Mitbestimmte Unternehmen in der Wirtschaftskrise wirtschaftlich deutlich besser
Marburg 08.06.2019 (pm/red) Unternehmen, bei denen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mitbestimmen, haben sich während der großen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie in den Jahren danach wirtschaftlich signifikant besser entwickelt als Firmen ohne Mitbestimmung. Das gilt sowohl für die operative Rendite, für die Bewertung am Kapitalmarkt, die Beschäftigungsentwicklung wie auch für die Investitionen, sowohl in Anlagen als auch in Forschung und Entwicklung. So lag zum Beispiel die kumulierte Aktienrendite mitbestimmter Unternehmen zwischen 2006 und 2011 um 25 bis 28 Prozentpunkte höher als bei vergleichbaren Firmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie von Prof. Dr. Marc Steffen Rapp von der Universität Marburg und Prof. Dr. Michael Wolff von der Universität Göttingen.
Die unternehmerische Mitbestimmung habe in der Krise „kurzfristiges Verhalten von Unternehmen verhindert“ und danach ein „schnelleres Umschalten in den Wachstumsmodus ermöglicht“, schreiben die beiden BWL-Professoren in der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung. Nach Ansicht der Experten sind diese Befunde angesichts von fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung auch für die Zukunft höchst bedeutsam: Die Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat könne „als Element einer modernen Corporate Governance verstanden werden, welche vor dem Hintergrund immer volatiler werdender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen geeignet ist, mögliche Risiken von strategischen Transformationsprozessen abzufedern“, schreiben die Forscher.
Um die Wirkung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat aussagekräftig zu überprüfen, haben die Wirtschaftswissenschaftler sich für ein methodisch anspruchsvolles mehrstufiges Studiendesign entschieden und damit in Summe 560 börsennotierte europäische Unternehmen untersucht. Darunter finden sich einerseits 280 deutsche Unternehmen, u.a. die in Dax 30, MDAX, TecDAX und SDAX notierten Firmen. Unter diesen 280 Unternehmen gibt es Gesellschaften, in denen Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlenmäßig paritätisch mit Vertretern der Kapitalseite im Aufsichtsrat vertreten sind, andere Firmen, in denen die Beschäftigten ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder stellen, und schließlich auch solche ohne Arbeitnehmerbeteiligung.
Da die deutschen Gesetze die Stärke der Mitbestimmung an Mindestschwellen bei der Beschäftigtenzahl koppeln (Drittelbeteiligung ab 500 Mitarbeiter in Deutschland, paritätische Mitbestimmung ab 2000), sind Vergleiche auf dieser Basis wegen des Größeneffekts allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig – ein Problem, vor dem Studien zur wirtschaftlichen Wirkung der Arbeitnehmerbeteiligung immer wieder stehen. Um nicht „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen, haben die Forscher daher den Unternehmen aus Deutschland mittels der sogenannten „Propensity-Score-Matching“-Methode 280 passende Firmen aus anderen europäischen Ländern zugeordnet, die eine sehr ähnliche Größe haben, in derselben Branche aktiv und ähnlich stark diversifiziert sind – aber keine Mitbestimmung haben. So werden in der Studie dann beispielsweise Siemens und die Schweizer ABB verglichen oder Continental und Michelin.
Basierend darauf versuchen Rapp und Wolff durch vielfältige Analysen, ein möglichst umfassendes Bild über das Verhalten und die Entwicklung der Unternehmen während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise zu zeichnen. Dabei greifen sie unter Einbeziehung einer Reihe von Kontrollvariablen auf ökonometrisch fortschrittliche Analysemethoden zurück, um statistisch aussagekräftige Zusammenhänge beziehungsweise Unterschiede zu identifizieren und dabei insbesondere sicherzustellen, dass beobachtete Unterschiede tatsächlich darauf beruhen, dass Arbeitnehmer in einem Teil der Unternehmen mitbestimmen, in einem anderen aber nicht – und nicht auf statistischen „Hintergrundfaktoren“.