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Der Geldgier auf der Spur

Marburg 22.9.2012 (pm/red) Die aktuelle Ausgabe ‚Forschung Frankfurt‘ beschäftigt sich auf 132 Seiten ausschließlich mit dem Thema ‚Geld‘. Ob Tulpenspekulation, Entstehung des Münzgeldes und später des Papiergeldes, die Frage wie viel eigentlich eine Billion ist und weitere Themen, diese Ausgabe wendet sich dem Thema zu, welches in hohem Maße die Stadt (‚Bankfurt‘) prägt und dort auch in Zeiten der Finanzkrise höchst einträglich ist. Der Soziologe Sighard Neckel artikuliert sich dabei über den Gefühlshaushalt des Kapitalismus. Im christlichen Denken war Gier eine Todsünde. Der Liberalismus wollte die Gier durch die Bindung an wirtschaftliche Interessen in eine ‚ruhige Leidenschaft‘ verwandeln. Heute ist Gier „Begleiterscheinung und Nebenprodukt eines Wettbewerbs, der davon regiert wird, die stets lauernde Chance auf den jeweils noch besseren Deal nicht zu verpassen“. Das meint Sighard Neckel, Soziologieprofessor an der Goethe-Universität. Neckel gibt sich zugleich skeptisch, ob unter den Bedingungen des modernen Finanzmarktkapitalismus das „normative Versprechen des Liberalismus“ noch glaubhaft sei, wonach am privaten Vorteil der wirtschaftlich Begüterten auch die Allgemeinheit ihren nützlichen Anteil hat.

In dem Interview mit dem Titel „Gier: Eine Emotion kommt ins Gerede“ konstatiert der Soziologe, in der öffentlichen Diskussion werde häufig so getan, „als ob der Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 und auch die heutigen Turbulenzen der Eurokrise ihre Erklärungen in der Gier der Menschen als einer schlechten Charaktereigenschaft finden würden“. Diese individuellen Zuschreibungen seien für ihn jedoch „eigentlich das, was mich an Gier am wenigsten interessiert“. In der von Neckel mit verfassten Studie „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“ gab ein Investmentbanker zu Protokoll, dass in erster Linie die Gier der Anleger für die Finanzkrise verantwortlich gewesen sei. Alles in allem ergaben aber auch die „Berichte aus der Bankenwelt“, so der Untertitel der Untersuchung, ein differenziertes Bild. „Und das ist dann für mich der Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit Gier gewesen, wobei ich dabei zunächst einmal auf das zurückgegangen bin, wodurch Gier im engeren Sinne gekennzeichnet ist.“

„Private vices, public benefits“. So lautet ein Lehrsatz des klassischen Liberalismus. Aus privaten Lastern sollen durch die unsichtbare Hand des Marktes öffentliche Vorteile entstehen, durch die Verwirklichung des ökonomischen Eigennutzes von Privatpersonen à la longue Wohlfahrtseffekte für die gesamte Gesellschaft. „Letztendlich ist dies auch eine wichtige Legitimationsgrundlage der heutigen Wirtschaftsordnung“, sagt Sighard Neckel. Denn wir seien durchaus bereit, eine Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zu akzeptieren, wenn von diesen privaten Gewinnen auch andere Sozialgruppen und die Allgemeinheit profitierten. Dieses Modell einer sozial eingebundenen Marktwirtschaft stehe allerdings zur Disposition. Privater Reichtum wirke heute häufig zerstörerisch für die wirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit, wenn etwa Unternehmen aufgekauft, zerteilt und dann wieder veräußert würden, nur um aus solchen Transaktionen Renditen zu erzeugen. „Und vollends stellt sich das liberalistische Ethos auf den Kopf, wenn für die Risiken des privaten wirtschaftlichen Vorteilsstrebens die Allgemeinheit, d.h. die Steuerbürger die Bürgschaft übernehmen.“

Als Kehrseite der Gier, oder vielleicht auch Komplementär-Laster, wird häufig der Neid genannt. Doch kann man es als eine Neiddebatte bezeichnen, wenn in der Öffentlichkeit über die Begrenzung hoher Einkommen, Leistungsgerechtigkeit und die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte diskutiert wird? Wohl kaum, sagt Neckel. Was sich hier öffentlich als Kritik am Kapitalismus der Gegenwart vollziehe, sei obendrein auch nichts Revolutionäres. Vielmehr würden die Wirtschaftseliten auf jene Normen hin angesprochen, auf die sie sich zu ihrer eigenen Rechtfertigung beriefen.
‚Forschung Frankfurt‘ lässt sich als PDF-Ausgabe hier herunterladen

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