Das alte Klinikgebäude Sonnenblick wurde beseitigt – Marburg hat ein wichtiges Baudenkmal verloren
Marburg 3.9.2016 (red) In vielen Orten und auch in Marburg wird für Sonntag, 11. September zum Tag es offenen Denkmals eingeladen. Dies nimmt der Historiker Angus Fowler in einem Gastbeitrag zum Anlass die (Bau-)Geschichte und Bedeutung der inzwischen abgebrochenen Klinik Sonnenblick auf den Lahnbergen zu vergegenwärtigen, die gegen einige Widerstände und wider besseres Wissen als Baudenkmal geopfert wurde:
In den letzten Wochen wurde das geschichtsträchtige und durchaus denkmalwürdige alte Hauptgebäude der Klinik Sonnenblick nach Verlangen der Deutschen Rentenversicherung (DRV)als Eigentümerin abgebrochen, auch das westlich daneben liegende Ärztehaus ist verschwunden, alles buchstäblich in Schutt und Asche versunken.
Das ehemals TBC-Sanatorium geht ursprünglich auf einen Vorschlag Emil von Behrings um 1898 zurück. Nach langjähriger Vorbereitungsarbeit vor allem durch Mediziner an der Universität Marburg, getragen durch die kommunale Vertretung und die Versicherungsanstalt (Vorgängerin der DRV) der preußischen Provinz Hessen-Nassau/Regierungsbezirk Kassel, konnte mit großzügiger Hilfe der preußischen Regierung und des Deutschen Reiches aus Zolleinnahmen die Planung nach 1925 beginnen.
Aus einem auf die Provinz Hessen-Nassau beschränkten Wettbewerb 1929 gingen der mit Marburg eng verbundene, noch junge Architekt, Werner Hebebrand, Mitarbeiter des bekannten Frankfurter Stadtplaners Ernst May, und sein Partner Willy Kleinertz mit ihrem Entwurf im Stile der „klassischen Moderne“ (nicht „Bauhaus“) als erste Preisträger hervor. Hebebrand wurde zuvor durch sein Entwurf für das Frankfurter Zollamt bekannt.
Preisrichter waren u.a. Martin Elsässer, Walter Gropius und wohl auch von amtswegen der Leiter der preußischen Bauverwaltung Martin Kießling. Der Entwurf von Hebebrand und Kleinertz ähnelt nämlich sehr dem vorausgegangenen Entwurf Kießlings für eine neue Schule in Danzig, wo Kießling vorher Stadtbaudirektor war.
Unter den damals herrschenden Finanznot der Wirtschaftskrise wurde das Sanatorium Sonnenblick 1930-32 durch das Reichsbauamt sparsam errichtet (Ausgabenjournal sowie weitere Akten im Staatsarchiv Marburg und im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde erhalten). Die Umgebung in der aus dem Forst gerodeten Lichtung wurde kunstvoll als Landschaftspark gestaltet. Hebebrand ging 1930 mit May nach Russland und hat dort bis zur seiner Verhaftung und Ausweisung 1938 – insbesondere unter Anwendung seines Marburger Entwurfes als Leitbild – Krankenhaus- und Kliniksbauten geplant.
Hebebrands Kollege in Russland Kurt Liebknecht (Neffe von Karl L.) kam 1947/48 aus der Emigration zurück, wurde später Präsident der Baukademie der DDR und brachte seine Erfahrungen – wohl auch mit dem „Marburger Modell“ – in den Krankenhaus- und Kliniksbau in der DDR ein.
Die Geschichte des Sanatoriums Sonennblick im Dritten Reich und des Umgangs mit seinen Patienten damals müsste noch erforscht werden, es wurde wegen Bombenschäden an den Uni-Kliniken in der Stadt zeitweise als Ausweichquartier bzw. Lazarett benutzt.
Das Gebäude blieb bis vor kurzem im vollen Betrieb, es musste aber den Erfordernissen der Zeit und der Kliniksentwicklung durch Um- und Anbauten in den 1950er (mit Zustimmung von Hebebrand als Urheber) unter anderem mit dem schönen Gemeinschaftssaal am östlichen Kopfende, und 1980er Jahre angepasst werden. Der Schwerpunkt TBC-Behandlung wurde zu Gunsten von Rehabilitation aufgegeben.
Die baulichen Änderungen entsprachen dem jeweiligen herrschenden Architekturrichtung und sind inzwischen Geschichte und denkmalwürdig geworden. Noch bei Benutzung des alten Gebäudes belegte die Klinik Sonnenblick 2010 Platz 5 unter 94 onkologischen Rehabiliations-Kliniken in Deutschland.
2011 schätzten drei unabhängige Experten, Dr. Thomas Flierl, Kultursenator a.D. (Berlin), die Marburger Kunsthistorikerin, Dr. Jutta Schuchard, und Oberbaurat a.D. Dipl.-Ing. Rüdiger Maul (Essingen/Pfalz) das Gebäude und die Gesamtanlage als denkmal- und erhaltungswürdig ein und keineswegs so baufällig wie vom Bauherrn dargestellt.
Zudem dürfte ein Gebäude nicht nur auf Grund seiner Architektur sondern – wie im Hessischen Denkmalschutzgesetz ausdrücklich dargelegt – auch auf Grund seiner Geschichte und Nutzung als Denkmal betrachtet und eingetragen werden. Unter Druck von der Rentenversicherung vermochten aber weder das Landesamt für Denkmalpflege Hessen noch der Marburger Denkmalbeirat, das Anwesen unter Schutz stellen zu lassen. Es wurde nicht mal amtlicherseits der Versuch unternommen, wenigstens die Geschichte der Klinik und des Gebäudes zu erforschen, die für eine Eintragung als Denkmal notwendig gewesen wäre.
Das alte Sanatoriums-Gebäude und das Arztehaus hätten als solide Bauten bzw. nachhaltige Bauressourcen durchaus erhalten und für andere Zwecke benutzt werden können, etwa als Wohnheim. Dies wurde von der Rentenversicherung rundweg abgelehnt. Nach dem Abbruch will sie nun selbst das Gelände vermarkten, entwickeln, mit Neubauten versehen lassen und den Freiblick vom neuen Kliniksgebäude, ein Grund für den geforderten Abbruch, wohl teilweise versperren.
Welcher Hohn, welche Verachtung ihrer eigenen Geschichte! Einer Aufforderung – auch von der Stadt Marburg – wenigstens die Geschichte und bauliche Entwicklung des Sanatoriums durch eine Ausstellung – noch vor Abbruch des alten Gebäudes – zu dokumentieren, ist die DRV nicht nachgekommen. Eine rechtzeitig vor dem Abbruch erstellte Fotodokumentation durch das Bildarchiv Foto Marburg musste erkämpft werden.
Die Stadt Marburg hat nun ein für ihre Geschichte wichtiges Denkmal bzw. historisches Gebäude verloren, das leider wegen seiner Randlage bei der Bevölkerung kaum bekannt und in seiner Bedeutung nicht erkannt war. Für die Erhaltung solcher gefährdeten Bestandteile der Stadt müsste eine wirkungsvollere Bürgerbeteiligung entwickelt und öffentlich, damit Marburger sich wirksam dafür einsetzen können.
Angus Fowler, Marburg
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