Kollateralschaden: das Ende von SWIFT?
06.03.2022 Gastbeitrag von Sandra Sieber | SWIFT, ausgeschrieben „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“ ist ein globales Nachrichtensystem, das Tausende Finanzinstitute auf der ganzen Welt miteinander verbindet. Eine Reihe amerikanischer und europäischer Banken erschuf 1973 gemeinsam SWIFT, um einen Standard zu setzen – und zu verhindern, dass eine einzelne Bank ihr eigenes System errichtet.
Das System SWIFT arbeitet seit 1977, angeschlossen sind derzeit über 11.000 Finanzinstitute in über 200 Ländern und Gebieten. Mehr als 40 Millionen Nachrichten am Tag ermöglichen den Transfer von Billionen Euro zwischen Unternehmen und Staaten weltweit. SWIFT informiert die Banken über ausgeführte Transaktionen. Das System bewegt kein Geld, sondern Informationen über Geld. Und das mit minimalen Provisionen und Gebühren, wodurch mehr Transaktionen ermöglicht werden, als sie jedes private System erreichen könnte.
Ließe man die Banken ohne SWIFT zurück, wäre das so, als würde man uns das Internet nehmen – oder der Generation Z ihre sozialen Netzwerke. Die Abkopplung einer Bank von SWIFT bedeutet, dass sie nicht mehr kommunizieren kann und auch nichts mehr mitbekommt. Theoretisch wären Geldströme möglich. Aber ohne ergänzende Informationen, woher sie kommen, wohin sie gehen, wofür sie bestimmt sind, wäre eine Bank nicht in der Lage zu arbeiten. Deshalb ist es für die Banken in aller Welt so bedeutend, auf ein unabhängiges und sicheres System setzen zu können, dem sie angehören, egal was kommt.
SWIFT hat sein Headquarter in Belgien und befindet sich im gemeinsamen Besitz von mehr als 2.000 Banken und Finanzinstituten. Verwaltet wird SWIFT von der belgischen Nationalbank in Zusammenarbeit mit den Zentralbanken von Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten. SWIFT ermöglicht seit seinem Bestehen jeder Bank sichere internationale Transaktionen. SWIFT war stets um Neutralität bemüht, zu zeigen, dass es in keinem Streitfall Partei ergreift. Diese Regel wurde in ihrer Geschichte nur ein einziges Mal gebrochen, als sie 2012 iranische Banken wegen des Atomprogramms ihres Landes ausschloss.
Kollateralschäden wegen Ausschluss der meisten Russischen Banken
Wegen des Krieges wurden nun die meisten russischen Banken aus SWIFT ausgeschlossen. Mit dieser Maßnahme hofft man, der russischen Wirtschaft schweren Schaden zuzufügen – erinnern wir uns daran, dass der Iran durch die gleiche Maßnahme fast die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Ölexport sowie 30 % seines Außenhandels verloren hat.
Wir sollten uns jedoch der mittel-und langfristigen Kollateralschäden bewusst sein. Im Jahr 2012, zeitgleich mit den Maßnahmen gegen den Iran, schuf China ein System namens CIPS (Cross-border Interbank Payment System). An den Start gegangen 2015, wird es von der People’s Bank of China verwaltet und wird hauptsächlich für Transaktionen zwischen Banken in China, innerhalb des chinesischen Festlandes und zwischen Hongkong und China genutzt.
Im Jahr 2014 begann die russische Zentralbank zeitgleich mit der Drohung, Russland aufgrund der Krim-Krise aus SWIFT auszuschließen, mit der Entwicklung ihres eigenen Systems, SPFS (Financial Message Transfer System). Es wurde 2017 eingeführt und genießt lokal eine hohe Akzeptanz. Erst kürzlich traten einige internationale Finanzinstitute im russischen Einflussbereich bei, Tochtergesellschaften der großen russischen Banken in Deutschland und der Schweiz erhielten Zugang.
In absoluten Zahlen betrachtet hält sich die internationale Ausdehnung beider Systeme noch sehr in Grenzen. Wir können nur darüber spekulieren, wie schnell diese Systeme mit anderen Systemen oder wie leicht beide untereinander verbunden werden könnten. In jedem Fall wird der aktuelle Bann die Entwicklung dieser und wahrscheinlich auch anderer Systeme beschleunigen – neben den Auswirkungen auf Blockchain und die Welt der Kryptowährungen.
Universelle Nutzung von SWIFT ist Vergangenheit
Die universelle Nutzung von SWIFT, wie wir sie seit 45 Jahren kennen, ist vorbei – ein Kollateralschaden des Krieges in der Welt der Finanzdienstleistungen. Bedauerlicherweise ist ein globales System, mit offener Technologie, unter privater glaubwürdiger Verwaltung, extrem schwierig zu etablieren – und noch schwieriger zu erhalten. Neutralität – die Einbeziehung aller – ist der Schlüssel zu Glaubwürdigkeit und Dauerhaftigkeit. Jede Ausnahme gibt Anstoß zur Entwicklung alternativer Systeme. Während wir also der EU noch applaudieren und die Verhängung eine der härtesten Wirtschaftssanktionen unterstützen, sollten wir uns Gedanken darüber machen, was als Nächstes kommen soll. Wie soll die Welt der internationalen Geldströme aussehen, welche wirtschaftlichen Folgen sehen sich Industrie, Unternehmen und die Nutzer im Allgemeinen gegenüber.
Sandra Sieber ist Professorin im Information Systems Department der weltweit renommierten IESE Business School. Sieber ist Expertin für Digital Transformation.