Zum 149. Geburtstag von Paul Heidelbach – Das unzerstörbare Kasseler Herz
Marburg 27.02.2019 |Am 28. Februar jährt sich 149. Mal der Geburtstag des hessischen Kulturhistorikers Paul Heidelbach (* 28. Februar 1870 in Düsseldorf – † 13. Februar 1954 in Kassel). Dies wird zum Anlass genommen in das Marburger. Leben, Werk und Wirken von Paul Heidelbach in Erinnerung zu rufen. Eine hervorragende Quelle bietet der Kasseler Journalist Friedrich Herbordt, der zum 80. Geburtstag von Heidelbach am 28. Februar 1950 eine prägnante und kundige Würdigung in den ‚Hessischen Nachrichten‘ veröffentlichte. Wir publizieren diesen Beitrag unverändert, in der alten Rechtsschreibung, unter Verwendung zeitgenössischer Fotografien und einer Zeichnung:
„Heute am 8. Februar sind alle alten Kasselaner in Gedanken bei Paul Heidelbach, dem Vater des geistigen Kassel, der an diesem Tag auf seinem Alterssitz in Grifte seinen 80. Geburtstag und zugleich mit seiner Frau Aenne, geb. Leonhardt, das Fest der Goldenen Hochzeit feiert.
Es wäre leichter darüber zu schreiben, wenn man mehr Distanz zu der Persönlichkeit des Jubilars hätte, und nicht so genau wüßte, wie entschieden er, der doch das Handwerk von Grund auf kennt, so etwas ablehnt. Außerdem belastet das Bewußtsein, daß seit seinem 50. Geburtstag alle fünf Jahre jeder Kasseler Publizist von Rang und Namen – es liegen uns viele Zeitungsausschnitte vor, von Richard Weber, Will Scheller, Christian Burger, Bruno Jakob, Wilhelm Ide und vielen anderen – in nur geringen Variationen das Wesentliche über P.H. und seine Lebensarbeit geschrieben hat. Wir wollen dabei ein gewisse Tradition nicht unterbrechen, nach der aus einem der ersten Artikel das Schlußwort Richard Webers weiterhin zitiert wurde: „Paul Heidelbach, im Namen des hessischen Landes wissen wir Ihnen Dank!“
Wir haben Paul Heidelbach vor ein paar Tagen besucht und es schien, als habe die Zeit stillegestanden, als habe es keinen Krieg und keine Zerstörung Kassels gegeben. Es war fast genau so wie vor diesen wildbewegte letzten Jahrzehnten, als ich, ein zehnjähriger Junge, zum ersten Mal die bekannte Studierstube in der Hohenzollernstraße mit angesammeltem Respekt von bereits Gelesenem und vielem gehörten betrat und ein paar konzentrierte dunkle Augen, dichte Tabakswolken und unendliche Bücherreihen für immer im Gedächtnis behielt. Inmitten seiner kostbaren Bibliothek, die heute etwa 8000 Bände umfaßt, zwischen unzähligen Schriften, Broschüren, Zeitungsausschnitten, und vielen einmaligen Kasseler Erinnerungsstücken, und dem schönen alten Hausrat sitzt der Achtzigjährige, dem man keine 60 Jahre glauben würde, entzündet sich am Gespräch, sprüht und funkelt wie immer von Anekdoten und Daten, und wenn das Riesengedächtnis selten einmal zu suchen scheint, kommt mit unfehlbarer Präzision das Stichwort von seiner Frau und Lebensgefährtin.
Noch immer bestimmen die lebhaften dunklen Augen das Gesicht. Nur das Haar ist weiß geworden, aber von der Stirn steilt noch der trotzige und wiederborstige Wirbel wie in seiner kämpferischen Zeit. Wir sprechen von gemeinsamen Wanderungen, von Kasseler bibliophilen Raritäten und alten Originalen und das ganze gute alte Kassel wird lebendig. Es konnte nur äußerlich zerstört werden, Paul Heidelbach hat das Wesentliche, das Herz, gerettet und bewahrt. Doch ich fühle schon seinen mahnenden Blick: Genug der großen Worte.
Und nun noch die unvermeidlichen Daten: Paul Heidelbach entstammt einer alteingesessenen hessischen Familie, die gerade zu Zeit seiner Geburt nach Düsseldorf verschlagen wurde. Nach dem Tode seines Vaters kam er mit drei Jahren wieder nach Kassel zu einer Tante und sog sich hier mit allen Wurzeln der Heimaterde fest. Nach humanistischer Schulausbildung und dem Studium der Philologie, Geschichte, Literatur und Kunstgeschichte in Berlin und Marburg kann er unter Verzicht auf alle akademischen Titel und auf eine feste Anstellung nach Kassel zurück.
Das bedeutete auch in den gesicherten Verhältnissen der damaligen Zeiteinen schweren Lebenskampf. Und darauf ist wohl bisher zu wenig hingewiesen, daß er es nicht leicht hatte, sich durchzusetzen. Schon als Student schrieb der die „Casseler Briefe“ für die „Deutsche Warte“. Von seinen ersten Veröfentlichungen, formvollendeten Gedichten, von denen er selbst zu Unrecht nicht gerne spricht, nahm die Öffentlichkeit weniger Notiz als von seinen heimatgeschichtlichen Aufsätzen, durch die er bald zu ruf und Ansehn im hessischen Schrifttum kam, und klassische Verdienste erwarb er sich um Wiedererweckung der Kasseler Mundart.
1900 erschien „Was mäh si hin und widder bassiert iss“. 1906 „Uff Karle Klamberts Gebortsdag“ und 1913 „Allerhand Gauden“ (alle bei Vietor). Für den bei Besser-Stuttgart erschienen Prachtband „Das deutsche Vaterland“ schrieb Paul Heidelbach den Abschnitt „Hessen-Nassau und Waldeck“. 1906 übernahm er als Nachfolger Benneckes die Schriftleitung der Halbmonatsschrift „Hessenland“, die er mit einer Unterbrechung bis 1933 redigierte und 1908 als Nachfolger des bekannten Romanschriftstellers Franz Treller die Sonntagsbetrachtungen in der „Hessischen Post“, die er 15 Jahre lang schrieb. 1909 erschien bei Klinkhardt und Biermann in Leipzig die von vielen als bedeutendste seiner Werke angesehene „Geschichte der Wilhelmshöhe“ und 1913 bei Elwert (Marburg) das Buch „Deutsche Dichter und Künstler in Escheberg“. Später fand dann auch ein Gedichtband „Im Schatten des Herkules“ weite Verbreitung.
Ein besonderes Kapitel müßte dem Kämpfer Paul Heidelbach gewidmet werden. Vor uns liegen seine Streitschriften um die Niederlegung der Alten Mühle, die seine warnende Stimme nicht retten konnte, um die Verunstaltung des Opernplatzes, die er nicht verhindern konnte, und um die Erhaltung des Schlosses Wilhelmsthal, die seinem Eingreifen zu verdanken ist.
1919 ehrte die Stadt Kassel den verdienstvollen Künder ihrer Schönheiten und en mutigen Streiter, indem sie ihn in die Murhard-Bibliothek berief und ihm die Verwaltung des Kasseler Archivs übertrug. In dieser Stellung verwertete Paul Heidelbach seine reichen Kenntnisse und Erfahrungen bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1935. Von den letzten Arbeiten ist vor allem eine Grammatik der Kassler Mundart nach Aufzeichnungen des alten Kasseler Sprachlehrers Grassow zu erwähnen, die zur Zeit bei Bernecker (Melsungen) im Druck liegt und deren lang verzögerte Korrektur er gern noch selbst lesen möchte. Auch heute noch ist der Unermüdliche mit neuen Plänen und Manuskripten beschäftigt.
Unsere Grüße und Glückwünsche schließen wir einer der vielen Zuschriften an die Redaktion an, die wir im Wortlaut veröffentlichen: ‚die alten Kasselaner und alten Bekannten wünschen ihm alles Gute und sind so egoistisch, ihm noch viele Jahre der Arbeit zu wünschen.'“
Friedrich Herbordt