Protesttag ohne Menschen – Zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung
08.05.2023 (pm/red) Anlässlich des „Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung“ riefen der Paritätische Mittelhessen und das Netzwerk Aktionstag in Marburg zu einer Demonstration ohne Menschen auf. Große Holzfiguren standen symbolisch für die Menschen, die im sozialen System fehlen, auf dem Elisabeth-Blochmann-Platz.
In der Mitte des Geländes wurde das soziale Netz, das viele Löcher hat, gespannt. Umrahmt war die Szenerie mit Bannern, auf denen die Missstände und Forderungen formuliert waren. „Soziale Netze bestehen durch Menschen – durch zu wenige Menschen entstehen Löcher – Halt und Hilfe gehen verloren“ war auf einem Transparent zu lesen. Unterstützt wurde der Protest von diversen politischen Mandatsträgern. Landrat Jens Womelsdorf forderte, dass die Gleichberechtigung für alle gelten solle und dringend notwendige finanzielle Mittel ins System gelangen müssen. Darüber hinaus brauche es Menschen, die die Lücken füllen.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies konstatierte, dass Menschen nicht behindert sind, sondern behindert werden und weiter, dass Menschen, die an allem gehindert werden, Anspruch und Recht auf gleiche Chancen durch ungleiche Maßnahmen hätten. Er forderte die Anwesenden auf „seien Sie laut!“.
Dirk Bamberger, Mitglied des Hessischen Landtags, begann seine Rede in Gebärdensprache und machte damit sehr deutlich, was Exklusion bedeutet, da niemand der Anwesenden verstand, was er sagte. Im Zusammenleben mit seinen gehörlosen Eltern erlebt er die Ausgrenzung von Menschen mit Beeinträchtigung bereits seit vielen Jahren und engagiert sich für Inklusion in unterschiedlichen Bereichen. Barrierefreie Rahmenbedingungen und Angebote müssen geschaffen, beziehungsweise ausgebaut, werden. Auch die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung sei extrem wichtig. Als ein Beispiel nannte er Manuel Fichtner, der in Marburg aktiv in verschiedenen Gremien und der Öffentlichkeit auf die Situation von Menschen mit Behinderung aufmerksam macht und für deren Rechte kämpft.
Die Bretter der Holzfiguren sind dünn, aber die Bretter, die es für eine gelingende Inklusion zu bohren gilt sind so dick, dass man von allen Seiten bohren muss. Inklusion ist eine Frage der Haltung – und somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe!
Menschen mit Behinderung werden oft als „dumm“ tituliert
Manuel Fichtner berichtete in seiner Ansprache, dass er in einer Wohngemeinschaft der Lebenshilfe lebt und bei diesem Träger im Bereich „FaBiKu“ (Familie, Bildung, Kultur) tätig ist. Seine Erfahrung ist, dass Menschen mit Behinderung oft als „dumm“ tituliert werden – dies bezeichnet er als dumm und hat darüber ein Gedicht geschrieben, das er vortrug. Er brachte es auf den Punkt: Alle Menschen sind gleich wichtig und forderte u.a. ein Recht auf Ehrenamt für Menschen mit Behinderung. Bürger zu sein, bedeute, sich helfen zu lassen und selbst auch zu helfen.
Bernd Gökeler, Vorsitzender des Netzwerks für Teilhabe und Beratung e.V., setzt sich seit Jahrzehnten für Inklusion und die Rechte von Menschen mit Behinderung ein. Sein Motto lautet: Aus einer klaren Haltung ergeben sich Lösungen, Veränderungen sind nur möglich, wenn alle das Schubladendenken ablegen. Als Vertreter der Selbsthilfe prangert er an, dass diese, nach der Zeit der Pandemie und der sozialen Distanzierung, am Boden liegt. Es werden dringend Rahmenbedingungen benötigt, unter denen Menschen mit Behinderung ihre Selbstvertretung auch wirklich in die Hand nehmen können.