Zweiter Teilhabebericht in Marburg: Projekte sollen Menschen mit Beeinträchtigung mehr Teilhabe bringen
Kassel 04.09.2020 (pm/red) In Marburg sollen Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt leben. Aber wie steht es wirklich um die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in der Universitätsstadt? Wo gelingt Teilhabe gut und wo gibt es noch Handlungsbedarf? Das soll der zweite Teilhabebericht aufzeigen. Etwa 17 Prozent der Menschen, die in Marburg leben, haben eine Behinderung, wird dazu von der Stadtverwaltung mitgeteilt. Erstellt wurde der Bericht auf Initiative des städtischen Behindertenbeirats im Auftrag des Magistrats. Er analysiert, was sich seit der ersten Bestandsaufnahme in Marburg verbessert hat.
Und er gibt Vorschläge, was noch verbessert werden muss. Das hat die Stadt Marburg nicht alleine analysiert, sondern gemeinsam mit ExpertInnen, mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe und der Sozialplanerin Monique Meier hat das Stadtoberhaupt die Bestandsaufnahme nun vorgestellt. Es sind viele kleinere und große Bausteine, die Teilhabe ermöglichen.
An Marburger Schulen gibt es immer wieder Baumaßnahmen, etwa mit dem Bau einer barrierefreien Küche an der Sophie-von-Brabant-Schule oder einem Fahrstuhl am Hauptgebäude der Adolf-Reichwein-Schule. Die Richtsberg Gesamtschule stellt vor, wie sie sich auf den Weg zu einer „Schule für Alle“ macht und wie Digitalisierung und Individualisierung des Unterrichts dabei hilft.
Einen Beitrag zur Teilhabe liefert das Lebenshilfewerk unter anderem mit einem jährlichen Bildungs- und Kulturkatalog, in dem inklusive Bildungsangebote, Freizeitmöglichkeiten und Reisen zusammengefasst sind. Rund 700 barrierearme und teilweise barrierefreie Wohnungen sind in Marburg zudem in den letzten drei Jahren entstanden. Allerdings können laut Bericht nicht alle Bestandsgebäude und Wohnungen komplett barrierefrei umgebaut werden.
Aber: Die Nachfrage nach barrierearmen Wohnungen steigt. Hilfe gibt es bereits bei dem Pflegebüro der Stadt Marburg, das eine individuelle Wohnberatung anbietet. Die Musikschule baut ihr Angebot für Menschen mit Beeinträchtigungen Schritt für Schritt aus und plant das Musizieren mit Menschen im höheren Lebensalter. Das inklusive Straßentheater-Projekt „Hürdenlauf“ hatte großen Zuspruch gefunden. Die Stadt Marburg übernimmt bereits seit mehr als 20 Jahren die Kosten für GebärdendolmetscherInnen, wenn Gehörlose mit der Stadt kommunizieren oder an Veranstaltungen teilnehmen.
Angeregt wird im Bericht beispielsweise, möglichst viele barrierefreie Wohnungen in den Erdgeschossen zu bauen – da Aufzüge ausfallen können und das sonst einen „Hausarrest“ für Bewohner/innen bedeuten könne. Wichtig seien auch niedrigschwellige Zugänge zu gesundheitlicher Versorgung, Trainings für Fahrplanlesen, induktive Höranlagen in Veranstaltungsräumen oder der zunehmende Einsatz von leichter oder einfacher Sprache.
In Zusammenarbeit haben Menschen mit Beeinträchtigungen, Institutionen, Vereine, Selbsthilfegruppen, die Philipps-Universität und verschiedene städtische Fachdienste umfangreiche Informationen auf 345 Seiten zusammengestellt. Der Arbeitskreis und viele Gäste haben eineinhalb Jahre an dem Bericht gearbeitet. Wie vielfältig die Mitwirkenden sind, ist im Anhang des Berichts aufgeführt. Beteiligt haben sich etwa Schulen, der Stadtelternbeirat, die Evangelische Familienbildungsstätte, das Diakonische Werk, die BI Sozialpsychiatrie, der Verein Leben mit Krebs und viele mehr.
Befragung „Teilhabe in Marburg“
Um ein Meinungsbild von Menschen mit Beeinträchtigungen zu erhalten, hat die Philipps-Universität Marburg eine begleitende Befragung durchgeführt und nach Verbesserungswünschen für die Stadt Marburg gefragt. Dr. Carolin Tillmann vom Institut für Erziehungswissenschaften: „Die Beteiligung von Marburger*innen mit Beeinträchtigungen ist ein wichtiger Bestandteil des zweiten Teilhabeberichts. Zudem wurde die Teilhabe von Menschen mit chronischen Krankheiten und unsichtbaren Beeinträchtigungen stärker als bisher thematisiert.“ Ein wegweisendes Zitat aus einem der anonymisierten Interviews lautet: „Mein Traum ist es, dass man nicht sagt: Das ist der Behinderte und das der Normale.“