Blick nach vorn im Zorn – von einer gewerkschaftlichen Vertrauensfrau am UKGM
Marburg 26.11.2012 (red) Am heutigen Montag finden gleich drei Veranstaltungen zur Krise und zur zu verändernden Zukunft der Universitätskliniken Gießen und Marburg (UKGM) statt. Zum letzten Mal, jedenfalls in diesem Jahr, gibt es ein gesundheitspolitisches Monatsgebet in der Elisabethkirche. Dort will Oberbürgermeister Egon Vaupel ein Resümee zu Geschehenem und Gesagtem versuchen. Von diesem Ort starte ab 19 Uhr ein Umzug mit Kerzen und Leuchten zum Marktplatz, wo Pit Metz sprechen wird. Um 20 Uhr beginnt im Hörsaalgebäude ein Informationsabend der CDU mit Sprechern der verschiedenen Interessengruppen auf dem Podium. Verschiedene Orte und Hintergründige vereinen Akteure zum großem Strukturproblem Zukunft des Klinikums. In ihrem Gastbeitrag für das Marburger. bietet die langjährige Mitarbeiterin auf den Lahnbergen Urte Sperling ihren Rückblick zugleich als weitgehende Einordnung und Einschätzung.
Als nunmehr berentete Krankenschwester habe ich Glück gehabt. 18 Jahre lang war es mir vergönnt, gern zur Arbeit zu gehen. Nach der Ausbildung fand ich sofort eine unbefristete Stelle. An meinem Arbeitsplatz traf ich auf KollegInnen und eine Stationsleitung, für die das Wohlergehen der PatientInnen im Mittelpunkt steht und die den Zusammenhang zwischen Teamzufriedenheit, gutem Betriebsklima und Pflegequalität sehen. Durch mein Engagement als gewerkschaftliche Vertrauensfrau wurde mir klar, welch ein komplexes Gebilde so ein großes Krankenhaus ist, über welch einen Erfahrungsschatz das Kollektiv der KollegInnen verfügt und welch hohes Maß an Identifikation mit dem Betrieb existiert.
Dann wurde genau das, was eigentlich die Stärke einer Klinik ausmacht – eine motivierte, gut ausgebildete, erfahrene Stammbelegschaft – zum Störfaktor für ein an Aktionärsinteressen gebundenes Management. Für Krankenhauskonzerne, die um Marktanteile kämpfen, ist die Pflegequalität nur dann relevant, wenn justiziable Pflegefehler auftreten oder – durch eine kritische Presse verunsichert – ‚Kunden‘ ausbleiben. Die Privaten – so mein Fazit – können nichts besser, außer gewohnte und eingespielte Strukturen zügig zerstören und den Prozess der Arbeitsverdichtung und Personalkostensenkung voranzutreiben.
Dagegen können sich die Beschäftigten eine gewisse Zeit lang zur Wehr setzen, vielleicht auch – wenn sie kampfstark sind – bessere Bezahlung durchsetzen. Was sie nicht verhindern können, ist die schleichende Verschlechterung der Pflege- und Versorgungsqualität, insbesondere für die Patienten mit den unlukrativen Krankheiten, im Konzernjargon: den sog. „poor dogs“. Interessant für börsennotierte Kliniken sind dagegen die ‚cash-cows‘, zahlungskräftige PrivatpatientInnen.
Das von Mc Kinsey vorgeschlagene ‚Wachstumsmodell‘ bedeutet die konsequente Durchsetzung genau dieser Prozesse. Dabei wird ein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen im Bereich der Kernbelegschaft als Zugeständnis präsentiert. Doch wenn man fragt: Wie soll die anvisierte Leistungssteigerung ohne Personalaufbau denn gehen?, – dann wird der Druck auf die Abteilungsleiter weitergegeben. Sie sollen sich etwas einfallen lassen, zum Beispiel einzelne nicht voll belegte Abteilungen an Wochenenden schließen, von der Hand in den Mund ‚planen‘, ein Loch stopfen, indem an anderer Stelle ein neues Loch gerissen wird. Seit Monaten werden Stellen nicht oder verspätet nachbesetzt, werden die Abteilungen angewiesen, erstmal ohne Nachbesetzung aus zukommen, und wenn es dann gar nicht mehr geht, wird vielleicht doch entfristet. Um jede Entfristung und Neueinstellung muss gerungen werden. Wenn erfolgreich gekämpft wurde, wird dies als Stellenaufbau verkauft. Die kritische Öffentlichkeit soll Ruhe geben.
Dass viele KollegInnen ausgebrannt sind, stört nicht. Man will ja gern diejenigen loswerden, die sich kaputt gearbeitet haben. Rückkehrgespräche nach längerer Krankheit sollen nicht länger nur dazu dienen, verträglichere Arbeitsplätze für diese KollegInnen zu suchen und zu finden, sondern vermehrt auch dazu, die Menschen zum Kündigen zu bewegen. Man hofft auf jungen, belastbaren Nachwuchs – im Jargon ‚Frischfleisch‘ – der alte Standards nicht mehr kennt, nimmt in Kauf, dass auch dieser Nachwuchs wegen Überforderung bald die Flucht ergreift, und setzt – wie Herr Minister Hahn – auf die Not von Fachkräften in südeuropäischen Krisenländern auf der Suche nach Arbeit, zu welchen Bedingungen auch immer. Wenn Wäscherei oder Küche oder Labor outgesourct werden, dann erscheinen diese Bereiche als ‚Sachkosten‘. Menschen, die in ‚Fremdfirmen‘ arbeiten, gelten dort als Kostenfaktor, den es zu senken gilt, damit die ‚Sachkosten‘ für das Klinikum nicht zu hoch werden
Der derzeitige Geschäftsführer Zentrale Dienste, Herr Dr. Weiß, und die beiden Berater von Mc Kinsey sind Ärzte, die die Seiten gewechselt haben. Sie haben sich als ausgebildete Mediziner entschieden, nicht als Ärzte tätig zu werden, sondern als Manager für Krankenhauswirtschaft. Ihr Job besteht darin, uns, die Beschäftigen, ‚produktiv‘ oder gar ’noch produktiver‘ werden zu lassen. Wenn sich gesellschaftlich nichts ändert, stehen solche Manager für eine Hochschulmedizin der Zukunft, die von finanzmarktgetriebenen Firmen abhängig ist. Sie spielen die Folgen dieses Paradigmenwechsels für das Arzt-Patientenverhältnis sowie für das Berufsbild der Ärzte und der Pflege herunter.
Ihr Konzept für das UKGM bedeutet die Fortsetzung bzw. die Beschleunigung eines Prozesses, in dem Vergleichszahlen, Vorgaben, Benchmarks umgesetzt werden, ohne zu fragen, was im Interesse der PatientInnen und Beschäftigten wünschenswert oder machbar wäre. Dieses ‚Malen nach Zahlen‘ – sowill ich es einmal nennen – wird als alternativlos dargestellt. Wir sollen die Mc Kinsey-Botschaft erleichtert aufnehmen: Wir sind produktiv! Ja, wer hätte das gedacht! Man muss das UKGM oder den Standort Marburg nicht schließen oder abstoßen, wenn die Belegschaft sich dem Diktat der interessegeleitet ausgewählten Zahlen beugt und die Öffentlichkeit endlich Ruhe gibt.
Die Kritik an dieser Art Konzernprivatisierung ist formuliert. An ihr gibt es keine ernsthaften Zweifel. Das Problem bleibt die politisch von der Landesregierung erzwungene Alternativlosigkeit und die Zurückhaltung, mit der die oppositionellen Kräfte einschließlich der beiden an sich zuständigen Gewerkschaften die Diskussion um alternative Betreibermodelle und deren Finanzierung zum Thema machen.
In der Psychiatrie fand in den 1980er Jahren eine Reform statt.. Sie war die sehr verspätete Antwort auf eine bittere Erfahrung: dass nämlich Kosten-Nutzen-Kalküle – in der NS-Zeit auf die Spitze getrieben – zur Entmenschlichung ärztlichen und pflegerischen Handelns geführt haben und psychiatrische Patienten – nicht nur 1933-1945 – als ‚poor dogs‘ in Anstalten ihrer Würde beraubt wurden. Zu den Erkenntnissen dieser Zeit gehörte, dass eine die PatientInnen achtende Pflege ohne ausreichendes und qualifiziertes, anständig bezahltes Personal nicht funktioniert. Auch die Altenpflege kann seit Jahren ein Lied davon singen.
Es ist alles gesagt. Es gibt keine vernünftigen Argumente gegen die Rückführung des UKGM in öffentliche Verantwortung. Doch setzt dies einen politischen Kurswechsel voraus, der noch viel Anstrengung erfordert.
Urte Sperling lebt in Marburg