Denkmalgeschützter Vitos-Park in Cappel wird weiter zerstört
Marburg 27.2.2018 Gastbeitrag Sehr betroffen und zornig waren viele BürgerInnen über das kürzliche Motorsägen-Massaker im Vitospark an der Cappeler Straße. Im Zuge des Baus von renditeträchtigen Stadtvillen durch die Firma BG-Immobilien mit etwa 99 Wohneinheiten im vorderen Bereich dieses denkmalgeschützten Krankenhausgeländes werden psychisch kranke PatientInnen und Sterbende jedwedem notwendigen Schutzes vor Abgasen, Lärm und neugierigen Einblicken beraubt. Der Bau von Sozialblocks am Rande zur Friedrich-Ebert-Straße durch die Firma GWH, wofür bereits im Januar 2016 etwa1 Hektar Wald weichen mussten, wäre noch tolerierbar. So wird aber die Struktur völlig überlastet durch rund 400 neue AnwohnerInnen. Bereits die Tiefgaragen für geschätzt 100 Pkw werden den verbliebenen Bäumen das Grundwasser entziehen.
Aber der reinen Baufeldräumung nicht genug. Es wurden bei der Gelegenheit, wie bereits schon 2016 wieder mehrere Bäume im oberen Bereich des Parks gefällt, in der Nähe der Ladenzeile im mittleren Abschnitt der Friedrich-Ebert-Straße und damit die dortige Streuobstwiese weiter ruiniert (siehe Foto).
Drittens wird unnötigerweise der Bolzplatz in den grünen Oberhang („Stadtbalkon“) verlegt, anstatt ihn an derzeitiger Stelle zu belassen. Bei mehrfachen Begehungen des Parks mit Stadtplaner R. Kulle und Bürgermeister Dr. Kahle war noch versprochen worden, den Stadtbalkon unangetastet zu lassen. Dennoch wurden die Arbeiten hierzu am 16.2.18 in der Oberhessischen Presse (OP) von der Stadt ausgeschrieben. Eine Absprache mit den zuständigen Gremien/ Beirat, geschweige denn den Anwohnern war Fehlanzeige. Entsprechend vielfache Einwände im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens 2015 genau zur Thematik Bolzplatz blieben ebenso wie die Sportanlagenlärmschutzverordnung und die besonderen Grenzwerte der TA Lärm für Krankenhäuser (30 DB(A) nachts / 45 DB(A) tags) unberücksichtigt.
Im Einzelnen sollen ab April 2018 ca. 2000 Quadratmeter Oberboden abgetragen und 180 Kubikmeter Boden ausgehoben werden, dazu auch im Landschaftsschutzgebiet Wege gebaut werden.
Schließlich wurde am Oberhang im Bereich des Schwesternwohnheims eine sehr grosse Fläche für künftige weitere Bauvorhaben (in der Kartenskizze blau gestrichelt) benannt, welchen wiederum zahlreiche alte Bäume weichen sollen.
Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“
Genau den Erhalt des mittleren und oberen Bereiches des Parks hatte das Anfang 2016 eingereichte Bürgerbegehren „Erhalt des Vitos-Parks“ zum Gegenstand. Nachdem die Zerstörung der insgesamt 3 Hektar im unteren Eck (Cappeler Straße / Friedrich-Ebert-Straße) mit Roteichenwald damals schon im Rahmen der dritten Änderung des Bebauungsplans Nr. 10/1 bürgerbegehrensfest beschlossen war, sollte nunmehr mittels der unterbreiteten 4. Änderung aus den verbliebenen ca. 32 ha zumindest gerettet werden, was noch zu retten war.
Über die Klage auf Zulassung dieses Bürgerbegehrens zum Bürgerentscheid will das Verwaltungsgericht Giessen am 02.03.2018 um 11h in Saal 3 entscheiden. Angesichts der Baumfällungen im oberen Bereich des Parks fragt man sich, ob die Stadt Marburg die Gerichtsentscheidung vorab hellsehen konnte, oder sich aber angesichts eines gänzlich ungewissen Ausgangs genötigt sah, hier Fakten zu schaffen. Die über 3000 UnterzeicherInnen des Bürgerbegehren sehen hier ihren Willens einmal mehr missachtet.
Ein aktueller Artikel in der Oberhessischen Presse zu Schadstoff-Messungen in der Ketzerbach weist auf das große Elend der Stadtplanung vergangener Jahre hin, das „…Fällen der Bäume in der Straßenmitte [der Ketzerbach] habe dem Bereich eine grüne Lunge, eine Filterfunktion genommen…“ BürgerInnen benennen den rücksichtslosen Umgang mit dem Alten Botanischen Garten als Krieg gegen die Natur und gegen die BürgerInnen. Genauso brutal betroffen waren und sind zum Beispiel die Ketzerbach und der Vitospark.
In Marburg wird schon länger die Zukunft und das Stadtbild verbaut
Der Vitospark hat sehr gut menschliche Werte vertreten: Arbeiten in der Natur, darunter mit den zahlreichen Obstbäumen (Obsternte und -verarbeitung) zur Genesung vom Stress des Alltags, eine denkmalgeschützte Kirche mit Hinweis darauf, dass es neben der Sucht nach Geld und Macht viel wichtigere Werte gibt, ein Musikhaus, das Kultur vermittelt sowie zahlreiche große Bäume mit zahlreichen Vogelarten, die gute Luft und sehr wichtige Naturnähe repräsentieren. Die mangels Umweltverträglichkeitsvorprüfung rechtswidrige Genehmigung zur Rodung von ca. 1,9 ha Wald vom 14.01.2015 wurde – offenbar mit Verlängerung – nunmehr vollständig ausgenutzt. Zudem war das damals zugrunde gelegte Vogelschutzgutachten des Büros Simon & Widdig offensichtlich falsch, da es nur rund 30 Arten statt der in jedem besseren Marburger Garten anzutreffenden 80 Arten feststellte, wie auch speziell hier vom Vogelschutzbeauftragten Prof. Kraft in einem Gegengutachten dargelegt. Mit Brutvorkommen angetroffen wurden auch bedrohte Arten der Roten Liste Hessen und streng geschützte Arten der EU-Vogelschutzrichtlinie. Mithin stehen Verstöße gegen das Tötungs-, Störungs- und Brutstättenentnahmeverbot des § 44 Bundesnaturschutzgesetz sowie gegen die EU- Vogelschutzrichtlinie im Raum.
Das Leben und die Würde der psychisch Kranken und der Sterbenden im Hospiz, die in der Zeit des Leidens Sichtschutz, Ruhe, Abgeschiedenheit und Rückzugsräume benötigen, wird mit Füßen getreten. Eine Innenverdichtung hat ihre Grenzen, besonders im Psychiatriepark mit vielen sozialen und auch Naturschutz-Funktionen.
Eine Stadt, die schon am benachbarten Richtsberg hoch nachverdichtet ist, braucht Naherholungsräume mit viel Grün und großen Bäumen, guter Luft und humaner Lebenskultur. Es gibt alternativ zu bebauende Flächen außerhalb des Parks.
Johannes Linn, Dr. med. Andreas Matusch, Marburg
Nachsatz: Einige Spender und beide Unterzeichner haben in 2016/ 2017 in Absprache mit Vitos für die notwendige Nachpflanzung von Bäumen im zentralen Teil des Vitospark gesorgt. In Zeiten gravierender Klimaänderungen dürfen Bäume mit ihren vielfältigen Wohlfahrtsfunktionen nicht zerstört, sondern müssen gepflanzt werden.