Bundesbeauftragter Roland Jahn besuchte Archivschule Marburg – Informationen zur Zukunft des “Stasi-Unterlagen-Archives“
Marburg 24.5.2017 (pm/red) Am 18. Mai 2017 war Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Ministeriums der Staatssicherheit der ehemaligen DDR, zu einem Informationsbesuch an der Archivschule Marburg – Hochschule für Archivwissenschaft zu Gast. In einem Gespräch mit den Studierenden und den MitarbeiterInnen stellte er die Überlegungen und Planungen zur Weiterentwicklung der Behörde vor, die er unter den Leitsatz stellte: „Neues schaffen, um den Kern des Alten zu bewahren“.
Sie umfassen unter anderem eine Schwerpunktverlagerung der Aufgaben vom „Aufarbeitungskombinat“ hin zu archivischen Fachaufgaben, weshalb die Behörde künftig als “Stasi-Unterlagen-Archiv“ firmieren soll. Ausdruck dieser Verlagerung ist die Integration des Stasi-Unterlagen-Archivs ins Bundesarchiv. Das Stasi-Unterlagen Archiv wird jedoch immer ein besonderes Archiv bleiben. Die Unterlagen bleiben unverändert am historischen Standtort erhalten und sind weiterhin nach den Regeln des Stasi-Unterlagen-Gesetzes zugänglich.
Zukunftsaufgabe Erhaltung der Unterlagen
Im Vordergrund werden künftig die Erhaltung der Unterlagen und ihre Nutzung für die Aufklärung über die Mechanismen des Terrors in der DDR im Rahmen archivpädagogischer Angebote und der Forschung stehen. Dazu entwickeln der BStU und das Bundesarchiv derzeit in Arbeitsgruppen gemeinsame Konzepte. Die Liegenschaft des BStU in Berlin-Lichtenberg soll zu einem „Campus für Demokratie“ weiterentwickelt werden. Wunschziel ist es, dort neben den Stasi-Unterlagen auch die DDR-Akten des Bundesarchivs und die Unterlagen der SAPMO unterzubringen. Gemeinsame Lesesäle und Restaurierungswerkstätten sollen Synergieeffekte für beide Einrichtungen bringen.
Gemeinsame Datenbanken nutzen die beiden künftigen Partner schon; nun soll diese Zusammenarbeit weiter ausgebaut und auf die Digitalisierung der Bestände erstreckt werden. Der BStU hat in der Stasi-Mediathek umfangreiche Archvialiensammlungen bereitgestellt und möchte diese und ähnliche Formen der Öffentlichkeitsarbeit gemeinsam mit dem Bundesarchiv weiter ausbauen. Die künftige Rolle des Bundesbeauftragten charakterisierte er als Ombudsmann der Stasi-Opfer.
Auf Nachfrage der Studierenden erläuterte Herr Jahn das Konzept für die Außenstellen, die pro Bundesland an je einem Standort zusammengeführt werden sollen, an dem jeweils fachgerechte Archivgebäude eingerichtet werden sollen. Diese Lösung soll einerseits eine effizientere Organisationsstruktur und bessere Magazinbedingungen ermöglichen, andererseits aber auch Befürchtungen seitens Betroffener ausräumen, die Akten könnten aus der Region entfernt werden, für deren Geschichte sie relevant sind: Vielmehr sollen sie „dort bleiben, wo sie [von den Revolutionären] erobert wurden“.
Preisgekröntes Projekt auf Twitter
Im Hinblick auf die Frage zur Nutzung sozialer Medien skizzierte Herr Jahn das hierfür entwickelte Konzept der BStU und betonte dabei, dass immer wieder neu diskutiert werden müsse, in welchem Maß und unter welchen Bedingungen diese Nutzung stattfinde. Als gelungenes Beispiel nannte er ein preisgekröntes Projekt auf Twitter zu 25 Jahre Mauerfall, das der BStU gemeinsam mit zwei Partnern verwirklichte, nämlich dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam und der Bild-Zeitung, die über ein sehr wertvolles Bildarchiv verfügt.
Befragt zur noch bestehenden Trennung der Abteilungen Auskünfte und Archiv, erläuterte er, dass beide Aufgaben künftig zusammengeführt werden sollen. Die Beschäftigung ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in seiner Behörde – Gegenstand einer weiteren Frage aus dem Publikum – lehnt Jahn entschieden ab.
Europäischen Netzwerk Geheimpolizeiakten
Er stellte klar, dass er seit seinem Amtsantritt daran arbeite, diesen Zustand unter Wahrung des Arbeitsrechts durch Versetzung der Betroffenen in andere Behörden zu beenden, so dass von (2011) ca. 50 ehemaligen hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern zur Zeit nur noch 11 übrig seien, mit fallender Tendenz. Auf die Frage zur Zusammenarbeit mit den Archiven der Geheimpolizeien in anderen ehemals kommunistischen Ländern stellte er die Aktivitäten des BStU im Rahmen des „Europäischen Netzwerks der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden“ vor, das Marianne Birthler gegründet hatte.
Als Beispiel schilderte er unter anderem den Austausch mit Menschenrechtsaktivisten und Politikern aus Albanien, wo eine Initiative zur Offenlegung der entsprechenden Aktenbestände im vollen Gange ist.
Im Gespräch betonte Jahn mehrfach seine Absicht zur künftigen Vertiefung der Zusammenarbeit mit der Archivschule Marburg. Zuvor hatte sich Bundesbeauftragter Jahn bei einem Rundgang durchs Haus mit der Leiterin der Archivschule, Dr. Irmgard Christa Becker, von den guten Lehr- und Lernbedingungen an der zentralen Ausbildungseinrichtung des deutschen Archivwesens überzeugt. In der Bibliothek stehen ca. 35.000 Bände Fachliteratur, eine eBook-Plattform und zahlreiche elektronische Zeitschriften für Recherchen zur Verfügung. Sie ist die am besten ausgestattete archivwissenschaftliche Fachbibliothek im deutschsprachigen Raum.
Hintergrund Archivschule Marburg
Den derzeit 32 Studierenden stehen in der Bibliothek und in zwei EDV-Räumen insgesamt 33 PC-Arbeitsplätze zur Verfügung, die in der Lehre für Recherchen und Übungen zur digitalen Archivierung eingesetzt werden. Darüber hinaus können sie von den Studierenden zu den Öffnungszeiten der Archivschule frei genutzt werden. Mit Interesse nahm Herr Jahn zur Kenntnis, dass die Archivschule Marburg Marktführer in der archivarischen Fortbildung ist. An jährlich etwa 30 Kursen nehmen über 400 Personen teil. Das führt zu einer Auslastung des Fortbildungsprogramms von über 80 Prozent. Auch bei den Mitarbeitern des BStU erfreut sich das Fortbildungsprogramm der Archivschule großer Beliebtheit.
Roland Jahn beeindruckte Studierende und MitarbeiterInnen der Archivschule mit seiner offenen und kollegialen Art. Er machte durch seine informativen Ausführungen deutlich, dass er den Transformationsprozess seiner Behörde aktiv gestaltet und dabei die Interessen seiner Mitarbeiter, der Opfer, seiner Kooperationspartner und der Politik in seine Überlegungen und Planungen integriert.