Politposse in Marburg – Keine Mehrheit aber starke Sprüche
Marburg 1.4.2016 (yb) Der Aprilscherz findet sich in der heutigen Marburger OrtsPresse auf Seite 5. Was es auf der Titelseite und auf Seite 3 zu lesen gibt in Sachen Koalitionsbildung oder Suche nach Mehrheiten, mutet jedoch deutlich mehr wie ein (schlechter) Aprilscherz an. Die Bürger für Marburg (BfM) wollen demnach am Montag entscheiden und Rot-Grün sei in Marburg geschieden teilt die Marburger Tageszeitung ihren LeserInnen mit, oder sollte man besser sagen versucht sie der Leserschaft unterzujubeln. Zunächst eine Klarstellung: Die OrtsPresse gehört nicht der SPD. Bis vor einiger Zeit war es so, dass die Medienholding der SPD mit Anteilen am Madsack-Konzern, der für einige Jahre die Mehrheit der OrtsPresse in Marburg übernommen hatte, insoweit (auch) der SPD gehörte. Diese Anteile hat die Familie Hitzeroth, so die offizielle Information, zurückerworben. Es gibt also kein Eigentumsverhältnis von Marburgs stärkster Partei (31,3 Prozent Stimmanteile holte die SPD) an der Tageszeitung, auch wenn so manche Berichterstattung, siehe heutige Ausgabe, mit Journalismus wenig dagegen mit Hofberichterstattung viel zu tun hat. Mit dem Satz „Wer mit der SPD gemeinsam einen Sparhaushalt durchsetzt, der darf zur Belohnung mit in eine Koalition“ endet die heutige Berichterstattung. Es bleibt Leser/in überlassen sich zu fragen, ob das ironisch zu interpretieren ist.
Ironie könnte helfen das zur Kenntnis zu nehmen, was an diesem 1.April in Marburg schwarz auf weiß gedruckt zur Lektuüre angeboten wird. Dummerweise werden jedoch Nachrichten verbreitet, eigentlich mehr kolportiert, die Verwunderung, Befremden und auch Ärger auslösen müssten. So wird von einer Zählgemeinschaft von SPD und BfM fabuliert. 18 plus 3 ergibt 21 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung. Rechnerich ist das richtig. Politisch ist das eine krasse Minderheit – oder anders formuliert gleichen die 3 Sitze der BfM die 6 Mandatsverluste der SPD gerade mal zur Hälfte aus. Wenn das eine politische Nachricht sein soll, wird damit allenfalls einer Losermentalität von Sozialdemokraten gehuldigt. Zugleich lassen sich – gewollt oder ungewollt – die Bürger für Marburg vorführen.
Was für eine Art minoritärer Zählgemeinschaft soll das denn werden und für welche Inhalte?, möchte es einem entfahren. Die BfM haben kräftig zugelegt bei der Wahl auf jetzt 3 Sitze. Stimmt. Doch interpretieren sie das als Auftrag einen Teil der Verluste der SPD, worin sich klare Aussagen und Kritik von WählerInnen artikuliert hat, ausgleichen zu wollen oder zu müssen? Wobei eine (regierungs)fähige Mehrheit in weiter Ferne bleibt. Denn Rot-Grün sind geschieden, schreibt dieselbe Tageszeitung auf derselben Seite. Einen direkteren und schnelleren Weg zum Verlust von Glaubwürdigkeit für die BfM könnte es gar nicht geben. Das sollte sich Andrea Suntheim-Pichler am Montag mit ihren Kollegen wirklich gut überlegen, mit dieser sogenannten Zählgemeinschaft ohne Mandat und Mehrheit.
Berichtet wurde zugleich, dass für Rot-Schwarz keinerlei Aussichten bestehen würden. Die SPD kritisiert die CDU deutlich wegen deren Ablehnung des Baus einer Moschee im Gewerbegebiet Cappel und mit „einer Partei, die einen längst resozialisierten früheren Straftäter öffentlich an den Pranger stellt“ wolle die SPD nicht an einen Tisch. Danach kommen die GRÜNEN dran. Beim langjährigen früheren Koalitionspartner hat die SPD kritisiert, dass von ihm Koalitionsaussagen öffentlich gemacht wurden. Die GRÜNEN hatten sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Und jetzt schlägt das Imperium zurück.
Wie geht das besser als einen kampferprobten alten Recken aufzufahren. So war der frühere starke Mann der Sozialdemokraten, Norbert Schüren, heute als Geschäftsführer der Stadtwerke Marburg Spitzenverdiener, in dieser Woche Gast bei den SPD-Senioren, der Arbeitsgemeinschaft 60+. Bei den alten Leutchen hat er dann vom Leder gezogen. Aber so richtig. Die Bürgerinnen seien „Rot-Grün zum Kotzen leid gewesen“, wird er von der OrtsPresse zitiert. Wenn das mal keine messerscharfe Analyse ist, wo Rot-Grün am 6. März deutlich abgewählt worden ist. Bei den Marburger Sozis liegt die Zukunft scheinbar oder gar tatsächlich in den Händen der Alten. Dabei sollte und muss Norbert Schüren aufpassen. Er kann in seiner Partei rumgeistern und ist gewähltes Kreistagsmitglied. Aus der Stadtpolitik hat er sich rauszuhalten!
Mit seinem steilen Auftritt hat Altmeister Schüren ganz nebenbei schon einmal den kommenden Fraktionsvorsitzenden Matthias Simon demontiert.
Machtwort ist Machtwort und muss eben sein. Jedenfalls dann, wenn das Personal so offenbar knapp ist wie bei der Marburger SPD. Dann müssen die alten Kameraden eben noch einmal aufstehen. Fragt sich jetzt noch ob Egon Vaupel das genauso sieht. Denn der frühere Oberbürgermeister hat für die SPD kandidiert und wurde weit noch vorne gewählt. Insoweit ist er werdender Stadtverordneter. Das wäre es doch. Ex-OB stärkt die gebeutelte SPD-Fraktion als Stadtverordneter. Klingt wie ein Aprilscherz. Ob es am 22. April zur konstituierenden Sitzung einer wird, hängt davon ab, ob Vaupel sein Mandat annnimmt.
Der SPD hat das öffentliche Plädoyer der GRÜNEN für Rot-Rot-Grün mißfallen. Jetzt meint sie die Position zu haben die GRÜNEN öffentlich vorführen zu können. Das ist nach mehr als 6 Prozent Stimmverlusten sehr selbstbewußt. Ob sich das die GRÜNEN bieten lassen werden, bleibt abzuwarten. Die OrtsPresse hatte deren Fraktionsvorsitzenden Dietmar Göttling bereits zum Stellvertreter degradiert.
Ganz offensichtlich findet in Marburg ein Hauen und ein Stechen statt. Die Minderneinnahmen bei der Gewerbesteuer werden mit 20 Millionen Euro nach oben gezogen, der Haushaltsüberschuss aus 2015 mit 10 Millionen Euro wird in der Öffentlichkeit totgeschwiegen. Damit soll Druck gemacht werden in der Suche nach Mehrheit(en), und seien es wechselnde. In dieser Richtung hat sich Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies geäußert. Ob das klug ist, muss sich erweisen.
Es bleiben die eigentlichen Wahlgewinner. Das ist die Marburger Linke, die von 4 auf 8 Stadtverordnete hochgewählt wurde. Na klar, hätte Rot-Rot-Grün eine deutliche Mehrheit. Dabei käme es auf die Inhalte an. OB Spies kennt aus Wiesbaden Rot-Rot-Grün und dürfte in Marburg kein Gegner einer solchen Mehrheit sein. Und na klar, wäre eine linke Mehrheit in Marburg kein Fremdkörper sondern Ausdruck von Verhältnissen in der Stadt, wie sie sich an vielen Stellen und in der politischen Kultur überhaupt dominant antreffen lässt. Bleibt die Frage, wie die Marburger LINKE tickt und was man dort will.
Damit hat das Wahlergebnis vom 6. März bis zum heutigen 1. April für allerhand Merkwürdigkeiten gesorgt. Es bleibt spannend und sollte endlich zur Sache und zu politischen Inhalten gehen. Denn mit dreisten Sprüchen wird es nicht gelingen.
Stattdessen sollte Nobert Schüren seine Energien in den Nachwuchsaufbau seiner Partei stecken und dafür sorgen, dass die Stadtwerke in der ab heute geltenden Umweltzone Marburg nicht für 24 Busse Ausnahmegenehmigungen brauchen und damit als Luftverschmutzer Nummer 1 bezeichnet werden müssen.