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Vorne Hui und hinten Pfui: Vom vergeblichen Einsatz einer Marburger Bürgerinitiative – Reportage aus der Oberstadt

dbau0917_0179 OberstadtrundeMarburg 140923 An einem Abend, wochentags, in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt treffen sich Aktive der Bürgerinitiative Oberstadt. Ein eigentlich schon erstaunlicher Tatbestand, dass es für Marburgs viel gepriesene ‚gute Stube‘ und touristisches Vorzeigestück eine Bürgerinitiative braucht, geht mir durch den Kopf. Unter den Versammelten ist keine gute Stimmung. Anwesend ist ein junger Kollege von der ‚Oberhessischen Presse‘. Die Bürgerinitiative will an die Öffentlichkeit gehen, um andauernde Missstände bekannt zu machen. Seit Jahren bemühe man sich vergeblich um ein ordentliches Straßenbild und habe nichts erreicht, berichtet Josefa Zimmermann. Anrufe beim Ordnungsamt würden abgewimmelt, Beschwerden über die Plage mit den Mülltonnen nicht ernst genommen.

Als dann ein Schreiben von ‚Marburg Toruismus & Marketing‘ (MTM) gekommen sei, wäre ihnen der Kragen geplatzt, teilen die für ihre Oberstadt engagierten BewohnerInnen mit. Es geht um die ‚Nacht der verborgenen Geschichte‘, die als touristisches Angebot am 26. und 27. September stattfinden soll. Unter anderem schreibt MTM-Geschäftsführer Klaus Hövel folgenden Satz: „Im Interesse eines ansprechenden Gesamtbildes der Stadt bitten wir Sie herzlich, an diesem Tag keine Mülltonnen, Sperrmüll oder ähnliche Gegenstände auf den Wegen aufzubauen“.
Mülltonnen und Fahrräder

Mülltonnen und Fahrräder in der Oberstadt versperren oft enge Gehwege und verunzieren das Stadtbild. Fahrräder werden zudem sehr häufig an Geländer angekettet, womit älteren Menschen der Handlauf für ungefährliches Treppensteigen genommen ist. Foto Hartwig Bambey

Das war zuviel, wurde als dreiste Zumutung wahrgenommen. Die Bürgerinitiative führe seit Jahr und Tag einen vergeblichen Kampf gegen Verdreckung, wild umherstehende Mülltonnen, umherliegenden Sperrmüll und verkehrswidrig abgestellt Fahrräder. Dann komme eine solche Aufforderung ins Haus wegen der ‚Nacht der verborgenen Geschichte‘.

Christopher Moss von der Bürgerinitiative Oberstadt deutet während eine Rundganges auf das versammelte Elend: Mülltonnen überfüllt am Rand der von Touristen viel belaufenen Rittergasse. Daneben Als Sperrmüll ein alter Autoreifen. An der Wand die unbesieitgten Spuren eines Mülltonnenbrandes.

Christopher Moss von der Bürgerinitiative Oberstadt deutet während eines Rundganges auf das versammelte und hässliche Elend in der Oberstadt: Mülltonnen überfüllt am Rand der von Touristen viel belaufenen Rittergasse. Daneben ganz rechts als Sperrmüll ein alter Autoreifen. An der Wand die nach wie vor unbeseitgten Spuren eines Mülltonnenbrandes, der das Gefahrenpotential der in Marburg geduldeten Abstellpraxis allzu anschaulich werden lässt.

Städtische Bedienstete würden abwiegeln, Telefonanrufe nicht ernst nehmen. Die Stadtverwaltung würde die Probleme herunterspielen. Die Kommunalpolitik zeige sich handlungsunwillig. „Und jetzt sollen ausgerechnet wir zu einem „ansprechenden Gesamtbild“ beitragen“ sagt einer der Anwesenden, dem man die Empörung anmerkt. Es hört sich authentisch und glaubhaft an, was diese Oberstadtbewohner vortragen. So schlage ich vor, dass wir uns in ein paar Tagen zu einem Ortstermin treffen, wozu ich die Fotokamera mitbringen würde.

Auf dem Platz vor der Lutherischen Pfarrkirche, wo gerade ein Spielplatz mit Grimm-Motiven gestaltet wurde. An den Rändern stehen Mülltonnen. Josefa Zimmermann zeigt auf eine Mülltonne vor einer historischen Haustür mit Stahlseil samt Schloss gesichert. Selbst der historische Ort mit Mauerblick auf die Altstadt hält nicht nicht vom (Dauer-)Missbrauch ab.

Auf dem Platz vor der Lutherischen Pfarrkirche, wo gerade ein Spielplatz mit Grimm-Motiven gestaltet wurde. An den Rändern stehen Mülltonnen. Josefa Zimmermann zeigt auf eine Mülltonne vor einer historischen Haustür mit Stahlseil samt Schloss gesichert. Selbst der historische Ort mit Mauerblick auf die Altstadt dort hält nicht nicht vom (Dauer-)Missbrauch ab.

Neben dem Schreiben von MTM bekomme ich ein Flugblatt der BI, einen Vordruck einer Unterschriftenliste und ein Papier mit Überlegungen für die Konstituierung eines Ortsbeirats mit auf den Weg. An Aktivitäten, Überlegungen und Versuchen zur Lösung der Anwohnerprobleme hat es also nicht gemangelt. Die ‚Bürger für Marburg‘ hatten sich der Sache angenommen und eine Parlamentsinitiative gestartet. Ohne Ergebnis. Der Müll und Mülltonnen sind Dauerbrenner in der Oberstadt.

Denkmalbeschilderung für die Touristenattraktion Lomonossow-Haus und Mülltonnen direkt gegenüber – beklagenswerte Marburger Wirklichkeit. Dr. Wolfgang Göpel, links, Josefa Zimmermann und Maria Hessling beim Rundgang in der Oberstadt.

Denkmalbeschilderung für die Touristenattraktion Lomonossow-Haus und Mülltonnen mit Dauerstandplatz direkt gegenüber – beklagenswerte Marburger Wirklichkeit. Dr. Wolfgang Göbel, links, Josefa Zimmermann und Maria Hessling beim Rundgang in der Oberstadt.

Dienstagabend, 18.30 Uhr, Treffpunkt Marktbrunnen. Josefa Zimmermann, Dr. Wolfgang Göbel, Maria Hessling und Christopher Moss erwarten mich schon und wir gehen über den Obermarkt zum ‚Weinlädele‘. Gegenüber der gutbesetzten Freiterasse am Anfang der Steingasse steht die erste Batterie Mülltonnen. Die Rittergasse gehen wir hinauf zum Platz vor der Lutherischen Pfarrkirche und stolpern förmlich über links und rechts abgestellte Mülltonnen in blau und schwarz.

Die mit Pflaster und Sandsteinstufen gut gestaltete treppige Wegeverbindung zur Barfüßerstraße ist völlig zugestellt. Mülltonnen und Fahrräder am Handlauf behindern und verleiden die Nutzung. Die Oberstadtbewohner und Bürgeraktiven zeige3n auf die Missstände.

Die mit Pflaster und Sandsteinstufen gut gestaltete treppige Wegeverbindung zur Barfüßerstraße ist völlig zugestellt. Mülltonnen und Fahrräder am Handlauf behindern und verleiden die Nutzung. Die Oberstadtbewohner und Bürgeraktiven zeigen mit ihren Fingern auf die Missstände.

Es wirkt geradezu wie bestellt. Ist es aber nicht, an diesem Dienstagabend im September 2014. Während sich auf dem Marktplatz und in der Barfüßerstraße die Touristen speisen und spazieren, stehen nur wenige Meter weiter auf Gassen, Sträßchen und engen Treppen ungezählte – aber ganz offensichtlich geduldete – Mülltonnen und Fahrräder.

Mann könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch illustrieren mit Fotos von Mülltonnen in Marburgs guter Stube Oberstadt. Zugleich wird geworben, werden Touristen in die schöne Altstadt gelockt, buchen Stadtführungen und keiner kümmert sich. Fotografien Hartwig Bambey

Man könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch illustrieren mit Fotos von Mülltonnen in Marburgs guter Stube Oberstadt. Zugleich wird geworben, werden Touristen in die schöne Altstadt gelockt, buchen Stadtführungen und keiner kümmert sich. Fotografien Hartwig Bambey

Nach dem Rundgang Besprechung in der Barfüßerstraße. „Seit dem Auslaufen der Bindungsfristen aus der Altstadtsanierung hat sich die Situation in der Oberstadt dramatisch verschlechtert„, berichtet Dr. Wolfgang Göbel. „Inzwischen können Wohnungen in vor über 20 Jahren sanierten Häusern wieder frei vermietet werden„, führt er aus. Das habe zur Folge, dass immer mehr Studierende in die Oberstadt ziehen und Familien mit Kindern wegziehen.

Man habe durchaus nichts gegen Studenten, erläutert Josefa Zimmermann. Doch bei schwindender gewachsener Bevölkerung und nur jeweils kurzfristig eingemieteten Studierenden entstehe Raum für solche Gebaren. Diese würden zugleich geduldet, die Stadt unternehme nichts. „Es sieht so aus, als ob wir einen Ortsbeirat für die Oberstadt brauchen„, fügt BI-Aktiver Göbel hinzu. „Weil unsere Anliegen als Bürgerinitiative nicht ernst genommen werden.

dbau0917_0212 Müll in der Oberstadt

Die vier Oberstadtbewohner sind sich einig und wissen viele andere geplagte Marburger auf ihrer Seite. Etwas ratlos und unangenehm beeindruckt von solch vernachlässigten Verhältnissen mache ich mich auf den Weg. Es verwundert geradezu die Gelassenheit dieser Bürger, die sich für ihre Oberstadt einsetzen. Dass sie keiner wahrnehmen will, sie am Telefon mit ihren Beschwerden abgewimmelt werden, will mir nicht in den Kopf. „Mit zu vielen rein studentischen Bewohner kann die Oberstadt nicht überleben„, hatte mir Maria Hessling, die in der Reitgasse wohnt, mit auf den Weg gegeben. Aber ohne Bürgerinnen und Bürger, die sich für ihren Stadtteil interessieren und sich engagieren kann es schon gar nichts werden, gerade wenn Stadtverwaltung und Politik sich offenbar anhaltend verweigern.
Manche Reportage würde man lieber nicht schreiben müssen. Hartwig Bambey

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