Marburger Lahnberge: Studie empfiehlt den Bau einer Seilbahn – Bürgermeister stellt Ergebnisse zur Diskussion
Marburg 22.12.2014 (pm/red) Zum zweiten Mal hatte Bürgermeister Franz Kahle zu einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema verkehrliche Anbindung der Lahnberge an die Innenstadt eingeladen.
Konkret ging es Anfang des Monats in einem Hörsaal des Uniklinikums um die Frage, ob eine Seilbahn in ein solches Konzept – zugleich mit Blick auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) – einbezogen werden könnte.
Zur technischen Machbarkeit referierte vor rund 250 interessierten Gästen Arno Schweiger (Ingenieurbüro Schweiger, Sonthofen), der an einigen verwirklichten Seilbahnprojekten beteiligt war.
Kahle verwies eingangs darauf, dass eine Entscheidung für oder gegen die Seilbahn noch keinesfalls getroffen sei. Vielmehr handele es sich nur um eine erste Studie, die zur Diskussion gestellt werden soll. „Wir befinden uns gerade in der Bürgerbeteiligungsphase“, sagte er im Hinblick auf die Veranstaltungen. Bevor in einer möglichen Bürgerbefragung und in der Politik abgestimmt werde, gelte es sehr sorgfältig das Für und Wider abzuwägen. Die Studie war 2012 von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung zur Prüfung aller unterschiedlichen Alternativen einer Verkehrsanbindung der Lahnberge an die Innenstadt in Auftrag gegeben worden. Eine Entscheidung wurde in diesen Gremien noch nicht gefällt.
Die Kosten eines möglichen Seilbahnbaus in Marburg bezifferte Diplom-Ingenieur Schweiger bei der Veranstaltung am Dienstagabend je nach Ausstattung auf 40 bis 50 Millionen Euro. Eine Förderung durch Bund und Land sei bei dem Verkehrsmittel möglich, so Kahle. Berücksichtigen müsse man, dass im Busverkehr durch den Einsatz einer Seilbahn erhebliche Einsparungen generiert werden können, so der Bürgermeister.
Bürgermeister Dr. Kahle erinnerte zum Auftakt der Veranstaltung daran, dass Diplom-Ingenieur Wolfgang Nickel (Planungsgruppe Nord, Kassel) bei einer ersten Veranstaltung aufgezeigt habe, dass es bei der Anbindung in Sachen Klimaschutz noch einiges zu verbessern gebe. Die Universitätsstadt Marburg habe sich mit der Verringerung des Kohlendioxidausstoßes sehr hohe Ziele gesetzt, die es in unterschiedlichen Bereichen umzusetzen gelte – eine Seite sei der Verkehr.
Nickel habe die Gesamtentwicklung im Blick gehabt, wie der Universitäts- und Klinikstandort zu erreichen sein könne, und so unter anderem einen direkten Fahrradweg und den verstärkten Einsatz von E-Bikes vorgeschlagen. „Einen wesentlichen Punkt der Erreichbarkeit bildet auch der Öffentliche Personennahverkehr“, so Kahle. Und Nickel habe empfohlen, in diesem Zusammenhang den Bau einer Seilbahn in Erwägung zu ziehen.
Diplom-Ingenieur Schweiger verwies noch einmal auf die Prognosen Nickels für das Jahr 2020, laut denen 2.500 Mitarbeiter und 8.000 Studierende sowie 4.500 Klinikmitarbeiter und 1.200 Besucher täglich die Lahnberge erreichen müssten. Das bedeute 46.600 Wege insgesamt. Von diesem Wert ausgehend, solle seines Erachtens die Förderkapazität einer Seilbahn zwischen 2.000 und 2.500 Personen pro Stunde und Richtung betragen.
Weitere Anforderungen seien geräumige Kabinen für bis zu 35 Fahrgäste, in denen auch Rollstühle, Fahrräder und Kinderwagen passen und möglichst geringe Wartezeiten. Diese könnten bei einem „Stetigförderer“ – das hieße die für Marburg sinnvollen etwa 30 Kabinen fahren jeweils sofort auf der anderen Seite zurück – zwischen 30 Sekunden bis zu einer Minute betragen.
Da eine Seilbahn auf einer eigenen Ebene verkehre, brauche es außer für die Stationen keinen Platz, der Raum verdränge, sagte der Ingenieur. Es brauche keine Schneise in den Wald geschlagen werden, weil die Bahn darüber verlaufe, so Schweiger. Eine mögliche Genehmigungsphase dauere zwei Jahre und innerhalb eines Jahres sei die Realisierung einer Seilbahn im Bau möglich.
Durch den elektrischen Antrieb verursache eine Seilbahn keinen Lärm und keine Schadstoffe, sagte der Ingenieur. Sie könne auch mit Solarstrom betrieben werden. Zuletzt sei eine Seilbahn eine Attraktion und somit touristisch durchaus attraktiv, führte er an.
Mit einer Verbindung zu den Lahnbergen, so Schweiger, könne durch die Seilbahn die Infrastrukturlücke geschlossen werden, wofür sie sich besonders eigne, weil sie Flüsse, Schienen und Gebäude überwinden könne. Fragen und Kritik des Publikums beschäftigten sich mit der Frage, dass die Seilbahn über Gebäude führe. Laut Schweiger müsste eine Mehrseil-Umlaufbahn nicht direkt über Häuser führen, einige Vorgärten am Blitzweg würden überführt. Die Kabinen würden etwa 20 Meter über Firsthöhe fahren.
Einblicke der Fahrgäste auf Balkone und Dächer könnten mit verschiedenen technischen Möglichkeiten verhindert werden, sagte der Seilbahnfachmann. Dazu dienen etwa der Einbau von ‚Smart Glas‘, das elektrisch auf bestimmten Streckenabschnitten milchig undurchlässig gemacht werde, auf dem restlichem Weg die Sicht wieder freigebe.
Es seien verschiedene Varianten für die Trassenführung untersucht worden, berichtete der Experte. Letztendlich sei aufgrund unterschiedlicher Hemmnisse eine übrig geblieben. Kahle hob in diesem Zusammenhang jedoch hervor, dass Vorschläge für andere Lösungen im Rahmen der weiteren Entscheidungsfindung denkbar seien. Die Vorzugsvariante der Studie würde laut Schweiger mit einer Talstation am westlichen Lahnufer im Bereich Savignystraße/Uferstraße beginnen. Es würde eine Zwischenstation neben dem Ludwig-Schüler-Park folgen.
Bis dorthin sei eine horizontale Streckenführung sinnvoll. Von der Zwischenstation müsse eine mögliche Verbindung am Seil über den Blitzweg und seine Verlängerung mit insgesamt zwei Masten über eine weitere Zwischenstation bei Spiegelslust bis zur Bergstation führen, die sich bei der Mensa in der Nähe des Klinikums befinden solle, um Krankenhaus wie Universität schneller zu erreichen. Der Abstand zur Wohnbebauung liege bei 20 Metern.
Für die Talstrecke würde eine Fläche von 20 mal 30 Metern gebraucht. Für das Gebäude der Talstation würde eine Höhe von mindestens zehn Metern benötigt, um die Stadtautobahn mit der Seilbahn und mit Stützpfeilern im Abstand von 30 bis 40 Metern überqueren zu können. Die Fahrzeit, so Schweiger, dauere rund zehn Minuten. Zum Vergleich brauche der Stadtbus auf der kürzesten Linie 16 Minuten, mit dem Auto sei man zwölf, mit dem Fahrrad 25 und zu Fuß gar 45 Minuten unterwegs.
Zu Bedenken von Bürgerseite, der Hauptstrom der Menschen käme gar nicht aus der Innenstadt, sagte Bürgermeister Kahle, dass die kürzlich vorgestellte Studie das Gegenteil belege, zumal die meisten Studierenden dort wohnten. Zugleich werde der Busverkehr nicht abgeschafft, so dass die Lahnberge auch aus anderen Richtungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar blieben. Aber auch die Talstationen seien sehr gut in das innerstädtischen Nahverkehrsnetz integriert, so dass die Kernstadt und zahlreiche Stadtteile über Busverbindungen an die Stationen der Seilbahn angebunden wären.
Insbesondere von Bewohnern des Ortenberges gab es zahlreiche kritische Anmerkungen, die sich im Wesentlichen auf die Überfahrung dieses Stadtquartiers bezogen. Unter anderem wurden die Auswirkungen auf das Stadtbild kritisch hinterfragt.
Bürgermeister Dr. Kahle, die Verkehrsexperten und verschiedene Teilnehmer an der Diskussion sehen in dem Projekt einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Marburger Verkehrsverhältnisse. „Die Lahnberge würden ein ganzes Stück näher an die Innenstadt heranrücken“, so Kahle. „In 15 Minuten könnten Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, ambulante Patienten, Studierende und Lehrende von den Lahnbergen aus den Marburger Marktplatz erreichen.“
Natürlich müssten in den nächsten Schritten die Verträglichkeit mit dem Stadtbild, Kosten, die Fördermöglichkeiten usw. noch näher untersucht werden. „Grundsätzlich sollte die Chance“, so der Bürgermeister, „diese saubere und klimafreundliche Zukunftsvision näher unter die Lupe zu nehmen, nicht vertan werden.“
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