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Der Coronismus

Wenn wir jemals zur Normalität zurückkehren wollen, müssen wir den herrschenden Irrsinn als das erkennen, was er ist: ein dogmatisches Glaubenssystem

19.01.2022 | Gastbeitrag von Wolfram Meyerhöfer Die Nachsilbe „-ismus“ deutet an, dass eine an und für sich berechtigte Tendenz bis zum Exzess ausgereizt wurde. „Sozial“ ist gut, aber „Sozialismus“…? Der Buddha war ein weiser Mann, mit dem „Buddhismus“ wurde aus frei schweifenden Ideen ein fest gefügtes Glaubenssystem, das von seinen Anhängern absolut gesetzt wird. Auch aus Corona ist mittlerweile ein „Ismus“ geworden — etwas, was alle anderen Lebensbereiche dominiert und ihnen als Maßstab dient. Der Coronismus, da ist der Autor sicher, wird den Zeitraum, in dem das gleichnamige Virus im Umlauf ist, überdauern. Denn nicht um einen bestimmten Erreger geht es, sondern um die grundlegende Annahme, eine gesundheitliche Bedrohung erlaube und erfordere die Einschränkung von Grundrechten, das normale gesellschaftliche Leben stünde also für immer unter Virusvorbehalt. Corona wird wie AIDS in den Hintergrund treten; die mit der Krise verbundenen Strukturen und Denkweisen aber werden überleben und bis zum nächsten Repressions-Flächenbrand weiter schwelen. Nur eines kann gegen die Verewigung des Gesundheitsregimes helfen: ein konsequenter Anti-Coronismus.

Was ist Coronismus?

Coronismus (synonym: Covidismus) ist eine politische Position mit der Grundannahme, das Sars-Cov-2-Virus (umgangssprachlich „Corona-Virus“) sei im Vergleich zu anderen Krankheitserregern so außerordentlich gefährlicher, dass sein Auftreten spezifische politische Maßnahmen der Einschränkung von herkömmlichen bürgerlichen Rechten rechtfertigt. Das politische Handeln besteht in der Ausarbeitung und Durchführung dieser Maßnahmen sowie in ihrer kommunikativen Begleitung.

Was ist Anti-Coronismus?

Anti-Coronismus (synonym: Anti-Covidismus) ist die politische Gegenposition zum Coronismus. Seine Grundannahme ist, dass das Sars-Cov-2-Virus im Vergleich zu anderen Krankheitserregern lediglich so gefährlich ist, dass sein Auftreten keine spezifischen politischen Maßnahmen der Einschränkung von bürgerlichen Rechten rechtfertigt. Das politische Handeln des Anti-Coronismus besteht in der Kritik und gegebenenfalls in der Verweigerung dieser Maßnahmen sowie in der kommunikativen Begleitung dieses Tuns.

Ein „-ismus-Begriff“ als Voraussetzung für eine Rückkehr zur Normalität

Seit einiger Zeit befrage ich meine coronistischen Freunde: Unter welchen Umständen wärest du bereit, die Corona-Maßnahmen vollständig aufzuheben? Unter welchen Umständen also wärest du bereit, mir zu erlauben, dass ich an meinem Arbeitsplatz keine 8 Stunden lang eine Maske tragen muss und dass ich an öffentlichen Orten tanzen darf? Dabei zeigt sich, dass man einen Begriff wie „Coronismus“ benötigt, um überhaupt diskutieren zu können, wogegen man kämpfen muss, damit wir unser normales Leben zurückbekommen.

Auf die Frage, wann Coronisten bereit wären, die Corona-Maßnahmen aufzuheben, gibt es zwei Typen von Antworten. Die eine Antwort wird nur verklausuliert und mehrfach verdreht gegeben:

Es wird nie wieder eine Zeit ohne coronistsche Maßnahmen geben. Die Menschen, die diese Antwort geben, haben ein so starkes Kontrollbedürfnis, dass sie nur noch bereit sind, anderen Menschen herkömmliche Aktivitäten zu gestatten, wenn diese bestimmte Gesundheitsmerkmale offenlegen.

Sie möchten zum Beispiel auf ihren Smartphones ablesen können, wie viel Prozent der Besucher eines Klubs geimpft sind — und entlang dieser Information entscheiden sie dann, ob sie in diesen Klub gehen oder ob sie doch lieber einen anderen Klub wählen.

Diese Personen würden mir gestatten, meine Maske abzunehmen, wenn ich mich jeden Tag auf eine Reihe von Krankheitserregern testen lasse und meinen Teststatus bekannt gebe, sodass sie selbst gegebenenfalls bei Kontakt mit mir eine Maske aufsetzen können. Manche dieser Personen bestehen auch auf einer Art Dauer-Impfpflicht.

Die andere Antwort kann man so zusammenfassen: Wenn eine medizinische Autorität sagt, dass die Pandemie vorbei ist, dann wäre ich bereit, alle Maßnahmen auslaufen zu lassen.

Das Problem bei diesem Ansatz ist: Eine solche Autorität wird es nicht geben. Seit dem Februar 2020 gab es für medizinische Autoritäten sehr viele günstige Zeitpunkte, um zu sagen: Die Gefahr, die wir angenommen haben, hat sich als deutlich geringer erwiesen als wir anfangs glaubten, wir können einfach zu unserem alten Leben zurückkehren. Auf allen Ebenen des Expertentums — also von Laien bis hin zu Experten für alle möglichen Fachgebiete — haben Menschen sich Positionen zu Corona erarbeitet, die sie wahrscheinlich im Wesentlichen nicht mehr verlassen werden.

Egal, welche Position man sich erarbeitet hat, man hat sie sich immer entlang von Wissen und Gefühlen erarbeitet. Vor der Folie der eigenen Gedanken und Gefühle nehmen unterschiedliche Menschen „Fakten“ oder „Geschichten“ wahr und deuten sie sehr unterschiedlich.

In den sich so ergebenden verschiedenen Gefahreneinschätzungen und politischen Positionen findet man zu allen Positionen sowohl Laien als auch Experten, die zu ähnlichen Deutungen kommen. Die Experten, denen man vertraut, sind gerade diejenigen, die ungefähr die gleiche Position haben wie man selbst. Man kann sagen: Sobald eine medizinische Autorität einem coronistischen Laien sagt, dass die Gefahr vorüber ist, wird dieser Laie der Autorität ihren Autoritätsstatus absprechen. Der Coronist wird sagen: Oh, jetzt ist der auch zu den Verharmlosern übergelaufen.

Die neue Doktrin wird uns dauerhaft begleiten

Anders gesagt: Der Coronismus wird nicht vorübergehen, sondern er wird sich als Weltsicht und als politische Doktrin verstetigen. Wer will, dass die Corona-Maßnahmen aufhören, benötigt deshalb einen Begriff für diese politische Doktrin, um aussprechbar zu machen, wogegen man kämpfen muss. Es gibt tausende Viren und tausende Virologen, deren Karrieren daran hängen, dass sie Viren entdecken, die dann als gefährlich gelten. Wenn Regierende früher ihr Volk disziplinieren wollten, dann mussten sie mühsam Feinde aufbauen, gegen die man dann in Kriege ziehen konnte, um das Volk hinter sich zu versammeln. Künftig kann man jederzeit einfach ein beliebiges Virus aus dem Portfolio ziehen und diesem den Krieg erklären.

Als effiziente Herrschaftsstrategie wird dieser Ansatz auch Corona überdauern. Wie in jedem Krieg werden auch im Krieg gegen Corona die Kämpfenden nach ein paar Jahren erschöpft abziehen.

Sie werden aber nicht nur eine zerrüttete, traumatisierte und gewaltgewohnte Gesellschaft zurücklassen, sondern sie werden auch eine Kriegsinfrastruktur aufgebaut haben.

Die Impfstofffabriken müssen ausgelastet werden. Die vielen neuen Virologen, die entlang der staatlichen Geld-Schwemme gerade promoviert werden, brauchen Karriereperspektiven. Die Hygienebeauftragten in den Schulen würden gern ihre Sonder-Stunden behalten. Die Mitarbeiter der dauerhaft eingerichteten Krisenstäbe und Pandemie-Kompetenzzentren in den Verwaltungen werden nach sinnhaftem Tun gieren und immer umfangreichere Katastrophenpläne schreiben.

So wie sich die jungen Männer nach Kriegen mit einem zivilen Arbeitsverhältnis schwer tun, so werden die Coronisten noch jahrelang von der schönen schweren Zeit fabulieren. Dieses coronistische Ökosystem steht allzeit bereit für den nächsten Kampf und wird immer wieder versuchen, die Gesellschaft in den nächsten Krieg gegen Gesundheitsgefahren zu treiben.

Aber nicht nur die Profiteure des Coronismus werden ihn aufrechterhalten, sondern auch viele seiner Opfer. Viele Menschen sind so stark mit Angst durchtränkt, dass sie diese Angst nicht mehr aus ihren Köpfen und Körpern herausgeschwemmt bekommen. Beim Blick in die Geschichte kann man das an Ängsten vor den Kommunisten oder den Terroristen, aber auch vor Hexen, vor Teufeln oder vor deren Versuchungen studieren. Wenn diese Ängste erst einmal fest genug verankert sind, dann lassen sie sich nur noch mit großem Aufwand wieder aus den Menschen herauslösen.

Das coronistische Narrativ — dass eine große Gefahr bestand, dass Volkes Front sie besiegt hat und dass es dazu notwendig war, Abweichler zu strafen — wird immer wieder beschworen werden. Krankheiten in aller Welt werden uns so permanent präsentiert werden wie bislang Terrorismusnachrichten. Der coronistische Apparat wird also einfach weiterarbeiten und das politische Geschehen beeinflussen. Der Coronismus wird uns als politische Leitidee weiter begleiten, und deshalb bedarf es einer starken und expliziten anticoronistischen Gegenbewegung, wenn wir das wiederhaben wollen, was wir vor zwei Jahren als Normalität bezeichnet haben.

Dieser Beitrag ist mit Creative Commons LizenzvertragLizenz übernommen aus Rubikon, dem Magazin für die kritischze Masse.

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