„Gute Taten, das bedeutet Ruin!“ – Brechts ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ in Marburg
Marburg 13.11.2012 (ma) Über ein Jahr ist seit der Premiere von Bertolt Brechts ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ im Hessischen Landestheater Marburg vergangen. Aufgrund der positiven Zuschauerresonanz kann die Inszenierung von Stephan Suschke in der aktuellen Spielzeit erneut bewundert werden. Lediglich eine Veränderung in der Besetzungsliste ist zu verzeichnen. Die Schauspielerin Franziska Knetsch übernimmt die Rollen von Frau Yang und der Witwe Shin. Dabei meistert sie den Spagat zwischen den beiden Rollen ähnlich überzeugend wie Anne Berg in ihrer fast schon schizophrenen Rolle der Shen Te beziehungsweise Shui Ta.
In Brechts epischem Drama ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ dreht sich alles um die Prostituierte Shen Te, die unverhofft ein kleines Vermögen von drei Göttern erhält, denen sie in der Nacht zuvor Obdach gewährt hat. Da sie jedoch ‚zu‘ gut und naiv zu sein scheint, droht sie alles wieder zu verlieren. Ihre vorübergehende Lösung besteht in der Erfindung eines Vetters Namens Shui Ta, der ganz anders als Shen Te durchsetzungsfähig und berechnend handelt. So beginnt der Konflikt zwischen dem guten Menschen (Shen Te) und bösen (Shen Te´s alter Ego Shui Ta).
Der Regisseur Stephan Suschke lässt in seiner Inszenierung die Mimik der Schauspieler durch Masken aus Nylonstrümpfen verschwinden. Das hat auf der einen Seite einen gewissen Verfremdungseffekt zur Folge, der durch die Augenbemalung im Vorbild der japanischen Comic-Kunst (Manga) noch verstärkt wird. Auf der anderen Seite werden die Schauspieler dazu gezwungen auf andere Ausdrucksformen zurückzugreifen. Dies setzen insbesondere die Schauspieler Anne Berg (Shen Te/ Shui Ta), Stefan A. Piskorz (Barbier, Bonze) und Claudia Fritzsche in ihrer Rolle als Mi Tzü in herausragender Weise um. Durch ausgeprägte, fast schon übertriebene Gesten und Variationen der Stimmlage sowie Sprechart erzeugen sie eine sympathisch komödiantische Atmosphäre, die das Publikum durchgehend unterhält.
Darüber hinaus ist es immer wieder erstaunlich, wie Momme Röhrbein (Bühnenbild) die großen Einschränkungen, die die Theaterbühne Am Schwanhof mit sich bringt, ohne Probleme übergeht und im Falle dieser Inszenierung mit einem mehrgeschossigem Stahlgerüst zahlreiche Ebenen – horizontal und vertikal – erschafft, die die Schauspieler vollständig ausnutzen können.
Der Regisseur wollte sich durch die Straffung der Inszenierung auf zwei Stunden (mit Pause) auf den Grundwiderspruch des Stücks („Warum ist auf Bosheit ein Preis gesetzt und warum erwarten den Guten so harte Strafen?“ Shen Te) und den Widersprüchen zwischen den einzelnen Figuren konzentrieren. Brecht selber tat schon beim Verfassen des Stückes schwer daran es auf das Wesentlichste zu kürzen. Dennoch streicht Suschke einige Passagen, wie zum Beispiel Wangs Verteidigung der Shen Te vor den Göttern, die gerade für die Verdeutlichung des Konflikts der Hauptcharaktere, wichtig wären.
Fragwürdig sind die zahlreichen sexuellen Anspielungen. Die Rollen des Wasserverkäufers Wang, des Yang Sun, der Hausbesitzerin Mi Tzü, des Polizisten, des Shu Fu und des Bonzen werden allesamt als Lüstlinge dargestellt. Es ist zwar bekannt, dass Brecht selbst ein Draufgänger und Frauenheld war, er hat diese Charaktereigenschaft jedoch in seinen späteren Werken, anders in dem fast schon autobiographischen Frühwerk ‚Baal‘, inhaltlich nicht explizit aufgegriffen. Daher werden die ausufernden Anspielungen, die Suschke, der im Jahr 2011 zufälligerweise auch schon bei der Inszenierung von ‚Baal‘ Regie führte, den Rollen beimisst, im Drama nur spärlich zu finden sein.
Abschließend lässt sich feststellen, dass Stephan Suschke seine Intention dieser Inszenierung – sich daran, was die Schauspieler machen, zu erfreuen und daran Spaß zu haben – vollends auf die Bühne gebracht hat. Entstanden ist eine grandiose Komödie, die die Zuschauer knapp zwei Stunden begeistert, beglückt und unterhält. Ob jedoch die Umsetzung dieses Dramas im Brecht´schen Sinne ist, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.
Die nächste Aufführung gibt es am 9. April 2013.