Wie in den 1970er Jahren Tapeten als Kunstwände performten
06.04.2022 (pm/red) Mit der Sonderausstellung »OP, POP, TOP! Tapeten der 70er Jahre« im Schloss Wilhelmshöhe lässt die MHK vom 8. April bis 25. September 2022 die 1970er Jahre rund um das Thema Tapete und Wohnkultur wiederaufleben. Besucher können sich in fünf Themenräumen von frecher Tapetenwerbung und typischen Tapetenmustern in einem fiktiven Tapetengeschäft der 70er mitreißen lassen. Zu Bewundern gibt es authentische 70er-Jahre-Objekte aus hessischen Privathäusern, die typische Raumstimmungen der Zeit wieder erstehen lassen. Als Highlight können »xartwalls«, die Kunstwände von Niki de Saint Phalle bis Jean Tinguely, bewundert werden.
Ob Abba, Frauenbewegung oder Flower-Power: Die 1970er Jahre waren ein äußerst bewegtes Jahrzehnt. Ausgelöst durch die Studentenrevolte im Jahr 1968 und unter dem Eindruck des Kalten Krieges brachten sie einschneidende politische, gesellschaftliche und ökologische Veränderungen. Manche davon erscheinen uns heute selbstverständlich – etwa das Recht der Frau auf Selbstbestimmung. Kaum vorstellbar, dass verheiratete Frauen bis 1977 das Einverständnis ihres Ehemannes benötigten, um arbeiten dürfen zu können.
Pril-Blume und Orange-farbenes Telefon
Slogans wie »Atomkraft – nein danke!«, »Jute statt Plastik« oder »Mein Bauch gehört mir« gehören zu den 70ern wie die Pril-Blume oder die schrill-bunt gemusterten Tapeten. Nicht nur die Wände wurden bunter und fröhlicher, sondern auch die Produktwelt. Wer hatte sie nicht, die Fototapete mit exotischen Motiven im Hobby- oder Partykeller sowie im Wohnzimmer?
Eine Tapete mit auffälligen geometrischen oder blumigen Mustern, die in unserer Erinnerung zumeist Orange-Braun waren? Den orangefarbenen oder grünen Telefonapparat? Oder aber die Aufbewahrungsbox für eines der meistgenutzten Audio-Medien neben der Schallplatte: die Musikkassette. Die Jugendzimmer wurden mit Starschnitten der Pop-Idole plakatiert – entweder direkt auf die weiße Wand oder auf die frisch-fröhlichen Tapetenmuster. Farb- und Mustermixe waren »in«.
Op-Art und Pop-Art 1968 auf der documenta IV
Neue Kunstströmungen wie die Op- oder Pop-Art, die auf der documenta IV 1968 in Kassel stark vertreten waren, beeinflussten das Tapetendesign dieses Jahrzehnts maßgeblich. Neben Designkollektionen entwickelten führende Tapetenhersteller zudem gemeinsam mit der Zeitschrift »Schöner Wohnen« Tapeten für ein breites Publikum. Unter dem Motto »Farbe bekennen« entstand so 1969 die erste Schöner-Wohnen-Kollektion.
Aber auch Künstler widmeten sich dem Thema Tapete: Die 1972 als neuer Kunsttyp vermarkteten Kunstwände »xartwalls« waren von prominenten Künstlerinnen und Künstlern entworfen und von der Marburger Tapetenfabrik realisiert worden. Das Spektrum der vertretenen Kunstrichtungen reichte von Pop Art (Werner Berges, Allen Jones, Peter Phillips) und Op Art (Getulio Alivani) bis zu Nouveau Réalisme (Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle). Mit Otmar Alt und Paul Wunderlich waren auch zwei deutsche Künstler vertreten.
Die Künstlerkollektion wurde zeitgleich zur documenta 5 in einer von Arnold Bode kuratierten Schau in der Turnhalle der Gerhart-Hauptmann-Schule (heutiges Dock 4) ausgestellt. Dieses Jahr feiern die »xartwalls« übrigens ihr 50jähriges Jubiläum.
»OP, POP, TOP! Tapeten der 70er Jahre«
8. April bis 25. September 2022
Schloss Wilhelmshöhe, Kassel