Gramm Art Project präsentiert Stummfilmkonzert in der Cavete: Der Mann mit der Kamera von Dsiga Wertow

22.11.2024 (pm/red) Ein wegweisendes Experiment und eines der erstaunlichsten Filmdokumente seiner Zeit bringt Dziga Wertov in 1929 und dokumentiert den Tagesablauf einer großen sowjetischen Stadt, montiert aus Moskau, Kiew und Odessa. Wertov verzichtet auf narrative …

Lesen Sie den gesamten Beitrag »
Kultur

Hessische Geschichten

Kassel

Hessen Kassel Heritage

Kunst

Home » Angesagt, Gastbeitrag, Kultur

Was Haben Raif Badawi und Deniz Yücel gemeinsam?

Zeichnung einer historischen Lesegesellschaft

Marburg 25.4.2017 Gastbeitrag von Ursula Wöll Beide sitzen hinter Gittern, weil sie ihren Journalistenberuf ernst nahmen und nicht nach der Melodie der Herrschenden sangen. An sie und all die namentlich unbekannten KollegInnen in Haft möchte ich zum 3. Mai erinnern. Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit, die auch im Jahr 2017 weltweit in vielen Ländern missachtet wird. Daher ist es leider schon Tradition, dass an diesem Tag die Journalistenorganisation REPORTER OHNE GRENZEN e.V. ihren jährlichen Bildband „Fotos für die Pressefreiheit“ vorstellt. Im neuen Fotoband 2017 berichtet neben 20 weiteren Reporterinnen der mexikanische Fotoreporter Emmanuel Guillen Lozano über seine Recherchen. Mexiko gilt als eines der gefährlichsten Länder für JournalistInnen. Seit Jahren konkurriert Saudiarabien um diesen Spitzenplatz, und nun auch die Türkei, in der über 120 Presseleute in Haft sitzen (April 2017). Die Liste der Staaten lässt sich verlängern, denn für jedes autoritäre Regime ist eine freie und unabhängige Berichterstattung gefährlich. Informationen über Mißstände sind ja die Voraussetzung für Ansätze zu deren Veränderung.

Der 1984 geborene Blogger und Buchautor Raif Badawi sitzt seit einigen Jahren in einem Gefängnis in Dschidda und hat bereits 50 der ihm vom obersten saudischen Gericht zugedachten 1000 Peitschenhiebe erhalten. Sie setzten ihm gesundheitlich so schwer zu, dass die übrigen 950 Stockhiebe bislang nicht verabreicht werden konnten. Amnesty International, die weltweite Menschenrechtsorganisation mit über 7 Millionen Mitgliedern, bezeichnet diese barbarische Strafe zu Recht als Folter. Dabei hat Badawi nichts anderes getan als das was ich gerade tue, nämlich eine eigene  Meinung im Internet kundtun. Badawi forderte eine Säkularisierung der Politik, individuelle Freiheiten wie Meinungs- und Glaubensfreiheit und eine Gleichberechtigung der Frauen. Er ist mein Kollege, nur mit unendlich mehr Mut. Wahrscheinlich würde ich schweigen, wenn ich in Dschidda, Ankara oder einem der vielen anderen Länder wohnen würde, in denen die Forderung nach Menschenrechten bestraft wird..

Die Verhaftung des 1973 geborenen deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel ist jüngeren Datums. Er sitzt seit Wochen in Untersuchungshaft, in der 6-Quadratmeter-Zelle eines Istanbuler Gefängnisses. Yücel ist Korrespondent der WELT und sicherlich frei von Terrorabsichten, die ihm Erdogan vorwirft. Ich möchte nicht in Yücels Haut stecken und noch viel weniger in der Haut der vielen anderen Inhaftierten, die wir namentlich nicht kennen.

Ohne Pressefreiheit keine Demokratie
Meinungs- und Informationsfreiheit, also auch eine freie Presse, ist ein weltweites  Menschenrecht. Weder das Individuum noch die Gesellschaft als ganzes können es entbehren, daher lässt es sich nirgends dauerhaft unterdrücken. Auch in unserem Kulturkreis wurde um dieses Menschenrecht hart gerungen. Die strikte Vor- und Nachzensur im Absolutismus beweist die Angst der damals Herrschenden vor einer freien Presse. Wie stark das unterdrückte Bedürfnis der Untertanen war, frei reden, schreiben und lesen zu können, beweist das Hambacher Fest vom 27. Mai 1832.

Illustration zum Hambacher Fest

Damals bezwangen  über 20.000 Männer und Frauen ihre Angst und zogen zum Hambacher Schloss hinauf. Ihre Hauptforderung war Pressefreiheit. Schon im Vormärz bildeten sich überall Lesegesellschaften, die über die gedruckten Neuigkeiten „räsonnierten“, also gemeinsam debattierten. Auch in Marburg vereinigen sich zwei Lesegesellschaften 1842 zu einem „Lese-Museum“, das unter seinen 300 Mitgliedern auch viele Angestellte und Handwerker verzeichnet. Man zieht in das Cronenbergsche Haus um und hat nun neun Zimmer zur Verfügung. Im Sommer nutzt man den Garten zu geselligen Anlässen mit Damen. Als das Lese-Museum verboten wird, gründen einige Professoren, unter ihnen der erst aus der Haft entlassene Sylvester Jordan, sofort eine neue Lesegesellschaft, die eine noch größere Palette an Zeitungen anbietet.

Heute ist die Presse- und Informationsfreiheit im Artikel 5 unseres Grundgesetzes verankert. Auch Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen schreibt die Pressefreiheit vor. Zumindest auf dem Papier. Deshalb ernannte 1993 die UN-Generalversammlung den 3. Mai zum Internationalen Tag der Pressefreiheit, an dem Verstöße besonders kritisiert werden sollen.

Nicht nur um Badawi, auch um Deniz Yücel droht es langsam still zu werden, ganz zu schweigen von den vielen namenlosen Inhaftierten, die etwas schrieben, was dem Regime missfiel. Öffentlichkeit bedeutet  einen gewissen Schutz für die Eingesperrten. Und vor allem eine psychische Stärkung der Verhafteten in ihrer furchtbaren Situation. Deshalb ist der 3. Mai ein wichtiges Datum, an dem wir uns in unserer kommoden Lage an andere weniger Glückliche erinnern sollten.

Der Fotoband 2017 kostet 14 Euro + Versand und kann bestellt werden unter www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/fotobuecher/fotobuch2017/

Für Deniz Yücel findet jeden Monat eine Mahnwache und ein Autokorso statt, und zwar in Flörsheim/Main, wo Yücel aufgewachsen ist. Der nächste Termin ist Mitte Mai 2017

Unter Telefon 06421-201-1346 oder oeffentlichkeitsarbeit@marburg-stadt.de ist die Publikation „Lesen in Marburg 1758 – 1848 – Eine Studie zur Bedeutung von Lesegesellschaften und Leihbibliotheken“  (MSS Nr. 37 von 1991) erhältlich.

Contact Us