Lebenslaute – Rebellion mit Pauken und Trompeten
Kassel 12.05.2020 | Gastbeitrag von Ursula Wöll Krieg durch permanente Aufrüstung und der drohende Klimakollaps sind Gefahren, die uns genauso bedrohen wie die Corona-Pandemie. Nur verlaufen sie quasi unbeachtet hinter unserem Rücken. Fast 2 Billionen Dollar ließen sich die Staaten unserer Erde ihr Militär im Jahr 2019 kosten, allen voran USA und China. Deutschland gab 49,3 Milliarden für Rüstung aus, eine Steigerung um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gegen diesen Wahnsinn protestieren die MusikerInnen der ‚Lebenslaute‘ seit 33 Jahren mit Klassischer Musik. Im August werden sie vor Rheinmetall in Unterlüß Werke von Händel, Brahms, Beethoven sowie Bob Dylans ‚Masters of War‘ spielen und dabei den Firmeneingang symbolisch blockieren.
Nie wieder Krieg
Gerade hat das unabhängige Stockholmer Institut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) seine Zahlen für das Jahr 2019 veröffentlicht. Ja, 2.000.000.000.000 Dollar betrugen die weltweiten Militärausgaben, Fantastillionen würde Dagobert ungläubig staunen. Davon gaben die 29 Nato-Staaten 1.035 Milliarden, also über die Hälfte aus. Russland kam auf „nur“ 65,1 Milliarden Dollar. Trotzdem wird das Land erneut als militärische Bedrohung dargestellt, gegen die man sich ‚verteidigen‘ müsse. Eine Legitimation muss halt her, ohne sie kann man die jährlich wachsenden Summen nicht rechtfertigen. Wie nötig wäre dieses Geld im sozialen Bereich! Wie nötig bei der Abschaffung der Armut weltweit! Und wie nötig für unsere Selbstachtung als vernunftbegabte Menschen, die bei Konflikten verhandeln anstatt zu töten!
Für die Utopie einer Welt ohne Waffen finden sich Berufs- und LaienmusikerInnen im Orchester ‚Lebenslaute‘ zusammen, um alljährlich vor einem militärischen Brennpunkt mit Klassischer Musik zu protestieren. Vor dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel haben sie schon gespielt. Ich habe sie dort erlebt. Alle waren angezogen wie zu einer Theatervorstellung. Sie trugen schwarze Anzüge und Röcke sowie weiße Hemden und Blusen. So kamen sie ordentlich ins Schwitzen, als sie da unter der prallen Sonne hinter ihren Notenständern Bach spielten. Mit ihrer festlichen Aufmachung wollen sie zeigen, dass der oberste Grundsatz bei ihren Aktionen die Gewaltfreiheit ist. Für ihr gewaltfreies Engagement über Jahre erhielt die ‚Lebenslaute‘ im Jahr 2014 den Aachener Friedenspreis.
Gegen die atormare Teilhabe
In Büchel lagern Atombomben der USA, die im „Ernstfall“ von deutschen Fliegern ans Ziel geflogen und abgeworfen werden. 2009 hatten zwar die damaligen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sich „im Nato-Bündnis dafür einzusetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“. Bis heute geschah dies nicht, trotz vieler Protestaktionen durch Friedensgruppen in Büchel. Im Gegenteil: Nun will man in Berlin diese „atomare Teilhabe“ sogar erhalten. Die Verteidigungsministerin AKK möchte dafür die jetzige, in die Jahre gekommene Tornado-Flotte nicht nur durch 93 Eurofighter von Airbus, sondern auch durch 45 moderne Kampfflugzeuge der Firma Boeing ersetzen. Damit die ‚atomare Teilhabe‘ weiter gewährleistet ist.
Kürzlich hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich gegen diese nukleare Teilhabe protestiert, aber leider viel Widerspruch erhalten, auch aus SPD-Kreisen. Ich finde es traurig und unsensibel, dass die Verteidigungsministerin diesen Milliardenkauf gerade um den 8. Mai herum anschneidet. Hat sie vergessen, dass vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende ging? Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Hitler-Wehrmacht und am 2. September auch die des japanischen Kaisers, nachdem zwei Atombomben Hiroshima und Nagasaki zerstört hatten.
Mit Klang und Schall entwaffnet Rheinmetall
Da Büchel also schon ‚dran‘ war, entschieden die MusikerInnen der ‚Lebenslaute‘ basisdemokratisch, in diesem Sommer vor einem Werk der Rheinmetall zu spielen. Die Rheinmetall AG Düsseldorf ist Deutschlands größter Rüstungskonzern mit einem Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro. Er nennt seinen Rüstungsbereich vornehm „Defence“, auch hier wirken Worte versüßend wie Ahornsirup. Vor dem Werk für Waffen und Panzer und dem riesigen Testgelände in Unterlüß nördlich von Celle werden also die MusikerInnen in diesem Jahr erscheinen und gegen die permanente Aufrüstung protestieren. Auf dem Programm werden Beethoven, Brahms, das War Requiem von Britten und die Friedensode von Händel sowie Bob Dylans „Masters of War“ stehen. Orchester und Chor suchen noch Mitwirkende. Zur Vorbereitung auf die Aktion im August wird man sich im Juni in Thüringen treffen, das zentral gelegen ist. da die Mitwirkenden aus allen Bundesländern kommen – falls Corona mitspielt.
Wer ein Instrument spielt oder passabel singt, kann gerne noch einsteigen. Mehr Infos online.
Ich möchte auch auf das neue Buch hinweisen:
Lebenslaute (Hg.), Widerständige Musik an unmöglichen Orten – 33 Jahre Lebenslaute
249 Seiten, mit DVD, 25 Euro, ISBN 978-3-939045-39-7