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Schwedens flache Kurve – Schweden hat die Corona-Krise ohne Lockdown und basierend auf Vernunft und Freiwilligkeit gut bewältigt, während andere versagt haben

Kassel 02.08.2020 | Gastbeitrag von Peter F. Mayer Das Schweden-Bashing gehört in den vergangenen Monaten zum guten Ton. Es ist ja auch nicht leicht, zuzugeben, dass man sich geirrt und letztlich ohne zureichenden Grund erhebliche ökonomische und psychosoziale Schäden verursacht hat. Dies gilt für Politiker in den Shutdown-Nationen wie auch für „ihre“ Medien. Schweden ist dank seiner anderen Politik zum Objekt der Kritik und Diskussion geworden. Aber ob es allen passt oder nicht — heute ist ziemlich klar, dass die Pandemie in dem skandinavischen Land mit einer ziemlich guten Herdenimmunität zu Ende gegangen ist. Und zwar ohne dabei solche Todeszahlen zu produzieren wie im Bundesstaat und insbesondere in der Stadt New York.

Schweden ist in dieser Corona-Krise unaufgeregt wie kein anderes Land vorgegangen. Die Behörden haben sich von vornherein bemüht, Kollateralschäden klein zu halten. Deshalb ist der eher brutale Vergleich der reinen Infektionssterblichkeit nur die halbe Wahrheit. Aber selbst hinter dieser einen Kennzahl braucht sich das Land nicht zu verstecken.

Schweden schneidet auch im europäischen Vergleich sehr gut ab. In Belgien, Großbritannien, Spanien und Italien liegt die Zahl der Todesfälle pro Million Einwohner höher, Frankreich und die USA folgen relativ knapp dahinter, wobei in den USA die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten gravierend sind.

Höhepunkt der Infektionen und Sterbefälle

Schweden kam ohne Lockdown durch die Corona-Krise, New York City mit einem deutlich verspäteten von Ende März bis etwa Ende Juni 2020. Frappierend ist, dass bei beiden ungefähr gleich großen Regionen der Höhepunkt der Sterbefälle mit oder an Covid-19 praktisch auf das gleiche Datum fiel: auf den 7. oder 8. April und dann noch für etwa sechs Tage sehr hoch blieb. Damit lag sowohl in Schweden als auch in New York der Höhepunkt der Infektionen in der zweiten und dritten Märzwoche, in New York kam der Lockdown also um zwei Wochen zu spät.
Die Herdenimmunität dürfte bei beiden erreicht sein.

Das lässt sich an den beiden Kurven mit dem Auftreten der Todesfälle gut erkennen. Der Rückgang in New York fällt allerdings erheblich steiler aus als die wesentlich flacher verlaufende Kurve in Schweden. In Schweden leben knapp über 10 Millionen Menschen, in New York City 8,5 Millionen. Schweden hat allerdings nur zwei etwas dichter besiedelte Gegenden: Stockholm und die Gegend um Malmö. New York ist als Stadt natürlich auf der ganzen Fläche sehr dicht besiedelt. Das ist wahrscheinlich der Grund für den auch wesentlich steileren Anstieg in New York, gefolgt von einem fast ebenso steilen Abfall. Der Großteil der Infektionen muss in sehr kurzer Zeit passiert sein.

Für den ersten raschen Infektionscluster in Stockholm sorgten Heimkehrer aus Tirol, dann kamen die Sterbefälle in den Alters- und Pflegeheimen und der langsame Abfall ist auf die verzögerte Durchseuchung in den dünner besiedelten Gebieten zurückzuführen.
In Stockholm stark betroffen waren schon zu Beginn Migranten wie die Somali-Schweden und grundsätzlich Menschen mit dunkler Hautfarbe. Ein Problem war, dass die Behörden die Migranten erst relativ spät in den jeweiligen Muttersprachen informierten. Auch in New York sind die über 75-jährigen besonders stark betroffen, die Black/African-American und die Hispanic/Latinos, also ebenfalls Menschen mit dunklerer Hautfarbe, die bewirkt, dass in nördlichen Breitengraden in der Haut die Bildung von Vitamin D durch die UV-B-Strahlung reduziert ist.

Strategie und Maßnahmen von Schweden zusammengefasst

Schweden verhängte keinen Lockdown, keine Maskenpflicht und keine Grundschulschließungen, sondern setzte hauptsächlich auf die Eigenverantwortung und Kooperation der Bevölkerung. Dieses Vorgehen bewährte sich und die Sterblichkeit bei der Allgemeinbevölkerung ist vergleichbar mit der einer normalen saisonalen Grippewelle.

Dennoch fiel die Gesamtsterblichkeit in Schweden tatsächlich höher (1) aus als in den skandinavischen Nachbarländern oder in Deutschland, was von vielen Medien als ein angebliches „Scheitern der schwedischen No-Lockdown-Strategie“ bezeichnet wurde.
Dabei wird jedoch zumeist verschwiegen, dass sich circa drei Viertel der schwedischen Todesfälle in Pflegeheimen und Pflegewohnungen (2) ereigneten, die einen gezielten Schutz erfordern und von einem allgemeinen Lockdown der Gesellschaft nicht profitieren. Das Medianalter der schwedischen Toten liegt mit 86 Jahren denn auch weltweit vermutlich am höchsten.

Die schwedische Regierung hat sich zudem als eine der wenigen für den ungenügenden Schutz der Pflegepatienten entschuldigt und eine Untersuchung angekündigt, was von vielen Medien indes erneut als angebliches „Scheitern der No-Lockdown-Strategie“ bezeichnet wurde (3).

Tatsächlich liegt die Infektionssterblichkeit in Schweden aber immer noch unter den starken saisonalen Grippewellen (4) der letzten dreißig Jahre, während die Gesamtsterblichkeit — alle Ursachen zusammengefasst — niedriger ist als die der Nachbarn Dänemark und Finnland.

Zudem dürfte Schweden nun von einer sehr hohen natürlichen Immunität profitieren (5), insbesondere in Anbetracht der neuen Studien zur effektiven Reichweite der Antikörper-Tests: Diese ergeben 17,5 Prozent Antikörper und eine T-Zellen-Immunität von etwa 35 Prozent. Seither steigen jede Woche die Zahlen derjenigen, die inzwischen gegen SARS-CoV-2 immun sind.

In Schweden wird die Corona-Lage auch relativ unaufgeregt von den Experten referiert und nicht von den Politikern. Es gibt derzeit nur dienstags und donnerstags Pressekonferenzen und der Chefepidemiologe Anders Tegnel macht auch wie geplant Urlaub.
Zahlen werden nur mehr an Wochentagen berichtet, denn sowohl Aufnahmen in Intensivpflegestationen wie auch Todesfälle bewegen sich im niedrigen einstelligen Bereich und sind tageweise immer öfter auf null.

Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.statista.com/statistics/1104709/coronavirus-deaths-worldwide-per-million-inhabitants/
(2) https://www.thelocal.se/20200525/swedish-death-toll-passes-4000-as-coronavirus-cases-in-care-homes-start-to-fall
(3) https://www.spiked-online.com/2020/06/08/no-sweden-has-not-changed-its-mind-about-lockdown/
(4) https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-sweden-toll/coronavirus-pushes-swedish-deaths-to-highest-since-1993-in-april-idUSKBN22U1S4
(5) https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.06.29.174888v1

Peter F. Mayer ist Publizist im Bereich Science & Technology. Nach dem Physikstudium war er einige Jahre in der IT-Branche und Softwareentwicklung tätig. Danach wechselte er in den Journalismus als Herausgeber und Chefredakteur bei Telekom-Presse und pfm – Magazin für Infrastruktur und Technologie und arbeitete in der Chefredaktion der HighTech Presse. Er verfasste Beiträge für Die Presse, Salzburger Nachrichten, ORF, Profil, Wienerin und andere. Er ist überzeugter Vater zweier Töchter.

Dieser Beitrag ist übernommen von Rubikon – Magazin für die kritische Masse, dort publiziert mit einer einer Creative Commons-Lizenz.

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