Begehbare Geschichte im Marburger Rathaus: Alte Treppen und moderner Zeitstrahl
15.03.2022 (pm7red) Im doppelten Sinne wird Vergangenes im Marburger Rathaus begehbar gemacht: Alte Holzstufen, die sich unter einer Verkleidung versteckt haben, werden bei einer Sanierung in Foyer und Treppenhaus wieder hervorgeholt. Zugleich kommt die Geschichte von acht Jahrhunderten an die Wände und lädt damit ein, durch die Zeit zu gehen. Seit Dezember wird im Rathaus quasi täglich gehämmert, gebohrt, gestrichen und geschliffen. Altes wir hervorgeholt und aufgearbeitet. Neues wird ergänzt. Insgesamt soll der Treppenaufgang zu einer begehbaren Reise durch die Zeit werden, wird von der Stadtverwaltung mitgeteilt.
Erster Schritt ist die Renovierung. „Wir haben vorher mal unter den Treppenbelag geschaut und festgestellt, dass dort größtenteils gut erhaltene Eichenholzstufen liegen“, erklärt Oliver Kutsch, Fachdienstleiter Hochbau. Deswegen entschieden die Fachleute sich dafür, das Linoleum auf der Treppe vollständig zu entfernen und die freigelegten Stufen wieder schön aufzubereiten. Einige Stufen waren allerdings schon sehr abgetreten, als sie einst verkleidet wurden. Manche der alten Eichenholzstufen bekamen daher Ergänzungen aus neuerem Holz, ein paar Stufen mussten komplett getauscht werden. „Interessanterweise waren die Stufen am ersten Treppenlauf am besten erhalten und erst weiter oben mussten wir mehr reparieren“, so Kutsch. Außerdem werden die Stufen kontrastreich gestaltet, damit sie für Menschen mit Sehbehinderung gut zu erkennen sind. Das Leitsystem im Rathaus ist bislang nicht barrierefrei – deshalb wird es ein taktiles Leitsystem und neue Türschilder geben.
Neben der Treppe mit ihren vier Treppenläufen, die bis in das zweite Obergeschoss führen, erhalten auch die Holzvertäfelungen an der Wand besondere Aufmerksamkeit: Sie wurden abgenommen und von einer Fachfrau restauriert. Dann erhalten sie wieder ihren angestammten Platz – dann an einer frisch gestrichenen Wand. Frische Farbe gibt es auch für den Eingangsbereich im Erdgeschoss und für den angrenzenden Ausstellungsraum. Der große Raum links der Eingangstüre erhält in diesem Zuge eine neue Ausstattung – um ihn zu einem professionelleren Ausstellungsraum zu machen. Wände, Vitrinen und Tische gehören künftig zur Ausstattung, die ab Mai dann auch mit Stücken gefüllt werden, die einen Einblick in jüdisches Leben in Marburg geben.
Auf vier Treppen durch acht Jahrhunderte
Kunst wird nicht nur im Erdgeschoss eine große Rolle spielen – sondern auch entlang der vier Treppenläufe: Dort wird ein Zeitstrahl entstehen, der Besucher*innen durch acht Jahrhunderte Marburg führt. Entlang jedes Treppenlaufs werden Bilder, historische Gemälde, Dokumente, Skizzen und kleine Texte in jeweils zwei Jahrhunderte Stadtgeschichte mitnehmen. Bereits seit 2019 wird intensiv geplant, welche bis zu acht Bilder jeweils ein Jahrhundert darstellen sollen. „Die Bilder werden ergänzt mit Bildunterschriften und bilden so eine Chronik“, erklärt Ruth Fischer. Historiker*innen, unter anderem vom Staatsarchiv, dem Universitätsarchiv und der Philipps-Universität, seien bei der Auswahl und Erstellung der Texte intensiv eingebunden worden. „Wir haben damit einen Aufschlag gemacht und mit einigen Aspekten der Stadtgeschichte von acht Jahrhunderten angefangen – ab September wollen wir dann mit der Stadtgesellschaft in einen Diskurs gehen und zusammen ausarbeiten, welche Aspekte wir noch in der Stadtgeschichte erzählen wollen“, so Fischer. Marburgs Geschichte habe so viele Aspekte – wie sollen sie aufgegriffen werden? Wie sollen sie weitererzählt werden? Wie erzählen wir verschiedene Aspekte? Alle hätten keinen Platz in der Treppen-Zeitreise gefunden, aber es sei ein Auftakt für eine Stadtgeschichte.
Bislang hingen vier historische Portraits Marburger Landgrafen, golden gerahmt, im Treppenaufgang. Aktuell befinden sie sich im Depot im Stadtarchiv, bis sie einen neuen Platz erhalten – neben zahlreichen anderen historischen Bildern, die die Stadt Marburg in ihrem Besitz hat. „Wir besitzen viel mehr Bilder, als wir dauerhaft ausstellen können“, erklärt Fischer. Für den neuen Zeitstrahl werden daher nun einmal andere Bilder hervorgeholt und an der prominenten Stelle im Rathaus gezeigt.
Dreiteilige Zeitreise als Auftakt für Stadtgeschichte
Die Zeitreise im Rathaus ist einer von drei Bausteinen einer Ausstellung zum Jubiläumsjahr. Die Brüder-Grimm-Stube wird zum Aufenthalt einladen, zum Lesen und Stöbern – und zum Hören. Für den Ausstellungsraum sind Texte und Hörspiele entstanden, die Geschichte nochmal auf einer anderen Ebene erfahrbar machen. Begreifbar werden achthundert Jahre Marburg auch durch acht sorgfältig ausgewählte Gegenstände – sie stehen für je ein Jahrhundert Marburg. Im Südflügel des Landgrafenschlosses wird Geschichte ebenfalls zum Anfassen dargestellt: „Objekte erzählen Stadtgeschichte“ heißt es dort. 40 Gegenstände laden zur Zeitreise ein.
Eröffnet werden die drei Ausstellungen zur Stadtgeschichte und das frisch renovierte Rathaus Anfang April. Bis dahin wird noch ein paar Tage gehämmert, gebohrt und gestrichen – und die Kunst ins richtige Licht gerückt.