Projekt Einkreisung Russland über Jahre hinweg hingehalten und betrogen. Zur Geschichte der NATO-Osterweiterung
26.02.2022 red | Zum journalistischen Arbeiten gehört die Lektüre anderer Medien. das Marburger. präsentiert ausgewählte Berichte und Artikel aus anderen Medien im Ausschnitt als Leseanregung für Leser/innen. in der MEDIEN-Rundschau 2 ein Autorenbeitrag von Jörg Kronauer aus der Tageszeitung Junge Welt vom 26. / 27. Februar 2022:
Von Jörg Kronauer NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg war fast empört. »Das stimmt einfach nicht«, erklärte er im Januar, vom Spiegel nach russischer Kritik an der NATO-Osterweiterung befragt. Hatten westliche Regierungen denn nicht Anfang 1990, als die sozialistischen Staaten kollabierten, der Sowjetunion den Verzicht auf die Aufnahme neuer Mitglieder in Ost- und Südosteuropa zugesagt? »Ein solches Versprechen wurde nie gemacht«, behauptete Stoltenberg: »Es gab nie einen solchen Hinterzimmerdeal. Das ist schlichtweg falsch.«
Schlichtweg falsch? Nun, vom Manager eines Militärpakts, der mitten in einem heftigen Konflikt steckt, wird kaum jemand – außer vielleicht der Spiegel – ehrliche Antworten auf peinliche Fragen erwarten. Das macht aber nichts; denn darüber, was der Westen Moskau in den Wirren des Jahres 1990 zugesagt hat und was nicht, liegen nicht nur allerlei Untersuchungen vor. Man kann mittlerweile auch zahlreiche einst als vertraulich eingestufte Regierungsdokumente einsehen, die das National Security Archive, ein Forschungsinstitut an der George Washington University in der US-Hauptstadt, im Laufe der vergangenen Jahre nach dem Ende der einschlägigen Geheimhaltungsfristen öffentlich zugänglich gemacht hat. Aus ihnen lässt sich ein Bild gewinnen, das Stoltenbergs Behauptung widerspricht.
»Nicht einen Inch nach Osten«
Die Frage nach der Zukunft der NATO auf dem europäischen Kontinent ist während der Umbrüche der Jahre von 1989 bis 1991 früh aufgeworfen worden…
Einen ersten öffentlichen Aufschlag machte am 31. Januar 1990 der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher. In einer Rede an der Evangelischen Akademie in Tutzing am Starnberger See erteilte er zunächst der Idee eines »neutralistischen Gesamtdeutschlands« eine offene Absage; das sollte die historisch begründete Furcht vor deutschen Alleingängen, die für die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs eine Rolle spielte, ausräumen und zugleich indirekt den Boden für die Forderung bereiten, ein vereinigtes Deutschland dürfe nicht neutral sein, sondern müsse der NATO angehören. Mit Blick auf die angestrebte NATO-Mitgliedschaft einer vergrößerten Bundesrepublik schränkte Genscher in Tutzing ein, »der Teil Deutschlands, der heute die DDR bildet«, werde wohl kaum »in die militärischen Strukturen der NATO einbezogen werden« können; das werde die Sowjetunion verweigern. Zudem kündigte der Außenminister an: »Eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.«
Warum? »Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen«, erläuterte Genscher, »dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen darf.« —>Weiterlesen in Junge Welt