Forschungen können und sollen sich anschließen. Ob aus familiärer Betrachtung, ortsgeschichtlichem Interesse oder wissenschaftlichen Antrieb, die ganze Tiefe und Breite einer je individuellen Opferbiografie lässt sich natürlich in dem Gedenkbuch nicht erfassen und darstellen. So ist es ein Verdienst dieses Gedenkbuches in seiner Anlage zugleich in die Zukunft zu verweisen, und ganz wesentliche Hilfestellungen in Gestalt der Quellenverweise zu liefern. Auf Grundlage der Zusammenarbeit mit Justizorganen und insbesondere den Staatsarchiven ist nunmehr zugleich die Basis für weitergehende Arbeit gelegt.

So haben Wissenschaftler lange Jahrzehnte nach dem Geschehen staatspolitisch-juristischer Verfolgung, deren Täter – also die Richter und anderen Vertreter der Justiz – allesamt ungesühnt nach 1945 davon gekommen sind, in einer ganz und gar rechtsstaatlichen Kooperation einen späten Beitrag zur Würdigung der betroffenen Menschen geleistet. Diese Art und gelungene Weise staatswissenschaftlichen Wirkens kann nur begrüßt werden. Sie war ebenso geboten wie notwendig mit Blick nach hinten. Der Blick auf Organe des ‚Staatsschutzes‘ heute offenbart erneut erschreckende Verstrickungen in mörderische Taten rechtsradikaler Täter. Weiteres Arbeiten bleibt also dringend geboten.

Bibliografische Daten
Die Verfolgten der politischen NS-Strafjustiz in Hessen
Ein Gedenkbuch
Herausgeber Wolfgang Form, Theo Schiller und Karin Brandes
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen
Band 65,3.  XLVIII + 440 Seiten
Historische Kommission für Hessen, Marburg 2012
Gebunden, 49 Euro, ISBN 978-3-942225-14-4

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