MOSH im Kunstverein – Inszenierungen ritualisierter Aggression von Nik Nowak und Moritz Stumm
Marburg 27.01.2016 (yb) Unter dem Titel MOSH präsentieren die beiden Berliner Nik Nowak und Moritz Stumm bis 10. März 2016 im Marburger Kunstverein Ausschnitte aus ihrem künstlerischen Schaffen, in dem Sound und Soundsysteme, Raumklang, Installationen, Videoprojektionen und vielfältige Bezüge zu oftmals subkulturellen Musikgenres den Ton angeben und sich in eigenwilliger Weise visualisiert und inszeniert finden. Diese Ausstellung ist eine Zumutung und soll es auch sein.
Zum ersten Mal stellen Nik Nowak und Moritz Stumm gemeinsam aus. Dabei unternehmen sie den Versuch mit den Mitteln darstellender (Medien-)Kunst vertiefende Einblicke und Eindrücke in zumeist hochgradig visualisierte Klangwelten zu geben, die in Metropolenclubs – in Berlin derzeit angesagt “SO36“ oder “Berghain“ – als (vermeintlich) subkulturelle Eventkultur zelebriert wird. Die Zumutung beginnt mit MOSH als Titulierung. Als Ableitung von “Moshpit“, als Bezeichnung für den morastigen Bereich vor der Bühne bei Open-Air-Konzerten, zudem ein Protestsong des US-amerikanischen Rappers Eminem gegen den damaligen US-amerikanischen Präsident George W. Bush, wird also mit MOSH auf Kontexte und artifizielle Codes verwiesen, die im Kunstverein nicht Level schlechterdings oder Standardrepertoire sind.
Die Zumutung beginnt also im Titel der Ausstellung. Auf dem Plakat verwundert die Abbildung des “Mobile Booster“ als Soundsystem auf zwei Rädern. Wer als BesucherIn nachliest oder sich vorher kundig macht, findet zum Rapper Eminem den “Conscious Rap“, oftmals getragen von sozialkritischen und politischen Textinhalten. Mit dieser Ausstellung präsentieren Nik Nowak und Moritz Stumm denn auch nicht alleine ihre Werke. BetrachterIn wird konfrontiert mit Unterlegungen und gesellschaftlichen Kontexten, in denen oftmals Gewalt und Aggression im Subtext anklingt. Ob dies zur Anklage wird oder ob subkulturelle Musik und deren projizierte Visualisierung bei bizarren Metropolenevents als Metaphern einer Endzeitkultur bloß gezeigt und ikonografiert werden, liegt im Auge, in der Rezeptionsfähigkeit und der Interpretation des Betrachters.
Diese Ausstellung ist eine Zumutung. Zugleich unternimmt sie den Versuch mit künstlerischen Mitteln ein Kondensat zu formen und präsentieren. Dazu gehören Abstraktionen und viel archetypische Werkformulierung. Der “Mobile Booster“ auf zwei Rädern mit grün lackiertem Chassis, Lautsprechern und Audioequipment von Nik Nowak hat eine besondere Anschaulichkeit. Dies gilt auch für den “Sonowak“, ebenfalls auf zwei Rädern. Technik, Mobilität und Power finden sich als merkwürdige Skulpturen, die zugleich auf technisierte Klangwelten verweisen.
In gleich drei Bildcollagen in Vitrinenrahmen entfaltet Nowak Einblick und Übersicht zur Entwicklung und Eigenart mobiler Soundsysteme als global vorzufindendes Phänomen. Dazu gehören ein mit Lautsprechern beladener Maulesel und eine Vielzahl Automobile, die mit Schallgebern ausgestattet sind. Er selbst hat einen “Soundpanzer“ als kettengetriebenes Fahrzeug konstruiert (nicht Teil der Ausstellung). Damit ist er über beschichtete Aluminiumplatten gefahren. Dies findet sich als “Dubplate“ mehrfach an der Wand inszeniert und präsentiert.
Die titelgebende Arbeit “MOSH“ von Moritz Stumm kann als kinoleinwandgroße stumme Videoprojektion im oberen Raum des Kunstvereins betrachtet werden. In extremer Zeitlupe werden die Bewegungen eines tanzenden Publikums gezeigt, stumme Bewegtbilder als „Psychologie von Sound und Bildsprache von Subkultur“, aufgezeichnet in einem Club.
Zersplittertes Glas prägt die Serie “Splinter“, vier großformatige dunkle Glasscheiben, allesamt hinterleuchtet.
Die dynamische Installation mit dem Titel “The Revolution will not be Televised“ von Moritz Stumm nutzt vier LCD-Flatscreens, jeweils von einem Klöppel rhythmisch als Klangkörper touchiert. Seine Projektion im unteren Raum visualisiert in der Manier dynamisch-abstrakter OpArt psychedelisch-musikalische Rauschzustände und kann als ein Bindeglied in der Ausstellung wahrgenommen werden.
Die Betrachter werden beim Rundgang mit vielen Arbeiten als Versatzstücke konfrontiert, deren Kontext sich nicht ohne weiteres erschließt. Diese Ausstellung ist eine Zumutung mit hohem Level.
Ganz anders und äußerst sinnenreich konnten die Ausdrucks- und Bilderwelten bei der Ausstellungseröffnung erlebt werden. Nik Nowak und Moritz Stumm präsentierten mittels dreier Projektoren und via Lautsprecher eine überbordende visuell-akustische Performance, die das zahlreich erschienene jüngere Publikum wie auch ältere Besucher beeindruckte und fesselte. Der Kunstverein mutierte für mehr als 20 Minuten zum Metropolenclub. Zwei Medienkünstler machten ihr enormes Potential als Visual Jockeys hörbar und sichtbar. Virtuos mischten, sampelten, zerlegten und dubbten und choreografierten die beiden Berliner Lichteffekte und Videosequenzen, Rhythmen und Klangwelten. Moshing Marburg als Einstand.
MOSH – Nik Nowak, Skulptur und Soundsysteme | Moritz Stumm, Zeichnung und Videoprojektionen
Marburger Kunstverein, Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr, Mi 11 – 20 Uhr
Öffentliche Führungen jeden Samstag 16 Uhr. Eintritt frei.