Kreistag Marburg-Biedenkopf: Video zum Verbot von Filmberichterstattung im Kreistag veröffentlicht
24.05.2023 (pm/red) Am 20. Mai 2022 hat der Kreistag Marburg-Biedenkopf beschlossen bis dahin erlaubte Film- und Tonaufnahmen von Kreistagssitzungen durch Medien zu verbieten. In der damaligen Debatte betonte Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert (SPD), dass dieses Verbot nur vorübergehend sein solle.
Die Videoaufnahme dieser Sitzung ist nun auf YouTube zugänglich, wird von Kreistagsmitglied Frank Michler von Weiterdenken Marburg mitgeteilt.
Grundsatzdebatte zur Filmberichterstattung geht weiter
Diese Verbot sollte dazu dienen, „den gesamten Komplex der Veröffentlichung von Ton- und Filmaufnahmen gemeinsam in Ruhe zu diskutieren“. Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) hat die damalige Ankündigung von Detlef Ruffert in einem Antrag zur kommenden Kreistagssitzung aufgegriffen. Die Kreisverwaltung soll einen Fachtag organisieren, auf dem die rechtlichen, medienethischen und demokratietheoretischen Abwägungen für oder gegen eine Filmberichterstattung aus Kreistagssitzungen in Fachvorträgen und Diskussionsrunden erörtert werden können.
Ein zeitgeschichtliches Dokument
Der Filmbericht der Kreistagssitzung, in welcher die Filmberichterstattung verboten wurde, ist ein spannendes zeitgeschichtliches Dokument. Es zeigt die Rhetorik von Kommunalpolitikern sowie die taktischen Spielchen, mit denen die großen Parteien ihre Macht und den Status Quo verteidigen. So vermied es Detlef Ruffert in seiner Rede, das Filmverbot als solches beim Namen zu nennen. Stattdessen sagte er, „wir verlassen uns auf die Hessische Gemeindeordnung“ und behauptete, es ginge nicht darum, „die Pressefreiheit in irgendeiner Weise einzuschränken“.
„Es steht sogar in der Antragsbegründung! Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, dann sind für die nächsten Sitzungen, bis eine neue Regelung geschaffen wird, Film- und Tonaufnahmen für die Medien untersagt.“ So die Kritik von Dr. Frank Michler, der darin eine rhetorische Vernebelungstaktik wahrnimmt.
Rückblick auf die Filmverbots-Debatte
Bis zum 20. Mai 2022 enthielt die Hauptsatzung des Kreistages Marburg-Biedenkopf eine Regelung, welche Film- und Tonaufnahmen für die Medien explizit erlaubte (damals §4a Absatz 1). Diese mussten lediglich zuvor dem Kreistagsvorsitzenden angezeigt werden. Genau dies tat „Weiterdenken-Marburg“ erstmals im Vorfeld der Kreistagssitzung vom 17.12.2021. Weiterdenken-Marburg betreibt einen YouTube-Kanal, auf welchem über politische Ereignisse berichtet wird, und der auch von der Landesmedienanstalt als „Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ betrachtet wird. Dennoch untersagte der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert – entgegen der Satzung und damit rechtswidrig – die Filmberichterstattung. Eine Diskussion darüber war nicht erwünscht und wurde von der Mehrheit des Kreistages abgeblockt.
Verwaltungsgericht stoppte rechtswidrige Filmverbote
In den darauffolgenden Kreistagssitzungen folgten weitere Anzeigen geplanter Filmberichterstattung, die jeweils vom Kreistagsvorsitzenden verboten wurden. Dr. Frank Michler klagte schließlich vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Dieses verpflichtete in seinem Beschluss vom 19. Mai 2022 den Kreistagsvorsitzenden dazu, die Filmberichterstattung zuzulassen [5]. Somit konnte die Kreistagssitzung vom 20. Mai 2022 gefilmt werden.
Filmverbots-Debatte konnte gefilmt werden
In genau dieser Sitzung vom 20. Mai 2022 stand auch ein Antrag von Detlef Ruffert auf der Tagesordnung, in welchem die Erlaubnis zu Film- und Tonaufnahmen durch die Medien aus der Hauptsatzung gestrichen werden sollte. So kam es dazu, dass zumindest der Beschluss des Filmverbotes in einem Filmbericht festgehalten werden konnte.
Trotz des eindeutigen Gerichtsbeschlusses versuchte insbesondere der SPD-Fraktionsvorsitzende Werner Hesse, die Filmberichterstattung einzuschränken. Mit Verweis auf die „informationelle Selbstbestimmung“ sagte er zu dem Kameramann: „Machen Sie bitte die Aufnahme jetzt aus!“. Der Kameramann ließ sich jedoch nicht einschüchtern und filmte weiter. Werner Hesse beantragte daraufhin eine Sitzungsunterbrechung, in welcher der Ältestenrat zusammengerufen wurde.
Kreistag als Kasperletheater
Dieser kam jedoch zu dem Ergebnis, dass man sich wohl doch an den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Gießen halten sollte und die Filmberichterstattung zulassen muss. Der seit fast einem halben Jahrhundert in der Kommnalpolitik aktive Werner Hesse erklärte daraufhin theatralisch, dass er so – wenn er dabei gefilmt werde – seinen Redebeitrag nicht halten könne. Mark Adel betitelte seinen Bericht über die Sitzung im „Hinterländer Anzeiger“ mit „Der Kreistag als ‚Kasperletheater’“.
Widerspruch einzelner Abgeordneter nicht möglich
Im Nachgang dieser Kreistagssitzung hat sich u.a. der Hessische Landkreistag mit dem Thema befasst. In einem Vermerk der Kreisverwaltung vom 16. März 2023 heißt es dazu: „Nach Einschätzung des Hessischen Landkreistages kann eine einzelne Abgeordnete oder ein einzelner Abgeordneter den Film- und Tonaufnahmen nicht widersprechen, sobald es eine entsprechende Regelung in der Hauptsatzung gibt.“
Einengung des Medienbegriffs unzulässig
Auch die Pläne Rufferts für die detaillierte Regelung einer „Medienzugangsberechtigung“ mit einem auf ARD, ZDF und die Oberhessische Presse eingeengten Medienbegriff hielten einer genaueren Prüfung nicht stand. Im Vermerk der Kreisverwaltung wird dazu aus dem Protokoll der Konferenz der Kreistagsvorsitzenden vom 8. und 9. Juni 2022 zitiert:
„Hierzu führt Herr (…) [Kommunalabteilung HMdIS] aus, (…) Eine Einschränkung des Medienbegriffes sieht er insbesondere vor dem Hintergrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts kritisch. Bei einer Übertragung der Letztentscheidung auf den Vorsitzenden entstünde der Vorwurf der Parteilichkeit und der „Zensur“, was ebenfalls problematisch wäre.
Dr. Michler erhofft sich in den anstehenden Beratungen eine sachliche Debatte, die das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gebührend würdigt: „Wer im Kreistag spricht, um mit seinen Argumenten Beschlüsse herbeizuführen, sollte diese Argumente auch seine Wählerinnen und Wähler hören lassen! Diese sollten sehen und hören können, ob und wie ihre Repräsentanten sie vertreten.“