Lieder vom Wasser in Friedelhausen
Marburg 31.01.2016 (red) So viel Stille. Nur eine Spatzenschar tschilpt, ein Specht hämmert im nahen Wald und vor mir das zarte Malmen der 20 rotbraunen Rinder, die im offenen Stall Heu rupfen. Ein Bewohner des Hofguts Friedelhausen quert den weiten Platz inmitten der historischen Gebäude. Ich frage ihn, ob das Angler-Rinder seien, eine bedrohte Art. „Angler-Kühe“ verbessert er mich. Natürlich, denn sie liefern ja die Milch für die Käserei und den Verkauf sowie den Eigenbedarf der ‚Hofgemeinschaft für heilende Arbeit e.V‘. Etwa 50 Behinderte und 20 Betreuer leben in Wohngruppen auf dem Hof und bewirtschaften ihn ökologisch nach Demeter-Richtlinien. Sie haben das Gut von Christoph Graf von Schwerin gepachtet, dem auch die umliegenden Wälder gehören.
Der Graf ist auch Besitzer des seltsamen Schlosses, wenige Steinwürfe vom Hofgut entfernt, mitten im Wald. Die dringlichste Sanierung des denkmalgeschützten Hauses, ein neues Dach, scheint geschafft. Erbaut ist der Kasten mit seinen sechseckigen Ecktürmen und Maßwerkfenstern im Stil der englischen Tudor-Gotik aus lokalem Lungstein, aber erst seit 1851. Wie verirrt sich eine solche Imitation in die Wälder an der Lahn zwischen Marburg und Giessen?
Das Schloss verdankt seine Existenz der Liebe. Die begüterte Korrespondentin der London Times, Clara Philipps, und der Abgeordnete des Paulskirchen-Parlaments, Freiherr Adalbert von Nordeck zur Rabenau, lernten sich 1848 in Frankfurt kennen und lieben. Man heiratete, doch der Lady war es im alten Schloss zu ungemütlich, und so baute ihr der liebende Gatte eine englische Nostalgie, jedoch mit modernster Sanitär-Technik. Nur 10 Jahre lebten die beiden hier, bekamen Kinder, dann starb Clara 1867.
Eine Tochter war Luise Gräfin von Schwerin, sie war verwitwet zurück ins Elternschloss gezogen. Literarisch sehr interessiert, lud sie den jungen Dichter Rainer Maria Rilke sofort ein, als sich die beiden zufällig im Sanatorium ‚Weißer Hirsch‘ zu Dresden trafen. Rilke, ein begnadeter Schnorrer und Netzwerker, kam sogar zweimal, 1905 und 1906, für etliche Sommerwochen als Gast nach Schloss Friedelhausen in die hessischen Wälder. Da Gräfin Luise Anfang 1906 verstarb, war ihre Schwester Alice 1906 Gastgeberin. Auch Rilkes Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff und sein Töchterchen Ruth reisten an.
Schon damals wusste der Dichter alle zu bezaubern, wenn er aus seinen Werken las oder wenn er als Dank für die Gastfreundschaft ein passendes Gedicht schmiedete. In Friedelhausen lernte er den Schwiegersohn von Gräfin Luise, den Naturforscher Jakob von Uexküll kennen sowie den Sammler und Mäzen Von der Heydt, der ihn auf seinen Landsitz ‚Wacholderhöhe‘ einlud. Alice stellte dem Dichter ihre Villa auf Capri zur Verfügung.
Nun kommt am 20. Februar wieder illustrer Besuch nach Friedelhausen, und zwar in den Rittersaal des Hofgutes. Wie im Märchen ist dieser Saal über eine Wendeltreppe erreichbar, also nicht mit Rollator oder Rollstuhl. Das Gebäude ist fast 500 Jahre alt, „1564“ ist über dem Türsturz zu lesen. Der bekannte Chaos-Chor aus Giessen, korrekt: C.ha.os-Chor (Collegium harmoniae oscillantis) gibt sich die Ehre. Er existiert immerhin schon seit 1990. Sie kommen aus dem Dunstkreis der Universität und sind daher zwangsläufig ziemlich mobil. Der Dirigent Johannes Becker ist mit am längsten dabei. Er wird in Friedelhausen auch als Solist am Klavier auftreten, neben Gerd Schiebl am Violoncello und Michael Brauer als Tenor. Das Thema des Abends ist ähnlich ausgefallen wie der Ort des Gastspiels: „H20, von der Träne bis zum Meer“. Als Lieder vom Wasser wurden Kompositionen von Bach, Brahms, Schubert, Rossini, u.a. ausgesucht. Text und Fotos Ursula Wöll
Der Abend beginnt um 19.30 Uhr, Karten für 6 Euro gibt es unter 06406-91650 und an der Abendkasse.