Forderungen der kommunalen Spitzenverbände an den 19. Hessischen Landtag und die Landesregierung für die Jahre 2014 bis 2019
Marburg 27.5.2013 (pm) Die fünf kreisfreien Städte, 421 kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie die 21 Landkreise im Bundesland Hessen sind die Lebensmittelpunkte der dort wohnenden und arbeitenden Menschen, die sich hier wohl und heimisch fühlen. Der Alltag der über 6 Millionen Menschen in Hessen wird von den hier vorgehaltenen Strukturen und Infrastrukturen geprägt. Anders als die weiteren politisch-administrativen Ebenen – Land, Bund und Europa – bleibt die kommunale Ebene nicht abstrakt, sondern sie ist unmittelbar zu erfahren. Der demografische Wandel und Fragen der Integration sind auf der örtlichen Ebene unmittelbar relevant; nahezu alle wesentlichen Politikbereiche – vom Arbeitsmarkt über die Gesundheitsversorgung bis hin zu Wohnungsversorgung – sind im direkten Miteinander mit den Menschen vor Ort zu gestalten.
Die Stärkung kommunaler Selbstverwaltung sowie die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für die Zukunftsgestaltung in den Gemeinden, Städten und Landkreisen als tragende Säulen des Gemeinwesens müssen daher zu den Hauptaufgaben hessischer Landespolitik zählen. Die kommunalen Spitzenverbände – Hessischer Städte- und Gemeindebund, Hessischer Städtetag und Hessischer Landkreistag – vertreten die Interessen der hessischen Landkreise, Städte und Gemeinden und wirken auf die Wahrung der verfassungsrechtlich gewährten Selbstverwaltungsgarantie hin.
Ausgehend von diesem Verständnis haben die drei Spitzenverbände an den 19. Hessischen Landtag und die neu zu wählende Landesregierung folgende gemeinsame zentrale Forderungen:
1. Der Landtag und die Landesregierung sowie die Gemeinden, Städte und Landkreise müssen sich als Partner auf Augenhöhe begegnen.
Eine erfolgreiche Politik für die Menschen in Hessen wird in besonderem Maße gelingen, wenn Land und Kommunen eng und partnerschaftlich kooperieren. In einer von Vertrauen geprägten Partnerschaft auf Augenhöhe vermeidet das Land restriktive Eingriffe in die den Kommunen garantierte Selbstverwaltung. Zudem stützt es die kommunale Selbstverwaltung und die örtliche Demokratie am Besten, wenn es seinen Kommunen eine aufgabengerechte Finanzausstattung gewährt und sich als Sachwalter deren Interessen im Bund und auf europäischer Ebene einsetzt. Mit einem solchen Grundbekenntnis kann das Land das Fundament für eine funktionierende Partnerschaft mit seinen Kommunen setzen.
2. Das Land muss den jährlichen Entzug von aktuell 400 Millionen Euro aus dem Kommunalen Finanzausgleich rückgängig machen.
Hessens Gemeinden, Städte und Landkreise befinden sich in einer besorgniserregenden finanziellen Situation. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass die Mittel des Kommunalen Finanzausgleichs ausreichend und umfassend den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Jedwede Kürzung des Kommunalen Finanzausgleichs wird strikt abgelehnt. Zwingend – wenn auch nicht ausreichend – ist, den vom Land vorgenommenen Entzug von aktuell 400 Millionen Euro aus dem Kommunalen Finanzausgleich unverzüglich rückgängig zu machen. Darüber hinaus sind die der Finanzausgleichsmasse zugrunde liegenden Daten künftig wieder transparent darzustellen.
3. Das Land muss das Konnexitätsprinzip (Aufgabenübertragungen nur zusammen mit erforderlichen Finanzmitteln) endlich konsequent anwenden.
Eine Ursache für die Finanzmisere der hessischen Kommunen ist, dass das Land in den letzten Jahren Aufgaben übertragen hat, ohne hierfür die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Beispiele hierfür sind die Neuregelungen des Hessischen Ersatzschulfinanzierungsgesetzes, des Hessischen Kindergesundheitsschutzgesetzes u.a.m. Vom Land sind die entstandenen Kosten den Kommunen zu erstatten. Zudem sollte das Land im Sinne von Prävention für künftige Gesetzgebungsverfahren zwingend eine institutionalisierte Gesetzesfolgenabschätzung, an der die kommunalen Spitzenverbänden mitwirken, vorsehen.
4. Das Land muss der Ausweitung kommunaler Aufgaben durch den Bund ohne Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel entschlossen entgegentreten.
Eine weitere wesentliche Ursache für die Finanzmisere der Kommunen ist, dass das Land der zunehmenden Aufgabenzuweisung des Bundes an die Kommunen nicht entschlossen entgegengetreten ist. Alleine in den vergangenen Monaten haben die auf Bundesseite erfolgten Aufgabenausweitungen im Asylrecht, im Vormundschafts- und Betreuungsrecht oder auch durch das Bundeskinderschutzgesetz zu nicht gegenfinanzierten Mehraufwendungen in Millionenhöhe bei den hessischen Kommunen geführt. Solchen Entwicklungen muss sich das Land konsequent entgegenstellen und entsprechend seinen Einfluss – besonders im Bundesrat – geltend machen. Sonst muss das Land selbst die entsprechenden Ausgleichsleistungen finanzieren. Dies erfordert eine intensivere und institutionalisierte Abstimmung zwischen Land und Kommunen zur Wahrnehmung und Verteidigung kommunaler Interessen auf Bundesebene und darüber hinaus auf europäischer Ebene.
5. Das Land muss die Kommunen beim Ausbau der Kinderbetreuungsangebote stärker als bisher mit originären Landesmitteln unterstützen.
Die hessischen Kommunen bieten für Kinder hochwertige Betreuungsangebote, die in den vergangenen Jahren konsequent ausgebaut wurden. Diesen Weg möchten die Kommunen weitergehen. Dazu reicht es nicht aus, wenn das Land lediglich für die von ihm veranlassten Standarderhöhungen einen finanziellen Ausgleich gewährt.
Vielmehr muss sich das Land wesentlich stärker als bislang mit originären Landesmitteln am Ausbau der Betreuungsangebote und dem Betrieb der Betreuungseinrichtungen beteiligen.
6. Das Land muss die Schul- und Bildungslandschaft zusammen mit den Kommunen reformieren.
Die Weiterentwicklung der hessischen Schul- und Bildungslandschaft ist gemeinsam mit dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung eine der wichtigsten gesamtgesellschaftlichen und damit auch landespolitischen Herausforderungen. Als Schulträger sind die Kommunen unmittelbar hiervon betroffen. Die Kommunen stehen bereit, die notwenigen Fortentwicklungen im Bereich der Inklusion und den weiteren Ausbau der Ganztagsschulangebote vorzunehmen, wenn ihnen dafür die erforderliche Finanzierung zugesagt wird. Das Land ist darüber hinaus aufgefordert, alle weiteren geplanten Organisationsänderungen und Maßnahmen mit den Kommunen eng abzustimmen sowie keine Reformen zu deren Lasten vorzunehmen.
7. Das Land muss den Kommunen die notwendigen rechtlichen Freiheiten für die wirtschaftliche Betätigung und die Umsetzung der Energiewende gewähren.
Bei der Umsetzung der Energiewende kommt den hessischen Kommunen eine Schlüsselrolle zu. So sind die von den Stadtwerken, aber auch durch die Bürgergenossenschaften und anderen lokalen Initiativen gestützten lokalen Versorgungsstrukturen von großer Bedeutung. Auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge sind Kommunen unternehmerisch zur Versorgung der Bürger aktiv. Um diese Aufgaben nachhaltig und wirtschaftlich erbringen zu können bedarf es einer Ausweitung der Handlungsspielräume. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen bei der wirtschaftlichen Betätigung müssen umfassend erweitert werden. Zudem dürfen Kontrolle und Regulierung bei der privatrechtlich organisierten Wasserversorgung nicht dazu führen, dass dem Wasserversorger ein defizitärer Aufgabenbereich verbleibt. Bei der Überprüfung von Wasserpreisen ist aus Gründen der Qualitätssicherung und der Versorgungssicherheit eine differenzierte Prüfungsmethode erforderlich, die auch die regionalen Besonderheiten hinreichend berücksichtigt.