8. Mai 1945 Tag der Befreiung – Forderung arbeitsfrei als Feiertag gegen den Krieg
Kassel 20.04.2020 |Gastbeitrag von Ursula Wöll Die 95jährige Zeitzeugin Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz-Birkenau. Sie möchte, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag wird. Ein Beschluss des DGB-Bundeskongresses von 2018, den 8. Mai als Feiertag zu einem Tag gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu machen, verlief leider im Sand. In diesem Jahr jährt sich der 8. Mai 1945 zum 75. mal und wird daher stärker beachtet als früher. Erschreckend wird bei der Rückschau deutlich, dass sogar in den letzten Tagen vor Kriegsende noch furchtbare Greuel geschahen. Damals war ich ein Baby, in welch eine blutige Welt wurde ich geboren! Und wie blutig war und ist sie seitdem in anderen Weltgegenden! Die aktuelle Corona-Gefahr hat nun eine spürbare Freundlichkeit und Solidarität untereinander zur Folge. Dieses gesellschaftliche Klima muss andauern und darf nicht an den Grenzen enden. Hass, Gewalt und Krieg müssen weltweit verschwinden. Neben der Kürzung der Gelder für Rüstung wäre der 8. Mai als jährlicher Feiertag ein Schritt dazu.
Fanatismus bis zum Ende
Ich erwähne nur einige Beispiele für die fanatische Verblendung in der Nazi-Diktatur. Noch einen Tag vor dem Einzug der Amerikaner am 27. März 1945 wurde in Wetzlar der 65jährige Ernst-Jakob Sauer gehängt. Er hatte ein Pappschild an seinem Haus angebracht mit der Aufschrift: „Schützt mein Haus, wir sind keine Nazis, wir begrüßen die Befreier“. Bekannter ist der Mord an dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls noch kurz vor Kriegsende erfolgte. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg gehängt. Nur einen Tag vor der Kapitulation von Gardelegen geschah auch das dortige Massaker. Am 13. April 1945 wurden über 1000 Menschen in einer Feldscheune bei lebendigem Leibe verbrannt. Am 14. April 1945 gegen 17 Uhr zogen die allierten Truppen ein. Bislang war mir Gardelegen durch die Wetterangaben im Radio bekannt. Nun soll mir die Erinnerung an so viel Leid durch Inhumanität helfen, freundlicher zu anderen zu werden, aber auch kritischer gegenüber unliebsamen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Das Massaker von Gardelegen
Als sich die alliierten Soldaten den Außenlagern des KZ Mittelbau-Dora näherten, wurden die Häftlinge in Güterwagen wegbefördert. Keiner sollte lebend in die Hände der Befreier fallen. Doch viele Gleise waren durch Bomben zerstört, und der Kraftstoff ging aus. Auf den Todesmärschen zu Fuß wurden alle erschossen, die schlapp machten. Um Gardelegen herum entstand ein furchtbares Durcheinander. Die Trupps des NSDAP-Kreisleiters Gerhard Thiele machten ‚kurzen Prozess‘, sie trieben über 1000 Menschen in die Feldscheune des Gutes Isenschnibbe am Rand der Stadt, verriegelten drei Türen und zündeten das mit Benzin getränkte Stroh an. Wer dem Feuer entfliehen wollte, wurde erschossen.
Heute ist der Ort des Grauens nahe Gardelegen eine Gedenkstätte. Die nur einen Tag später eintreffenden Amerikaner zwangen die männlichen Einwohner, die 1016 Leichen in Einzelgräbern zu beerdigen und auf jedes ein weißes Holzkreuz zu setzen. Nur ein Teil der Verbrannten konnte identifiziert werden. Sie stammten aus vielen europäischen Ländern und waren zur Zwangsarbeit von den Besatzern verschleppt worden.
Aktuelle Solidarität
Eine starre Ideologie führt zu inhumanem Vorgehen, denn sie verhindert die Einfühlung in den Anderen. Das gesellschaftliche Klima wird mit Hass, Gewalt und Angst vergiftet, denn durch Abwertung und Ausgrenzung muss das unbarmherzige Verhalten gerechtfertigt werden. Seit kurzem erleben wir, wie schön es ist, wenn Solidarität, Freundschaft und Hilfsbereitschaft in der Luft liegen. Trotz Erkrankungsgefahr und Einschränkungen fühle ich eine Leichtigkeit des Seins, eine gewisse Entspanntheit. Meine Umwelt passt auf mich auf, die Menschen helfen einander, dieses Gefühl tut gut. Es scheint vielen so zu gehen, denn die Gesichter sind freundlicher geworden. Man nimmt einander wieder wahr, dabei ist die Toleranz gegenüber Fehlern anderer gewachsen. Das freundliche Klima macht es leichter, eigene Fehler einzugestehen, denn die Konkurrenz untereinander ist auf Sparflamme geschaltet.
In seiner Ansprache fragte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Bleibt das neu erwachte Engagement für die anderen und für die Gesellschaft? Bleibt die geradezu explodierende Kreativität und Hilfsbereitschaft? Schenken wir der Kassiererin, dem Postboten auch weiterhin die Wertschätzung, die sie verdienen?“ Der ‚Chef‘ liegt richtig: Der humane Umgang miteinander bedarf der Pflege. Eine Hilfe dabei wäre es, den 8. Mai zum Feiertag zu machen. Danke, Esther Bejarano, für Ihre Initiative, dies der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten vorzuschlagen und Unterschriften für eine Petition bei change.org zu sammeln. An die 50000 UnterzeichnerInnen gibt es bereits. Danke auch für Ihr autobiografisches Buch, das den Frieden und die Solidarität feiert.
Esther Bejarano, Erinnerungen: Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts
(mit 1 DVD), 2019, 17 Euro