Marburger Kamerapreis geht an Sturla Brandth Grøvlen
01.02.2024 (pm/red) Der im norwegischen Trondheim geborene Bildgestalter Sturla Brandth Grøvlen zog 2015 vor allem durch „Victoria“ (Regie: Sebastian Schipper) das Interesse vieler Filmschaffenden auf sich. Es war erst sein zweiter Langfilm, in dem in 140 Minuten ohne einen einzigen Schnitt die Geschichte eines gescheiterten Bankraubs erzählt wird. Für diese künstlerische Leistung erhielt Grøvlen den Silbernen Bären der Berlinale. Die Bilder dieses Films sind neben ihrer technisch-performativen Qualitäten auch von Grøvlens Sensibilität für Atmosphäre, emotionale Erzählweisen und Dramaturgie geprägt.
In Anlehnung an ein Zitat des Regisseurs Francis Ford Coppola sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies: „Das Kino ist ein Ort, an dem Magie stattfindet und an dem die Magier ihren Platz finden. Der Kamerapreis ist eines der besten und ältesten Beispiele der Kooperation von Universitätsstadt und Universität, gemeinsam mit den Marburger Kinobetrieben und dem Berufsverband Kinematografie (BVK).“
Der Marburger Kamerapreis wird von der Philipps-Universität Marburg und die Universitätsstadt Marburg seit 2001 vergeben, in diesem Jahr zum 23. Mal.
„Grøvlens künstlerische Neugier, seine Unerschrockenheit bei der Abweichung von etablierten Arbeitsabläufen und Techniken der Bildgestaltung und sein physischer Elan machten ihn zum idealen Kandidaten für die nicht nur technisch herausfordernde Umsetzung des Films“, heißt es in der Begründung des Beirats, der den Preisträger auswählt. Die Entscheidung der Jury für Sturla Brandth Grøvlen fiel einstimmig aus. Der dynamische, jugendliche Geist, der sich in der Ästhetik und den rebellisch-neugierigen Figuren von „Victoria“ spiegelt, finde sich auch in vielen anderen der von Grøvlen fotografierten Filme wider„Oft bewegt sich seine Kamera mit Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe und dynamisiert das Geschehen, indem Bewegungen flexibel aufgegriffen, begleitet und fortgeführt werden. So übertragen sich das Rohe und Zornige der Charaktere, aber auch ihre Ängste und Nöte in eine vibrierende Visualität.“
Die Filme „Herzstein“ (2016) und „Beautiful Beings“ (2022), beide in der Regie von Guðmundur Arnar Guðmundsson, folgen dem Leben jugendlicher Isländer in ebenso fokussierter wie reduzierter Weise und widmen sich zugleich der kargen Landschaft, die sie umgibt. Grøvlens Bilder changieren zwischen behutsamen Nahaufnahmen und nicht weniger nuanciert gestalteten Landschaftstotalen. Mit dem besonderen Gespür Grøvlens für die Natur geht eine Affinität zum skandinavischen Licht einher, das in den meisten seiner Filme extrem fahl und weich in Innenräume dringt und auf die menschliche Haut fällt. Dabei entstehen pastellfarbene, geradezu rosige Töne, die das Fragile der Schauspieler*innen ebenso behutsam unterstreicht wie ihre Schönheit.
Über sich selbst sagt Grøvlen: „Ich tendiere eher zu Projekten, die eine Art Düsternis in sich haben.“ Das passt zu der Anmerkung des Beirats, dass sich zu fahlem Nordlicht wie beispielsweise in „Sture Böcke“ (2015, Regie: Grímur Hákonarson) in seinen Arbeiten eine meist durch Gegenlichtaufnahmen akzentuierte, bild- und raumgreifende Dunkelheit geselle. „Durch hohe Kontraste und den Mut, Teile des Bildes stark unterzubelichten, entstehen düstere Szenarien, durch das Abschatten von Figuren wird ihre düstere oder traurige Seite hervorgekehrt“, heißt es in der Begründung.
Eindrucksvoll zu beobachten ist das bei den Figuren in „Der Rausch“: Mitunter versinken die Figuren in Grøvlens Bildern nahezu vollständig in den kunstvoll arrangierten Grau- und Schwarzbereichen. Aufgebrochen werde diese Dunkelheit in fast jedem seiner Filme von einem leuchtenden roten Licht, das in seiner ausgestellten Künstlichkeit den Gegenpol zu der Gestaltung des fahlen Sonnenlichts bildet. Bereits in „Victoria“ habe Grøvlen das Zwielicht der Nacht, hohe Farbkontraste und die bleierne Morgendämmerung kombiniert. Seitdem habe sich sein Umgang mit Licht anhand dieser drei Konstanten unterschiedlicher Genres und Filmindustrien ausdifferenziert und verflochten.
Der Film „The Innocents“ (2021, Regie: Eskil Vogt), der sich um eine Gruppe von Kindern mit außergewöhnlichen und zunehmend bedrohlichen Fähigkeiten dreht, brachte Grøvlen weitere Auszeichnungen wie den Sven Nykvist Award beim Göteborg International Film Festival 2022 ein. Darüber hinaus arbeitete der Bildgestalter immer öfter bei US-amerikanischen Produktionen wie „The Discovery“ (2017, Regie: Charlie McDowell) oder „Shirley“ (2020, Regie: Josephine Decker) mit. Für das Kriegsdrama „War Sailor“ (2022, Regie: Gunnar Vikene) wurde er von der American Society of Cinematographers mit dem ASC Spotlight Award geehrt. Neben seinen Spielfilmen wirkte Grøvlens auch an zwei Dokumentarfilmen, einigen Arbeiten für das skandinavische Fernsehen, einer Fülle an Kurzfilmen und einigen Musikvideos mit. Der Marburger Kamerapreis honoriert die stilistische Bandbreite von Sturla Brandth Grøvlens bildgestalterischer Arbeit, ihre thematische Vielfalt, seine künstlerische Kontinuität und seine eindrucksvolle Schaffenskraft.