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„Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt“ – Stadtschrift zur Geschichte und Kultur erscheint am 4. Mai

Kassel 30.04.2020 (pm/red) „Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt“ lautet der Titel der neuen Stadtschrift, die am Montag, 4. Mai, im Rahmen des städtischen Themenjahres „Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung“ erscheint. Darin hat der Historiker Dr. Ronald Füssel die Marburger Hexenprozesse im Auftrag der Universitätsstadt aufgearbeitet. In Marburg fanden 22 Frauen und zwei Männer in der Zeit von 1517 bis 1688 wegen angeblicher Hexerei den Tod.

Einer von ihnen, Hans Sang, „des blinden Manns Sohn zu Marburg“, war erst 15 Jahre alt, von „einfachem Verstand“ und das jüngste Opfer der Marburger Hexenprozesse. Das berichtet der Marburger Historiker und Hexenforscher Dr. Ronald Füssel in seiner Studie, die nun als Band 113 in der Reihe der Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur des Rathaus-Verlags erscheint. Demnach erzählte Hans Sang im Mai 1631 überall herum, der Teufel sei ihm in Gestalt einer Jungfrau erschienen und „etwas hart und hitzig anzugreifen gewesen“. Sie habe „nachts bei ihm geschlafen … (und) ihn gelehrt, wie er’s machen soll“. Als er darüber hinaus auch noch von sich behauptete, die „Kunst“ zu kennen, „daß ihn die Mädchen lieb haben müssten“, nahm man den offensichtlich pubertierenden Jungen zum ersten Mal in seinem Leben ernst. Die landesherrschaftliche Regierung in Marburg meldete seine Äußerungen an den damaligen Landgrafen Georg von Darmstadt weiter und der entschied schon am 3. Juni 1631, „dieses Jungen Begangenschaft (sei) ein solches Laster, so für und an sich selbst nicht allein vor (das) peinlich Halsgericht gehört, sondern auch Leib und Lebens Bestrafung nach sich führt“.

Gesagt, getan: Hans Sang wurde vor Gericht gestellt. Auf die damals in Gerichtsverfahren übliche Folter wurde verzichtet, denn der Angeklagte war geständig, berichtet Füssel. Blieb die Frage, wie der Jugendliche zu bestrafen wäre. Die Theologen der Marburger Universität empfahlen in einem Gutachten, den Jungen „in seinem Elternhause oder anderer Verwahrung“ einzusperren. Man möge ihm fleißig das Wort Gottes nahebringen und ihn gelegentlich mit Ruten verprügeln, aber „die Schärfe des höchsten Rechtes gegen ihn nicht gebrauchen“. Die juristische Fakultät kam in einem weiteren Gutachten jedoch zu dem Ergebnis, dass „der Teufel durch ihn (Hans Sang) mit der Obrigkeit seinen Spott treibe“ und „daß der Angeklagte wohl verdient habe, daß er aus menschlicher Gesellschaft … durch den Tod abgeschaffet … werde“.

So sah Marburg im 16. Jahrhundert aus, als dort Menschen wegen angeblicher Hexerei den Tod fanden. Der Holzschnitt erschien 1588 in der „Cosmographey oder ­Beschreibungen aller Länder“ von Sebastian Münster.

Die landesherrschaftliche Regierung ging davon aus, dass eine solche Hinrichtung „sowohl bei Alten als auch Jungen ein großen Schrecken geben“, also abschreckende Wirkung haben würde. Dieser Meinung schloss sich auch Landgraf Georg an, der das Urteil bestätigte. Und so wurde am 30. Juli 1631 auf dem Rabenstein in Marburg ein 15-jähriger Junge mit dem Schwert enthauptet und sein Körper anschließend öffentlich verbrannt.

Warum das Verfahren gegen Hans Sang überhaupt ein Hexenprozess war, erklärt der Historiker Füssel ebenfalls. Er schreibt, dass der Junge die Teufelsbuhlschaft (Geschlechtsverkehr mit dem Teufel), den Teufelsbund und den Schadenszauber eingestanden hatte – also drei von vier Elementen, die für das Delikt Hexerei sprachen. Vom vierten, der Teilnahme am Hexensabbat, hatte Hans Sang nichts erwähnt – deshalb wurde seine Anklage zum Grenzfall, die Beurteilung war zwischen Theologen und Juristen umstritten.

Auch aus Sicht der Forschung ist das Verfahren gegen Hans Sang untypisch, denn die weitaus meisten Hexenprozesse richteten sich auch in Marburg gegen Frauen. Ein Anliegen des Themenschwerpunktes „Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung“ ist es jedoch, auch die Mythenbildung und die allgemeinen Vorurteile zu hinterfragen, die beim Thema Hexenverfolgung das tatsächliche historische Geschehen überwuchern. Dazu ist zunächst eine wissenschaftliche Quellenbefragung nötig, aufgrund derer Füssel in der neuen Stadtschrift zu dem Ergebnis kommt, dass in Marburg weniger Opfer der Hexenverfolgung zu beklagen sind, als häufig vermutet. Das lag an der Haltung von Landgraf Philipp (1518-1567), der selbst nicht an Hexerei glaubte und in dessen Regierungszeit niemand wegen Hexerei hingerichtet wurde. Dies änderte sich in der Zeit zwischen 1547 und 1552, als Philipp seine Regierungsgeschäfte nicht ausüben konnte.

Dennoch kamen in Marburg zwischen 1517 und 1688 insgesamt 22 Frauen und zwei Männer wegen angeblicher Hexerei zu Tode. 16 Opfer der Hexenverfolgung kamen aus Stadt und Amt Marburg, acht aus anderen oberhessischen Ämtern. Ein Opfer – Elisabeth George aus Kirchhain – starb am 26. August 1754 in den Kellern des Marburger Rathauses.  Zudem rekonstruierte Dr. Ronald Füssel die Fälle von 25 weiteren der Hexerei angeklagten ehemaligen Mitbürger*innen, deren Leben durch Folter, soziale Ächtung oder Landesverweis zerstört wurde.

An ihre Namen will die Stadt Marburg im November durch Enthüllung eines Gedenksymbols erinnern. Ihre Schicksale kann man schon jetzt in der Stadtschrift „Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse“ nachlesen. Das Buch ist ab 4. Mai im Buchhandel sowie beim Rathausverlag der Stadt Marburg  erhältlich (ISBN: 978-3-942487-15-3, 12,90 Euro).

 

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