Ringvorlesung TU Dresden und Sorbisches Institut: Die unheile Welt. Zerstörung und Erneuerung im Märchen
29.12.2023 (wm) Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz widmen sich der anthropologischen Bedeutung der im Märchen inszenierten UNHEILEN Welt. Sie befragen die Texte nach der Dialektik von Zerstörung und Erneuerung und setzen sich mit entsprechenden Deutungsansätzen der Märchen- und Sagenforschung auseinander. – Gemeinsame Veranstaltung der TU Dresden und des Sorbischen Instituts im WS 2023/24, jeden Mittwoch (18.10.-31.1.2024) jeweils von 16.40-18.10 Uhr. Ein Livestream wird angeboten.
Märchen sind Glücksgeschichten, die ihren Ausgang im Unglück nehmen. Dem Kind stirbt die Mutter, Brüder werden in Vögel verwandelt oder Königstöchter von Drachen entführt. Märchen erzählen beispielhaft von der Störung gelebter Ordnungen und der anschließenden Überwindung der Krise. Im populären Erzählen bedingen sich Zerstörung und Erneuerung gegenseitig: Aus den Überresten Getöteter wachsen hilfreiche Pflanzen, zerstückelte Opfer erwachen mithilfe magischer Gegenstände zu neuem Leben, Menschen in Tiergestalt finden durch Gewalt Erlösung. Viele Motive der Schicksalserzählungen widerspiegeln die Erfahrungen der Menschen mit einer sich periodisch selbst erneuernden Natur, aber auch ihren Wunsch nach Gesundung, Verjüngung und Überwindung des Todes.
Eine Einführung und den ersten Vortrag über die Figurationen des Unheils am Beispiel sorbischer Märchen- und Sagengestalten hält Dr. Susanne Hose, Kulturwissenschaftlerin am Sorbischen Institut und Kuratoriumsvorsitzende der Märchen-Stiftung Walter Kahn, die die Veranstaltungsreihe finanziell unterstützt.
„Die Märchenforschung – im weiten Sinne – ist eine echte Querschnittsdisziplin durch Kulturanthropologie, Kunst-, Literatur- und Medienwissenschaften, Europäische Ethnologie, Psychotherapiewissenschaften und weitere. Zur Ringvorlesung laden wir jeden herzlich ein. Insbesondere hoffen wir, Lehramts-Studierende für Deutsch, Sorbisch, Englisch oder Französisch zu erreichen, aber auch den Berufsstand der Erzählerinnen und Erzähler oder der Psychotherapeuten, die sehr viel mit Märchen arbeiten. Besonders freue ich mich auf den Besuch der Erzählerin Angelika Schreurs in unserer Vorlesung Ende November“, so Dr. Susanne Hose.
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Übersicht der Vorträge:
- – 18. Oktober, Dr. Susanne Hose, Sorbisches Institut Bautzen: Feuer, Wasser und Posaunen. Heil und Unheil im Märchen. Einführung
– 25. Oktober, Prof. Dr. Holger Ehrhardt, Universität Kassel: Schuld und Sühne in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
– 1. November, Prof. Dr. Holger Kuße, TU Dresden: Von der Erde zu sich selbst. Karl Mays märchenhafter Orient
– 8. November, Prof. Dr. Alfred Messerli, Universität Zürich: „Der König und Maruzza aber lebten noch lange reich und getröstet, und wir sind hier sitzen geblieben.“ Das Märchen von Ohimè aus der Sammlung sizilianischer Märchen (1870)
– 15. November, Dr. Jenny Hagemann, Sorbisches Institut Cottbus: Verschlinger, Zerstörer, Bewahrer, Superheld. Der Wandel populärer Dracula-Erzählungen am Beispiel von Gary Shores „Dracula Untold“ (2014)
– 29. November, Prof. Dr. Hans-Jörg Uther, Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, zusammen mit der Erzählerin Angelika Schreurs, Düsseldorf: Extreme Situationen: Märchen und Sagen als moralische Instanzen
– 6. Dezember, Dr. Dorota Sadowska, Universität Warschau: Die unheile Welt. Polnische Kinder erzählen in Zeichnungen vom Krieg
– 13. Dezember, Prof. Dr. Kristin Wardetzky, Universität der Künste Berlin: KRIEG. Die Vernichtung Trojas in Epen und Dichtungen des antiken Griechenlands
– 10. Januar, Dr. Annette Teufel, TU Dresden: „In dem Boden klaffte ein dunkler Spalt…“ – Topografien des Un-Heils in den modernen Mythen Paul Adlers
– 17. Januar, Dr. Helmut Groschwitz, Institut für Volkskunde, München: „der lose zusammenhang des rettbaren“ – Jacob Grimm postkolonial gelesen
– 24. Januar, Prof. Dr. Bernd Rieken, Sigmund Freud Privatuniversität Wien: Die Natur als Bedrohung in der populären Überlieferung
– 31. Januar, Prof. Dr. Harm-Peer Zimmermann, Universität Zürich: Gewalt im Märchen. Was haben die Brüder Grimm dazu gesagt?