Wie wird eine Flut zur Katastrophe?
11.08.2021 (pm) Was sind die Ursachen und die Auswirkungen von Hochwasserkatastrophen an Flüssen? Dieser Frage ist eine internationale Gruppe von Forscher*innen um den GFZ-Hydrologen Bruno Merz in einem Übersichtartikel im Fachjournal Nature Reviews Earth and Environment nachgegangen. Die kurze Antwort: Es ist kompliziert. Fest steht jedoch, dass es einen gegenläufigen Trend von Sach- und Personenschäden gibt. Seit den 1990-er Jahren ist die Zahl der Todesopfer durch Flusshochwässer weltweit gesunken, dagegen sind die Schadenssummen stark angestiegen. Die Forschenden führen den Rückgang der Opferzahlen auf eine verbesserte Flutwarnung, technische Schutzmaßnahmen und ein geschärftes Gefahrenbewusstsein zurück.
Asien ist weltweit am schlimmsten von Überflutungen betroffen: „Mehr als neunzig Prozent der von Hochwasserkatastrophen betroffenen Menschen leben in Asien“, sagt Bruno Merz. Der Leiter der GFZ-Sektion Hydrologie nennt einige Gründe: „Dort gibt es riesige Flussauen großer Ströme und genau dort leben viele Menschen auf engem Raum zusammen.“
Im langjährigen Mittel werden jedes Jahr 125 Millionen Menschen von einer Hochwasserkatastrophe an einem Fluss getroffen: Sie müssen ihre Häuser verlassen, erleiden finanzielle Verluste, werden verletzt oder sogar getötet. Am dramatischsten sind Ereignisse, wo Dämme oder Deiche plötzlich brechen, und Sturzfluten wie jüngst in Deutschland und Belgien. Die weltweiten ökonomischen Schäden durch Hochwasser in Höhe von ca. 100 Milliarden US-Dollar resultieren sowohl aus großen Überschwemmungskatastrophen als auch aus vielen kleineren, weniger dramatischen Ereignissen, also als kumulierter Effekt.
Was die Ursachen betrifft, haben die Forscher/innen ein ganzes Geflecht von Faktoren identifiziert. Dazu zählen sozio-ökonomische Gründe (Armut, Bevölkerungswachstum, höhere Werte in hochwassergefährdeten Regionen) ebenso wie natürliche, allen voran der Klimawandel. Damit jedoch aus einem Extremwetterereignis eine Flutkatastrophe wird, kommen weitere Bedingungen dazu, etwa ein fehlendes Bewusstsein für Gefahren oder nicht vorhandene bzw. versagende Schutz- und Warnsysteme. „Es muss daher in erster Linie um die Verminderung der Verletzlichkeit von Kommunen gehen“, sagt Bruno Merz. Der Rückgang der Opferzahlen weltweit in den vergangenen Jahrzehnten zeige, dass es hier Fortschritte gibt.
Wie kann nun die „Vulnerabilität“ weiter gesenkt werden? Die Forschenden fokussieren hier auf die weniger augenfälligen Maßnahmen. So müsse vor allem das Element der Überraschung betrachtet werden. Hier könne eine Klassifizierung von Gebieten nach „Anfälligkeit für Überraschungen“ helfen. Es gehe auch darum, im Vorfeld Extremszenarien zu entwickeln: Was könnte passieren, wenn sich mehrere Faktoren ungünstig überlagern und Situationen eintreten, die typische Risikoabschätzungen nicht abbilden? Zur Risikominimierung trage auch eine Politik des „besseren Wiederaufbaus“ bei. Ein Schlüssel zum besseren Verständnis von Flutkatastrophen liege in der Vergangenheit – „historische Katastrophen bergen viele wertvolle Lehren und müssen deshalb noch mehr als bisher in aktuelle Datensätze eingehen“, sagt Merz.