Investitionsstau: Lösung muss bei den Kommunen ansetzen
140618 Der Rückstand bei den öffentlichen Investitionen wächst. Besonders groß ist der Investitionsstau bei Städten und Gemeinden. Vor allem in vom Strukturwandel geprägten Regionen haben sich viele Kommunen in den vergangenen Jahrzehnten wegen steigender Sozialausgaben stark verschulden müssen. Dementsprechend haben Land und Kommunen in Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland beispielsweise im vergangenen Jahr pro Einwohner im Durchschnitt nicht einmal halb so viel investieren können wie in Hamburg, Bayern oder Baden-Württemberg. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Damit Städte und Gemeinden ihre Straßen und Schulen sanieren können, brauchen sie mehr Hilfe von Bund und Ländern. Ein Beispiel aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf gibt die Gemeinde Lohra. Dort sollen gleich mehrere Gemeinschaftshäuser verkauft werden, weil die hochverschuldete Kommune die Unterhaltskosten nicht mehr stemmen kann. Der Bürgerprotest hat nicht auf sich warten lassen.
Seit elf Jahren reichen die Investitionen des Staats in Infrastruktur und öffentliche Gebäude nicht mehr aus, um die Abschreibungen zu kompensieren – „was nichts anderes als einen schleichenden Substanzverzehr bedeutet“, schreibt Dr. Katja Rietzler, Finanzpolitikexpertin des IMK, in ihrer Untersuchung. Rietzler hat darin relevante Untersuchungen zum Thema öffentliche Investitionen und Daten zusammengetragen und analysiert.
Als Ursache für die öffentliche Investitionsschwäche identifiziert die Wissenschaftlerin „Konsolidierungsversuche bei einer unzureichenden Einnahmebasis des Staates“. Die Investitionen kämen also nicht etwa deshalb zu kurz, weil die öffentliche Hand lieber mehr Geld für den so genannten „Staatskonsum“ ausgebe, beispielsweise Personal. Der deutsche Staat liegt bei den Ausgaben insgesamt am unteren Rand der Euroraumländer, zeigt Rietzler. Zwischen 1999 bis 2012 wuchsen unter 32 Industrieländern nur in Japan die öffentlichen Ausgaben noch schwächer als in Deutschland. Bund, Länder und Gemeinden hätten vor allem ein massives Einnahmeproblem, so die Forscherin. Insbesondere die starken Steuersenkungen Anfang der 2000er Jahre wirkten bis heute nach: Hätten im Jahr 2013 noch die Steuergesetze von 1998 gegolten, wären die Einnahmen allein im vergangenen Jahr um 45 Milliarden Euro höher ausgefallen. Allein die Kommunen verbuchten Mindereinnahmen von 6,6 Milliarden Euro.
Pro Jahr müsste der Staat deutlich über 10 Milliarden Euro mehr investieren, um den Investitionsstau langsam aufzulösen, schätzt die Wissenschaftlerin. Den größten Bedarf haben die Städte und Gemeinden, deren Situation besonders dramatisch ist. Seit 2003 überstiegen ihre Abschreibungen die Bruttoinvestitionen um 42 Milliarden Euro. Der kommunale Anteil an den gesamten staatlichen Investitionen ist zwischen 1991 und 2012 drastisch zurückgegangen: Von knapp 64 auf gut 50 Prozent. Das spezielle Handicap der Gemeinden: Viele öffentliche Aufgaben müssen sie erfüllen, ohne dafür finanziell hinreichend ausgestattet zu sein. Ihre Ausgaben stiegen von 1991 bis 2013 um 74 Prozent, die Sozialausgaben aber um 161 Prozent. Spiegelbildlich sank der Anteil der kommunalen Investitionen.
„Inzwischen sind die Sozialleistungen, die 1991 bei den Kommunen noch unter den Bruttoinvestitionen lagen, mehr als doppelt so hoch“, erläutert Rietzler. Dass diese Ausgaben trotz der aktuell günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt hoch blieben, liege an Leistungen wie der Jugendhilfe oder der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Gerade hier seien die Kosten stark gestiegen. Immerhin beteilige sich der Bund zunehmend an den Sozialausgaben, merkt die Ökonomin an. Das entlaste die kommunalen Haushalte.
In jüngster Zeit erzielten Städte und Gemeinden insgesamt wieder Haushaltsüberschüsse. „Dies verdeckt aber die großen Diskrepanzen zwischen den einzelnen Kommunen“, warnt Rietzler. Viele Städte mit hohen Schulden hätten in den vergangenen Jahrzehnten einen Strukturwandel zu bewältigen gehabt. Das Wegbrechen industrieller Strukturen bringe neben hohen Sozialausgaben eine schwache Einnahmebasis mit sich, Investitionen seien nicht mehr finanzierbar, die Attraktivität leide. „So schaukeln sich die Probleme nach und nach auf.“
Damit finanzschwache Kommunen wieder mehr investieren können, sollten Bund und Länder sie bei den Sozialleistungen noch stärker entlasten, empfiehlt die IMK-Forscherin. Gerade den Ländern fiele dies leichter, wenn sie große Vermögen wieder stärker besteuern würden. Auf keinen Fall dürften die Länder die finanziellen Restriktionen der Schuldenbremse an Städte und Gemeinden weitergeben, warnt die Ökonomin.