GRÜNE in Marburg suchen Perspektiven – Und setzen auf Differenz
Marburg 28.4.2016 (yb) Mit einem weitgehend neu besetzten Stadtvorstand haben die Marburger GRÜNEN zumindest eine Weichenstellung nach vorne vorgenommen. Marion Messik und Christian Schmidt teilen sich zukünftig die Aufgaben der Außenvertretung der GRÜNEN als Partei und sollen – so eine klar und von mehreren vorgetragene Direktive in der Mitgliederversammlung am 26. April – für mehr eigenes Profil der Partei im Verhältnis zur Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung sorgen. Man müsse und wolle nicht immer einer Meinung sein, könne auch nicht–konform gehen, mit dem was die Fraktion vertrete und wie sie handele, sprich sich in Abstimmungen im Stadtparlament verhalte. In der Diskussion zum Verhältnis von Partei und Fraktion ließen sich mehrere Aspekte wahrnehmen. Da gibt es zunächst einmal durchaus Kritik, nicht wenig gespeist durch die Verluste, vor allem den Mehrheitsverlust für Rot-Grün im Stadtparlament, bei der Kommunalwahl am 6. März. Demgemäß soll intern und vor allem nach außen Eigenständigkeit artikuliert werden – und auch Differenz.
Hierbei schwingt nach, dass manch Parteimitglied weniger oder gar nicht zufrieden gewesen, was in Marburg in den letzten Jahren politisch zum Laufen gebracht worden ist. Zugleich und womöglich vor allem wird dabei – im Stillen, weil in der Mitgliederversammlung nicht expressis verbis artikuliert – auf eine wieder kommende und weiterhin gegebene Regierungsverantwortung in Gestalt einer Kaolition mit den Sozialdemokraten gesetzt.
Es lässt sich sagen und war zugleich subkutan wahrnehmbar, dass die GRÜNEN sich immer noch im mentalen Verdauungsprozess zum schlechten Wahlergebnis befinden. Indiz eins: Man ging offen und freundlich miteinander um, gab sich launig. Indiz zwei: Man argumentiert an vielen Stellen formal und ablaufbezogen, jedoch nicht inhaltlich. Allenfalls wurde an dem Abend zugestanden, dass die Marburger LINKE beim Kardinalthema Neubau bezahlbarer Wohnungen deutlich besser war. Das war es dann aber auch schon, was politisch-inhaltlich kurz aufflackerte. Die Versammelten waren mithin meilenweit weg von einer Remedur zu ihrer Politik als seit beinahe 20 Jahren in Regierungsverantwortung stehende Partei.
Es war mithin eine deutliche Spach- und Gedankenlosigkeit hinsichtlich politischer Perspekten für die Stadt wahrzunehmen, unbenommen von der Frage, ob dem ein Verdrängen und Verschieben zu Grunde liegt oder ob es derzeit bei den GRÜNEN schlicht an Vorstellungen fehlt. Dabei hatte die Einladung genau anderes auf der Tagesordnung vorgesehen. Unter Punkt 7) sollte es um „Zukünftige Ausrichtung der Grünen Stadtpolitik“ gehen. Doch dafür war mit Abstand keine Zeit (mehr) an dem Abend, nachdem man sich bei der Vorstandswahl viel Zeit für Kandidatenvorstellung und -befragung gelassen hatte. Zudem löste ein ‚Arbeitsauftrag‘ vom alten für den neuen Vorstand kontroverse Diskussion aus.
Und es war der 3o. Jahrestag des Reaktorunglücks von Tschernobyl. Als dies verlautbart wurde, setzten eifrige Aktivitäten ein und eine Resolution sollte herbei. Diese musste erst einmal formuliert werden. Es gelang, weil dies gewissermaßen Heimspiel für jede/n GRÜNE/N ist, Abstimmungsergebnis einstimmig.
Angesicht der deutlichen Verdrängung und Vermeidung des wichtigsten Tagesordnungspunktes zur zukünftigen Ausrichtung Grüner Stadtpolitik waren es die Vorstandswahlen, die gewisse Rückschlüsse eröffneten und Veränderungswillen manifestierten. Es sind weitgehend neue Gesichter im Vorstand vertreten. Lediglich Elke Neuwohner und Christian Schmidt waren bereits im alten Vorstand aktiv. Mit 38 Stimmen, und damit einstimmig, wurde etwa die Buchhändlerin Barbara Amend zur Beisitzerin gewählt. Nicht durchsetzen konnte sich Roland Stürmer im – einzigen konkurrierenden – Wahlgang für einen Vorstandssprecher. Christian Schmidt setzte sich mit deutlichen Mehrstimmen durch. Ex-Magistratsmitglied Stürmer lies es sich nicht verdrießen, kandidierte ein zweites Mal und wurde mit anderen als Beisitzer mandatiert.
Eine Unzufriedenheit nicht alleine mit dem Wahlergebnis bestimmt bei den jüngeren und älteren Parteimitgliedern die Befindlichkeit. Sicherlich ist der momentane Entzug von Macht und Gestaltungsmöglichkeiten dafür eine entscheidende Grundlage. Umso mehr, möchte man meinen und denken, wären dann inhaltliche Positionen – und etwas mehr als die nebenbei von einer GRÜNEN gemachte Aussage, dass man beim Beschluss zum Fällen der Bäume auf dem Vitos-Gelände wohl auf der falschen Seite gestanden habe – vonnöten.
Dafür bleibt den GRÜNEN Zeit und sei es die auf einer Klausurtagung im Sommer, die beschlossen wurde. Doch die Stadt Marburg und die WahlbürgerInnen warten. Sie warten darauf, dass wieder Politik gemacht wird und Weichen gestellt werden. Das derzeit hoch gehandelte und hochgespielte Thema vermeintlich schlechter Stadtfinanzen hat wenig inhaltliches Portential. Und auch die Aussage von Fraktionssprecher Dietmar Göttling am Rande der Versammlung, dass man am Folgetag mit der Marburger LINKEN zusammensitzen werde, einen Tag später dann mit der SPD, belegt Suche nach Orientierung und politischen Partnern. Doch gute politische Arbeit braucht zunächst einmal eigene Positionen. Den GRÜNEN in Marburg scheinen diese abhanden gekommen.
Ein ‚Warten auf Godot‘ bringt sie sicher nicht vorwärts.
Personeller Neustart beim Stadtvorstand der Marburger Grünen