Unternehmen Barbarossa 22. Juni 1941: Vor 80 Jahren überfielen Hitlers Armeen die Sowjetunion
Kassel 17.06.2021 | Gastbeitrag von Ursula Wöll Am 22. Juni 1941 überfielen Hitlers Soldaten die Sowjetunion. 27 Millionen Tote und die damit meisten Opfer des Zweiten Weltkriegs waren zu beklagen. Unter ihnen sind über 3 Millionen sowjetische Soldaten, die in deutscher Gefangenschaft verhungerten, etwa im niedersächsischen Lager Sandbostel oder im nordhessischen Stammlager IX A Ziegenhain, heute Trutzhain. Bundespräsident Steinmeier legte bereits am 14. Juni einen Kranz in Sandbostel ab, in Trutzhain wird für den 22. Juni aufgerufen Blumen an den Gräbern niederzulegen. Über das millionenfache Leiden und Sterben der sowjetischen Zivilbevölkerung zuhause informiert das Tagebuch der jungen Lena Muchina aus Leningrad. Die Stadt wurde fast 900 Tage lang von deutschen Soldaten eingekesselt, so dass allein hier 1 Million BewohnerInnen verhungerten und erfroren.
Der Überfall der Hitler-Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war lange geplant, und zwar als Vernichtungskrieg unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“. Die Nazis betrachteten die EinwohnerInnen als „Untermenschen“. Möglichst viele sollten sterben, um „Lebensraum im Osten“ für die „höherwertigen“ Deutschen zu schaffen. Die rassistische Abqualifizierung der anderen tötet das Mitgefühl und ist Voraussetzung, um ihnen zu schaden. So hat etwa meine Mama, eine herzensgute Frau, damals in dem Glauben gelebt, dass die anderen am Krieg schuld seien. Die Hitler-Propaganda gab ihr wohl das Gefühl, dass nichts Schlimmes passiert, so dass sich ihre Sorge auf Verwandte beschränkte, die im Osten kämpften.
Bundespräsident Steinmeier in der Gedenkstätte Lager Sandbostel
In 150 Baracken hatten die Nazis über 300.000 Kriegsgefangene gesteckt, unter ihnen 70.000 sowjetische Soldaten. Als „russische Untermenschen“ wurden sie noch übler behandelt als die anderen Gefangenen. Tausende starben durch Zwangsarbeit, Hunger, Seuchen und Misshandlungen.
Erst im April 1945 wurde das Lager von britischen Soldaten befreit. Seit 2007 ist es eine Gedenkstätte. Der Bundespräsident wollte mit seinem Besuch an eine fast vergessene Opfergruppe, nämlich die ins Lager gesperrten Kriegsgefangenen erinnern. Es war sicher ein Zufall, dass sein Gedenken am 14. Juni in Sandbostel auf den gleichen Tag fiel, an dem die NATO in Brüssel tagte.
Im Rahmen der Nato-Tagung wurden offenbar die zu Russland bereits bestehenden Gräben verbal vertieft und neue zu China gegraben, was mich einen neuen Kalten Krieg fürchten lässt. Als Folge wird sich das Wettrüsten verstärken, die „Verteidigungsausgaben“ erreichen neue Höchststände, trotz Pandemie. Ich habe Angst, dass eines Tages aus einem kalten Krieg ein heißer wird, auch wenn das Gipfeltreffen in Genf zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin am 16. Juni 2021 diesen Eindruck abschwächen wollte. Am 14. Juni warnte der Bundespräsident auf dem Lagerfriedhof in Sandbostel: „Was passiert ist, darf nie wieder passieren.“
Gedenkstätte und Museum Trutzhain
Bis heute sind die Namen von 692 sowjetischen Kriegsgefangenen bekannt, die auf dem Waldfriedhof Trutzhain bestattet sind. Von der Gedenkstätte und Museum wird angeregt diese Gräber am 22. Juni mit selbstgepflückten Blumen zu schmücken. Als Uhrzeit ist die Zeit zwischen 16 und 19 Uhr vorgeschlagen. Bei etlichen Gräbern werden dann Kurzbiografien der Verstorbenen zu lesen sein.
Das Lager Ziegenhain wurde am 25. März 1945 von amerikanischen Soldaten befreit. In der Folge diente es noch mehrmals als Unterkunft für Flüchtlinge, zuletzt für Heimatvertriebene. Diese gründeten 1951 hier die Gemeinde Trutzhain als Ortsteil von Ziegenhain, beide sind heute eingemeindet ins nordhessische Schwalmstadt. So erklärt sich der Namenswechsel.
Mehr erfährt man in einer gemeinsam durch deutsche und russische Stellen gestalteten Online-Ausstellung.
—>Rede von Bundespräsident Steinmeier zum Gedenken
Lenas Tagebuch
„Wie kleinlich ich geworden bin. Ich denke und schreibe nur noch über Essen“, notiert die 16jährige Schülerin Lena Muchina am 22. November 1941 in ihr Tagebuch. Die Hitler-Wehrmacht hatte die Millionenstadt Leningrad eingekesselt, um die Bevölkerung munitionssparend zu vernichten. Die Blockade dauerte fast 900 Tage, eine Million Leningrader starben an Hunger oder erfroren in den harten Wintern. Oft erhielten EinwohnerInnen, die nicht hart arbeiten mussten, nur 125 Gramm Brot täglich auf ihre Lebensmittelkarten. Und das erst nach stundenlangem Anstehen. Auch Lenas Ziehmutter und die alte Aka, mit denen sie zusammenlebte, starben an Entkräftung. Ihre Leichen, notdürftig eingewickelt, zog die Schülerin auf einem Schlitten zu dem Sammelplatz der Toten. Lena selbst überlebte, weil sie das Glück hatte zu den wenigen zu gehören, die über den Ladogasee evakuiert wurden. Sie hatte Verwandte in Gorki und beendete ihr Tagebuch im Mai 1942. Dieses Dokument eines furchtbaren Jahres beginnt mit der Mädchen- Schwärmerei für Wowa, bis bald nach dem 22. Juni 1941 Lenas Welt durch Hitler zur Hölle wird. Es blieb lange verschollen. Erst nach Lenas Tod erschien es 2011 im Druck und wurde bald auch ins Deutsche übersetzt. Beim Lesen erinnerte ich mich an das Tagebuch der Anne Frank, beide sind von Mädchen geschrieben, die um ihre Jugend betrogen wurden. Ihre fast täglichen Eintragungen schildern anschaulich, was der Krieg Menschen zufügt. Das Buch „Lenas Tagebuch“ aus dem List-Verlag (Band 61217, ISBN 9783548612171) kostet 9,99 Euro und eignet sich auch als Geschenk für Jugendliche.