Stadt fordert Rückbau des ‚Gedenksteins‘ in Bortshausen
140717 (pm/red) Die Stadt Marburg verlangt vom Verein der ‚Kameradschaft Marburger Jäger / 2. Panzergrenadierdivision‘ den Rückbau des Gedenksteins in Bortshausen. Wie Bürgermeister und Baudezernent Franz Kahle mitteilte, hat die Stadt dem Rechtsanwalt des Vereins in der letzten Woche einen Bescheid zugestellt, in dem die Entfernung des Steines binnen zehn Wochen nach Rechtskraft des Bescheides gefordert werde. Es bleibe allerdings abzuwarten, ob der Verein den Bescheid akzeptiert oder hiergegen Rechtsmittel einlegt. Der 1979 gegründete Traditionsverein der ‚Kameradschaft Marburger Jäger / 2. Panzergrenadierdivision‘ ist Eigentümer eines Grundstücks in Marburg-Bortshausen. Auf diesem Grundstück hatte der Verein im Mai 2011 einen drei Meter hohen Gedenkstein zur Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 aufgestellt.
Der Gedenkstein war ursprünglich in Marburg im Waldtal aufgestellt worden und hatte zuletzt in einer Kaserne in Neustadt gestanden. In der von der Universitätsstadt Marburg in Auftrag gegebenen Arbeit der Geschichtswerkstatt Marburg heißt er zur Herkunft des Steines: „Am 6. August 1873 wurden auf dem Gelände des Schießstands im Knutzbachtal fünf Gedenksteine für die Toten des Deutsch-Französischen Kriegs aufgestellt. Sie gerieten dann in Vergessenheit und die Natur überwucherte sie mit der Zeit. Nur zwei dieser Gedenksteine konnten vom Sanitätsbataillon 2 geborgen und in einer Kaserne wieder aufgerichtet werden.“
Der Verein hatte keinen Bauantrag gestellt, den Gedenkstein aufzustellen. Das Grundstück, auf dem sich der Gedenkstein befindet, liegt im Außenbereich. Im Flächennutzungsplan sind für den betreffenden Bereich Dauerkleingärten ausgewiesen. Die Parzelle wird jedoch, ebenso wie die fünf sie umgebenden Parzellen, nicht als Dauerkleingarten genutzt. Es handelt sich hierbei um Rasenflächen, die teilweise mit Obstbäumen bepflanzt sind.
Der Boden um den jetzigen Aufstellort in Bortshausen ist gepflastert. Der Gedenkstein ist mit Koniferen umpflanzt. Vor dem Denkmal befindet sich eine Rasenfläche, an der dem Denkmal gegenüber liegenden Seite ein Metallpfosten mit dem Straßenschild „Platz der 2. Panzergrenadierdivision“ aufgestellt ist.
Die Aufstellung des Gedenksteines führte in der Folge zu zahlreichen Diskussionen. Die Stadtverordnetenversammlung gab bei der Geschichtswerkstatt Marburg eine Kurzdarstellung der Geschichte der Marburger Jäger und eine Darstellung der Arbeit des Traditionsvereins in Auftrag, die der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Stadtverordnetenversammlung forderte den Magistrat auf zu prüfen, ob eine Entfernung des Steins angeordnet werden könne und gegebenenfalls eine Beseitigung zu verlangen.
Nach Überprüfung der Rechtslage unter Einbeziehung des Regierungspräsidiums Gießen und der Hessischen Landesregierung und nach Anhörung des Vereins hat der Magistrat nunmehr den Verein aufgefordert, den Gedenkstein von der Fläche zu entfernen. Die Anhörung des Vereins hatte sich über einen längeren Zeitraum hingezogen, weil der vom Verein zunächst beauftragte Rechtsanwalt infolge einer schweren Erkrankung das Mandat zunächst nicht weiter bearbeiten konnte und schließlich niederlegen musste. Danach hatte der Verein einen neuen Anwalt mit der Interessenwahrnehmung beauftragt.
Rechtsgrundlage für die Beseitigungsverfügung des Magistrates ist § 72 der Hessischen Bauordnung (HBO), da die Aufstellung des Gedenksteins gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Die Aufstellung des Gedenksteins ist zwar von der Erteilung einer Baugenehmigung befreit (§ 55 HBO i. V. m. Anlage 2 I Ziff. 13.2 zu § 55 HBO). Ungeachtet der Erforderlichkeit einer Baugenehmigung muss ein Bauvorhaben jedoch nach § 54 Abs. 2 HBO den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechen, was bei dem Gedenkstein nicht der Fall ist.
Bei dem ca. drei Meter hohen Gedenkstein handelt es sich um eine bauliche Anlage i. S. v. § 29 Baugesetzbuches (BauGB). Die städtebauliche Relevanz des Vorhabens ist gegeben, da sich der Gedenkstein auf einer Fläche befindet, der die Merkmale eines Gedenkplatzes erfüllt. Da der Gedenkstein auf einem Grundstück im Außenbereich errichtet wurde, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB. Das Vorhaben unterliegt keinem der Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB. Das Vorhaben ist auch nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB ausnahmsweise zulässig, da durch den Gedenkstein öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Es liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange nach § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB vor, da das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht. Der Flächennutzungsplan sieht zwar eine Nutzung des Bereichs als Dauerkleingärten vor, die tatsächlich aber nicht vorhanden sind. In tatsächlicher Hinsicht handelt es sich vielmehr um eine Nutzung der Parzellen als Freizeitgärten. Unabhängig davon bezieht sich der Planungswille der Stadt Marburg bei der Darstellung der Nutzung im Flächennutzungsplan eindeutig auf eine gärtnerische Nutzung. Demgegenüber hat der Verein der Kameradschaft einen Gedenkplatz errichtet und einen Gedenkstein zur Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 aufgestellt. Diese Nutzungsart weist nicht den typischen Charakter einer Gartennutzung auf und steht insofern im Widerspruch zu den Festsetzungen des Flächennutzungsplans. Die Aufstellung des Gedenksteins ist somit materiell rechtswidrig.
Die Maßnahmen gegen rechtswidrige bauliche Anlagen stehen gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 HBO im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Danach wäre eine Zurückstellung von Maßnahmen gegen eine unzulässige bauliche Anlage gerechtfertigt, wenn auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hierzu müsste die Legalisierung der baulichen Anlage konkret wahrscheinlich sein. Eine auf die Veränderung der gärtnerischen Nutzung des Grundstücks bezogene Bauleitplanung durch die Universitätsstadt Marburg ist derzeit jedoch nicht geplant. Insofern steht die Aufstellung des Gedenksteins sowohl zum jetzigen Zeitpunkt als auch für die Zukunft im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung ist vorliegend höher zu gewichten als das Interesse der Kameradschaft an der Beibehaltung des baurechtswidrigen Zustands. Da der Stein mit verhältnismäßig geringem wirtschaftlichem Aufwand beseitigt und an anderer Stelle baurechtskonform aufgestellt werden kann, ist die Verfügung der Beseitigung nicht als unverhältnismäßig anzusehen.
Im Gegensatz dazu würde durch eine Duldung des Steins der Eindruck entstehen, die Stadt Marburg würde bereits geschaffene baurechtswidrige Zustände tatenlos hinnehmen. Insofern war das Ermessen hier dahingehend auszuüben, die Beseitigung des Gedenksteins anzuordnen.
Der Verein der Kameradschaft kann gegen den Bescheid der Universitätsstadt Marburg Rechtsmittel einlegen. Es bleibt abzuwarten, ob der Verein eine rechtliche Klärung herbeiführen möchte.
„Die Diskussion um die Geschichte der Marburger Jäger und die Rolle des Traditionsvereins der Marburger Jäger hat eindringlich gezeigt, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der historischen Rolle der Marburger Jäger notwendig ist. Die Marburger Jäger waren an zahlreichen Gewaltexzessen beteiligt, so dass eine unkritische und unkommentierte Aufstellung des Gedenksteins der zum Teil fatalen und mörderischen Rolle der Marburger Jäger in keiner Weise gerecht wird. Daher überwiegen letztlich öffentliche Belange, die es geboten erscheinen lassen, den Rückbau des Gedenksteins zu fordern,“ teilt Bürgermeister Kahle dazu abschließend mit.